Rheinische Post Duisburg

TBC-Impfung könnte gegen Corona wirken

Warum in Ostdeutsch­land viel weniger Menschen an Covid-19 erkranken als im Westen des Landes.

- VON ARNDT BORKHARDT UND LOTHAR SCHRÖDER

DÜSSELDORF Selbst zwei Monate nach Beginn der Pandemie fällt eins sofort ins Auge: die unterschie­dlichen Erkrankung­szahlen sowie die bevölkerun­gsnormiert­e Sterblichk­eitsrate zwischen Ost- und Westdeutsc­hland. Und danach liegen die deutschen Hot-Spots der COVID-19 Pandemie allesamt im Westen der Bundesrepu­blik.

Als Ursachen dafür galten zunächst die hochanstec­kenden Karnevalsi­tzungen im Rheinland wie auch die rückkehren­den Skitourist­en aus dem österreich­ischen Skiort Ischgl, die das Virus eben häufiger mit nach Hamburg, Stuttgart oder München gebracht haben dürften als nach Mecklenbur­g-Vorpommern. Das schien für alle erst einmal einleuchte­nd zu sein. Doch in den vergangene­n Wochen wird unter Wissenscha­ftlern noch eine andere Ursache diskutiert. Diesmal geht es um die Impfpoliti­k im ehemals geteilten Deutschlan­d. So wurde die vor rund 100 Jahren von den Franzosen

Albert Calmette und Camille Guerin entwickelt­e Impfung gegen Tuberkulos­e (BCG) von der DDR 1951 eingeführt und schon zwei Jahre später flächendec­kend bei allen Neugeboren­en am dritten Lebenstag verabreich­t.

Nicht so in der alten Bundesrepu­blik: ein gesetzlich­er „Impfzwang“war dort unbekannt, und folglich ist ab Mitte der 1950-iger Jahre geschätzt nur jedes fünfte westdeutsc­he Neugeboren­e mit BCG geimpft worden. Die Folge: Spätestens ab Mitte der 1970-iger Jahre schlief die BCG-Impfung im Westen einfach ein, zumal die Krankheit kein gesundheit­spolitisch­es Problem mehr darstellte. Neuerkrank­ungen gab es selten, die schützende Wirkung der Impfung galt als umstritten und die medikament­ösen Behandlung­smöglichke­iten einer Infektion mit Tuberkelba­zillen war gut standardis­iert und effizient. Jahrelange Sanatorium­saufenthal­te – wie sie Thomas-Mann 1924 im „Zauberberg“beschriebe­n hatte – gehörten endgültig der Vergangenh­eit an. In den vergangene­n Jahren aber wurden in zahlreiche­n

Der Impstoff wirkt auf bestimmte Abwehrzell­en wie ein Trainings-Anreiz

Studien überrasche­nde Nebeneffek­te der BCG-Impfung und die dahinterli­egenden molekulare­n Vorgänge entschlüss­elt. So wirkt der Impfstoff auf Zellen der angeborene­n Immunität wie den sogenannte­n Natürliche­n Killerzell­en. Er verändert deren Aktivität und gilt zudem als starker Anreiz für ein regelrecht­es Immuntrain­ing.

Immunologe­n um den niederländ­ischen Forscher Mihai Netea aus Nijmwegen sind federführe­nd in diesem neuen Forschungs­feld. Mittlerwei­le laufen mit dem alten BCG-Impfstoff bereits klinische Studien in den Niederland­en und in Australien – nun aber nicht mehr gegen Tuberkulos­e, sondern gegen das Coronaviru­s.

Unspezifis­che positive Effekte der BCG-Impfung wurden dabei schon länger vermutet. Was man jetzt bei SARS-CoV-2 beobachten kann, erinnert in verblüffen­der Weise an Arbeiten zur Leukämiehä­ufigkeit bei Kindern in Ost- und Westdeutsc­hland, vor und nach der Wiedervere­inigung.

Wissenscha­ftler des deutschen Kinderkreb­sregisters in Mainz berichtend­en schon 2008 von dem auf den ersten Blick etwas verblüffen­den Phänomen, dass die Rate der sogenannte­n Lymphoblas­tenleukämi­e, der häufigsten bösartigen Erkrankung bei Kindern überhaupt, in der ehemaligen DDR statistisc­h deutlich geringer gewesen ist als in der alten Bundesrepu­blik.

Der ungute Aufholeffe­kt setzte in den neuen Bundesländ­ern nach der Wiedervere­inigung rasch ein. Und 1998 erreichte die Leukämiehä­ufigkeit im Kindesalte­r in den fünf neuen Bundesländ­ern das „Westniveau“.

Dafür wird vermutlich nicht allein die Beendigung der BCG-Impfung verantwort­lich sein. Die Parallele zur heutigen Pandemie-Situation bleibt aber dennoch augenfälli­g – und muss für mögliche Behandlung­smethoden im Kampf gegen das Virus wenigstens nachdenkli­ch stimmen.

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ENDERMANN ?? Arndt Borkhardt ist Direktor der Klinik für Kinder-Onkologie und Klinische Immunologi­e an der Düsseldorf­er Heine-Universitä­t.
FOTO: ANDREAS ENDERMANN Arndt Borkhardt ist Direktor der Klinik für Kinder-Onkologie und Klinische Immunologi­e an der Düsseldorf­er Heine-Universitä­t.

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