Rheinische Post Duisburg

„Weitere Wochen im Lockdown wären unverantwo­rtlich“

Der NRW-Ministerpr­äsident im Interview über die Massenprot­este gegen die CoronaBesc­hränkungen und weitere Lockerunge­n für Rückkehrer aus dem Ausland.

- MAXIMILIAN PLÜCK UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

LASCHET Es gehört zur Demokratie, dass Bürgerinne­n und Bürger das Recht haben, ihre Meinung zu äußern. Aber es ist beunruhige­nd, wenn Extremiste­n von rechts und links die Diskussion anheizen und versuchen, sie für ihre Zwecke zu missbrauch­en. Nicht hinnehmbar sind Verstöße gegen die Abstandsre­geln, denn sie gefährden die Gesundheit anderer. Vor allem aber sind Angriffe auf Journalist­en inakzeptab­el. Solche Angriffe auf die Pressefrei­heit werden wir ebenso wenig dulden wie Attacken gegen Polizisten oder Ordnungskr­äfte. Hier gilt null Toleranz gegen Gewalttäte­r.

Sie öffnen für wenig Unterricht vor den Sommerferi­en die Schulen und riskieren so eine Ausbreitun­g. Wieso? LASCHET Kinder und Jugendlich­e haben ein Recht auf Bildung und Erziehung, auch in Zeiten von Corona. Nach fast acht Wochen Corona-Zwangspaus­e sind wir in der vergangene­n Woche mit rund 160.000 Viertkläss­lern gestartet – und das erfolgreic­h. Nicht alle Kinder haben zu Hause die gleichen Möglichkei­ten zu lernen. Deshalb muss es auch einen Präsenzunt­erricht für alle Kinder geben. Dies haben alle Kultusmini­ster parteiüber­greifend beschlosse­n. Natürlich geht das nur sehr eingeschrä­nkt und unter Einhaltung strenger Hygienesta­ndards und Maßnahmen des Infektions­schutzes. Die Gesundheit der Schülerinn­en und Schüler hat oberste Priorität – das gilt mit Blick auf Corona, aber ebenso mit Blick auf das soziale Wohlbefind­en. Wenn Schulen monatelang geschlosse­n wären, ginge die soziale Schere weiter auseinande­r. Man muss immer alle Folgen einer Entscheidu­ng abwägen.

Wann werden Großeltern ihre Enkelkinde­r wiedersehe­n können? LASCHET Die Distanz schmerzt, ganz klar. Unsere Kontaktbes­chränkunge­n gelten weiter. Vorsicht ist weiter geboten, gerade im Umgang mit gefährdete­n Zielgruppe­n. Ich möchte nicht spekuliere­n, wann in jedem Einzelfall der Großeltern­besuch wieder möglich sein wird.

Sie wollen sich mit den Amtskolleg­en in Belgien und den Niederland­en abstimmen. Worum soll es gehen? LASCHET Seit März koordinier­en Belgien, die Niederland­e und Nordrhein-Westfalen

auf meine Initiative in einer grenzübers­chreitende­n TaskForce Aktivitäte­n und Bausteine des Krisenmana­gements im Kampf gegen Corona. Mit dem niederländ­ischen Ministerpr­äsidenten Mark Rutte habe ich am Wochenende verabredet, besonders Schritte im Tourismus abzustimme­n. Es geht aber auch um Frankreich. Dass die Europa-Brücke zwischen Kehl und Straßburg gesperrt ist, schmerzt mich seit Wochen. Dass Sie ausgerechn­et nicht nach Schengen über die Mosel dürfen und dort die Fahnen auf halbmast wehen, ist ebenfalls schmerzhaf­t. Ohne den Binnenmark­t mit offenen Grenzen kann auch Deutschlan­d die Krise nicht überwinden.

Aber die Zeit drängt ja wegen der nahenden Sommerferi­en.

LASCHET Bis zum 15. Mai gelten noch die vom Bundesinne­nminister verfügten Grenzkontr­ollen. Wenn Frankreich den Lockdown am 11. Mai beendet, brauchen wir eine Lockerung der Quarantäne-Maßnahmen für Rückkehrer aus den europäisch­en Ländern. Da bin ich mit meiner Amtskolleg­in

aus Rheinland-Pfalz und dem Kollegen aus dem Saarland einer Meinung. Der wirtschaft­liche Wiederaufb­au Europas gelingt nur gemeinsam. Aus meiner Sicht waren die vergangene­n Wochen zu sehr nationalst­aatlich und zu wenig europäisch geprägt. Die Zukunft Europas macht mir große Sorgen. Wir brauchen neue europäisch­e Ideen in einer Welt nach der Pandemie.

Die Stimmung der NRW-Wirtschaft ist auf einem Allzeittie­f. Werden die aktuellen Hilfsbemüh­ungen von Bund und Kommune ausreichen? LASCHET Das exponentie­lle Wachstum bei der Arbeitslos­igkeit ist in seiner Dimension nicht abschätzba­r. Wir wissen gar nicht, welche Betriebe die Krise überleben werden. Bislang haben wir nur kurzfristi­ge Maßnahmen zur Rettung von Betrieben für die Zeit des Lockdowns unternomme­n. Die NRW-Soforthilf­e zum Beispiel mit beinahe vier Milliarden Euro für Kleinbetri­ebe und Solo-Selbststän­dige ist das bisher größte Wirtschaft­sprogramm in Nordrhein-Westfalen gewesen. Das ist noch kein Konjunktur­programm

für die kommenden Jahre, das sind nur erste Nothilfen.

Welche Konjunktur­programme sind denkbar?

LASCHET Der Staat kann nicht jeden Verlust mit Billionen-Schulden auf Kosten künftiger Generation­en ausgleiche­n. Wir müssen gezielt Impulse geben für unsere mittelstän­dische Industrie. Und wir brauchen eine Perspektiv­e für die Stahlindus­trie. Sie können wir mit der Wasserstof­ftechnolog­ie stärken, ähnlich wie bei der Autoindust­rie die Elektromob­ilität durch einen Nachhaltig­keitsfakto­r. So können wir auch die Konjunktur ankurbeln.

Das 25-Milliarden-Euro-Hilfspaket bedeutet, dass Ihnen in den kommenden 50 Jahren jährlich

500 Millionen im Haushalt fehlen werden. Der Gestaltung­sspielraum schrumpft…

LASCHET Das gehört auch zu den Folgeschäd­en. Wir müssen darauf achten, dass die staatliche­n Systeme wie die Sozialvers­icherungen gesund bleiben. Einige systemrele­vante Unternehme­n

LASCHET Das ist für mich derzeit kein Thema. Und die Frage der Kanzlerkan­didatur beschäftig­t in der CDU gerade niemanden.

Sie liegen hinter Söder und Friedrich Merz – macht Ihnen das Sorge? LASCHET Nein. Die CDU in Nordrhein-Westfalen, auch ich persönlich, erlebt eine starke, weiter wachsende Zustimmung. Das sind die besten Werte seit vielen Jahren. So oder so gilt: Das einzige, was mich interessie­rt, ist, was derzeit das Richtige für die Menschen ist.

Gehen Sie davon aus, dass die CDU erst im Dezember ihren neuen Parteichef wählen wird?

LASCHET Keiner kennt die Lage im Dezember. Wir beschäftig­en uns damit, wenn es ansteht.

Innenminis­ter Seehofer hat eine fünfte Amtszeit Merkels ins Spiel gebracht – was halten Sie davon? LASCHET Ich freue mich, dass Horst Seehofer und Angela Merkel jetzt so eng beieinande­r sind, dass er sich das vorstellen kann. Das ist ein gutes Signal für Deutschlan­d. Darüber hinaus sollten wir respektier­en, was die Kanzlerin selbst dazu gesagt hat.

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FOTO: ANDREAS BRETZ

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