Bund und NRW ringen um Grenzöffnung
In dieser Woche müssen Bund und Länder darüber entscheiden, ob und in welchem Umfang Deutschland seine Grenze weiter für den Schutz vor dem Coronavirus abschottet. Ministerpräsident Laschet dringt auf Lockerungen.
BERLIN Gut sechs Wochen vor dem Start der Sommerferien rückt eine Entscheidung näher, ob und in welcher Form die Kontrollen und Einreiseverbote an den deutschen Grenzen aufgehoben werden. Die bisherigen Regelungen gelten seit April und sind bis zum 15. Mai befristet. Bund und Länder müssen sich noch in dieser Woche verständigen, wie es weitergehen soll; eine Entscheidung wird für Mittwoch oder Donnerstag erwartet.
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hatte im Interview mit unserer Redaktion die Debatte über die Rückkehr zu offenen Grenzen angestoßen. Konkret sprach er sich für eine Lockerung der Regelung aus, wonach Rückkehrer auch aus dem europäischen Ausland für 14 Tage in Quarantäne müssen.
Nach Informationen unserer Redaktion könnte es es erneut zu bundesweit uneinheitlichen Regelungen kommen. Schon jetzt unterscheiden sich die Bundesländer:
Während Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und das Saarland aktuell ihre Grenzen noch kontrollieren, gibt es in NRW und Niedersachsen während der Corona-Zeit lediglich Stichproben und Schleierfahndung. Schleswig-Holstein kündigte bereits an, seine Grenze zu Dänemark ab dem 15. Mai wieder schrittweise zu öffnen. Denkbar ist, dass Rheinland-Pfalz und das Saarland ihre Grenzkontrollen auf das Vorbild von Nordrhein-Westfalen zurückfahren und damit Pendlern Umwege ersparen.
Grundsätzlich könnte NRW zudem im Alleingang die Quarantäne-Regelung aufheben. Die hiesige Wirtschaft steht hinter dem Vorstoß des Ministerpräsidenten: „Wenn sich die Entwicklung der Pandemie stabilisiert, spricht aus meiner Sicht auch nichts dagegen, die Quarantäne-Regelungen innerhalb Europas zu lockern“, sagte Arndt Kirchhoff, Präsident von Unternehmer NRW, unserer Redaktion. „Wir müssen in Europa beides schaffen: Ansteckungen vermeiden und zur wirtschaftlichen Normalität zurückkehren. Wir werden noch eine Weile mit der Pandemie leben müssen, ohne dabei die komplette europäische Wirtschaft an die Wand zu fahren.“Kirchhoff warb zudem dafür, die Grenzen wieder zu öffnen: „Wenn es die Infektionszahlen zulassen und die Entwicklung so weitergeht, gibt es keinen Grund, Grenzen geschlossen zu halten.“
Die Opposition im NRW-Landtag zeigte sich hingegen äußerst skeptisch: „Eine Lockerung der Quarantäne-Regelung birgt ein erhebliches Risiko“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Josef Neumann. „Ich vermag noch keine echte Strategie vonseiten der Landesregierung zu erkennen.“Sie laufe Gefahr, dass international verlaufende Infektionsketten in NRW nicht mehr ordnungsgemäß nachverfolgt werden könnten. Nur wenn man alle Heimkehrer konsequent teste, könne man über eine Abkehr von den bisherigen Regelungen nachdenken, betonte der SPD-Gesundheitspolitiker. Widerspruch gegen Laschet kam auch von dem CDU-Außenpolitiker Norbert
Röttgen, der sich wie der Ministerpräsident um den CDU-Vorsitz bewirbt. Er verwies auf die Nachbarländer und betonte, dort gebe es immer noch hohe Infektionszahlen. „Wenn die Bundesregierung und die
EU-Kommission darauf basierend weiterhin zum Verzicht auf Reisen anhalten, sehe ich keinen Grund, dass wir uns mehr Freizügigkeit erlauben können“, sagte Röttgen der „Passauer Neuen Presse“.
Vonseiten der EU-Kommission wird für Mittwoch eine Stellungnahme zu den Binnengrenzen erwartet. Dem Vernehmen nach wird sie einen flexiblen Plan vorschlagen, durch den die Kontrollen und Reisebeschränkungen an den Binnengrenzen nach und nach wieder aufgehoben werden. Druck für Öffnungen haben Bund und Länder erneut durch die Rechtsprechung. Am Dienstag kippte das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg die niedersächsische Regelung, wonach für Reiserückkehrer pauschal eine Quarantänepflicht gilt. Geklagt hatte ein Anwalt, der in Schweden ein Ferienhaus hat, in dem er demnächst einige Urlaubstage verbringen will. Aus dem Ausland Einreisende könnten nicht pauschal als Krankheits- oder Ansteckungsverdächtige eingestuft werden, urteilte das Gericht. Leitartikel