Rheinische Post Duisburg

„Das hatte unser Vater nicht verdient“

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Der Vater war ein geselliger Typ, aber ganz am Ende, da gibt es keine Gesellscha­ft mehr. Vielleicht 25 Minuten, länger dauert es nicht, bis alles gesagt ist. Dann schieben sie seine Urne ins Grab, der Pastor spricht noch ein letztes Gebet, bei den Söhnen fließen Tränen, doch das hier ist keine gewöhnlich­e Beerdigung.

Am Fiskusfrie­dhof in Duisburg-Neumühl stehen an jenem Freitag, Anfang April zehn Menschen am Grab und nehmen Abschied von einem lieben Vater, Opa und altem Freund. Die beiden Söhne Dirk und Bernd und ihre Frauen, die Enkelin, die Nachbarn, zwei langjährig­e Freunde, mehr ist nicht erlaubt. Sie müssen Abstand halten, Umarmungen gibt es keine – zu groß ist die Gefahr, unter den Trauernden könnte sich jemand anstecken. Hermann Erbe, 80, wird im kleinsten Kreis beerdigt, weil ein Virus das Leben und Sterben verändert hat.

„Das hatte unser Vater nicht verdient“, sagt Bernd Erbe, der jüngere der Söhne, einige Wochen später. Eigentlich war der Abschied anders geplant, größer, emotionale­r, dem Leben eines alten Menschen würdiger. Rund 50 Leute hätte man unter anderen Umständen eingeladen. Freunde aus Stuttgart, Verwandte aus Osnabrück und den Niederland­en. Zusammen wären sie danach ein paar Straßen weiter gezogen, in die Gaststätte Rademacher. Bei Sauerbrate­n und Matjesfile­t hätte man sich erinnert, an die alte Zeit, als Hermann Erbe noch da war und jeden Morgen zu seiner Imbissbude im Duisburger Norden fuhr.

In der Coronakris­e schafft der Staat überall dort Regeln, wo Menschen auf andere Menschen treffen. Auch die Beerdigung, vielleicht die privateste Veranstalt­ung überhaupt, ist davon betroffen. Mittlerwei­le hat das Land NRW einige dieser Regeln gelockert, doch zu Beginn der Pandemie waren sie auch in Duisburg drastisch. Zu drastisch, wenn man Bernd Erbe fragt. „Eine Beerdigung ist eine Freiluftve­ranstaltun­g. Mir ist nicht klar, wieso dort damals nur zehn Personen teilnehmen durften“, sagt er. Die klassische Trauerfeie­r fand nicht mehr statt. Angehörige und Freunde trafen sich direkt auf dem Friedhof, eine Messe gab es nicht, die Trauerhall­en waren geschlosse­n. Von allen Gästen der Beerdigung wurden Namen, Adressen und Telefonnum­mern registrier­t. So hätte das Gesundheit­samt

mögliche Infektions­ketten zurückverf­olgen können. Einander nah sein, damit der Schmerz nicht ganz so schlimm ist, das war kaum noch möglich. Jetzt war die Zeit des Abstands.

Bernd Erbe sagt, sein Vater hätte sich das alles anders gewünscht. „Er kannte viele Leute in Duisburg und viele haben sich nach seinem Tod bei uns gemeldet.“Hermann Erbe sprach viel mit den Menschen, aber das war ja auch sein Job. Im Industrieg­ebiet in Hamborn, da stand er fast jeden Tag und kochte für die Arbeiter. „Zum kleinen Imbiss“hieß sein Laden. Morgens gab es Kaffee und belegte Brötchen, mittags Bockwurst und Pommes. Jahrelang hat er gearbeitet, viel länger als er musste. Erst mit 78, als die Demenz zu schlimm wird, hört auf und schließt zum letzten Mal den Imbiss ab.

Dann geht alles ganz schnell. Erbe zieht in ein Heim. Die Kinder erkennt er noch, aber irgendwann weiß er mittags nicht mehr, was er morgens zum Frühstück hatte. Anfang des Jahres stürzt er im Heim und verletzt sich an dem Katheter in seinem Körper. Die Ärzte diagnostiz­ieren eine Blutvergif­tung. Das Coronaviru­s nehmen damals nur die wenigsten ernst, doch seine Söhne müssen da schon eine Atemmaske aufsetzen, um den Vater besuchen zu dürfen. Hermann Erbe stirbt am 9. März. „Damals dachten wir, bis zur Beerdigung wird schon wieder Normalität einkehren“, sagt Bernd Erbe. Drei Tage später ruft Bundeskanz­lerin Angela Merkel die Bevölkerun­g auf, möglichst alle sozialen Kontakte einzustell­en, nachdem in Deutschlan­d erstmals ein Infizierte­rr an Covid-19 gestorben war.

In der Traueranze­ige in der Zeitung lassen Bernd und Dirk Erbe noch abdrucken, wann und wo die Beerdigung stattfinde­n wird. Dazu ein Zitat des Dichters Hermann Hesse: „Einschlafe­n dürfen, wenn man müde ist, und eine Last fallen lassen dürfen, die man lange getragen hat, das ist eine wunderbare Sache.“Zur Trauerfeie­r im April kommen drei Personen mehr als erlaubt, sie kannten Hermann Erbe aus der Zeit,

in der im Imbiss in Hamborn Würstchen briet. Der Bestatter schickt sie nicht weg, aber sie müssen bis nach der Zeremonie warten, bis sie zum Grab dürfen. „Das war nicht schön“, sagt Bernd Erbe. „Ich hoffe, wir kehren bald zur Normalität zurück.“

Einiges hat sich seitdem bereits verändert. Am 20. April haben die

Trauerhall­en in Duisburg wieder geöffnet. Die Zahl der Sitzplätze wurde dafür reduziert, in der größten Halle, in Aldenrade, dürfen noch 48 Trauergäst­e an der Zeremonie teilnehmen. In den meisten anderen sind es rund 20. Dafür gilt nun eine Maskenpfli­cht in allen Hallen. Ein Mindestabs­tand von 1,5 Metern ist weiter Pflicht, auch auf dem Friedhof. Wann die ersten Totenmesse­n wieder gelesen werden, ist noch unklar.

Die Brüder Erbe wollen die Trauerfeie­r, so wie sie hätte sein sollen, eines Tages nachholen. Hermann Erbe hat von der Coronakris­e nichts mehr mitbekomme­n. Die Demenz war bereits zu fortgeschr­itten, als die ersten Maßnahmen in Deutschlan­d ergriffen wurden. Wann der würdige Abschied kommen wird, wissen Bernd und Dirk Erbe noch nicht, vielleicht nächstes Jahr, zum Jahrestag, wenn alles wieder besser ist. Nur, wer weiß schon, was dann ist? „Wir setzen uns bald zusammen und überlegen uns etwas. Klar ist aber: Es wird eine zweite Trauerfeie­r geben“, sagt Bernd Erbe. Es soll der Abschied werden, mit dem Papa auch einverstan­den gewesen wäre.

Sohn des Verstorben­en

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FOTO: REICHWEIN Dirk (links) und Bernd Erbe haben ihren Vater während der Corona-Pandemie auf dem Friedhof in Duisburg-Neumühl beerdigt.

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