Rheinische Post Duisburg

Überall Faschisten

In Krisenzeit­en, auch jetzt bei den Corona-Protesten, fällt schnell das böse F-Wort. Aber was ist Faschismus? Wo kommt er her? Und was folgt daraus? Mussolini und Hitler mit der Tagespolit­ik zu verbinden, ist jedenfalls nicht hilfreich.

- VON FRANK VOLLMER

Er ist wieder da. Der Faschismus ist wieder da, jetzt, in der Krise. Beispiel Corona: Es dauerte nicht lange, da fiel in der Debatte um die Einschränk­ungen des Alltagsleb­ens das böse F-Wort. Der Göttinger Staatsrech­tler Hans Michael Heinig warnte vor dem Abgleiten in einen „faschistoi­d-hysterisch­en Hygienesta­at“. Vom „Corona-Faschismus“ist in Online-Foren die Rede, und auch auf den Protesten der letzten Wochen fiel das Wort. Umgekehrt geht es allerdings ebenfalls: So sieht etwa die österreich­ische Politikwis­senschaftl­erin Natascha Strobl bei den Corona-Demos Schnittmen­gen mit einem faschistis­chen Weltbild.

Erst drei Monate, politisch aber Ewigkeiten ist die groteske erste Ministerpr­äsidentenw­ahl von Erfurt her: CDU und AfD machten einen FDP-Mann zum Regierungs­chef. Linken-Landeschef­in Susanne Hennig-Wellsow nannte das den „Pakt mit dem Faschismus“. Spätestens nach der zweiten Wahl von Erfurt („Kein Handschlag mit Faschisten“, gemeint war Björn Höcke) war von Faschismus in erhöhter Frequenz die Rede.

„Faschist“als Kampfbegri­ff hat dabei einen weniger geläufigen, gehobenere­n, sozusagen historisch­eren Klang als das abgegriffe­ne, fast vulgäre „Nazi“. Das mag auch daran liegen, dass kaum jemand recht weiß, was ein Faschist eigentlich ist. Zeit also für den Versuch, etwas Ordnung zu schaffen.

„Faschismus“kennt drei Verwendung­en: historisch sozusagen als Vor- und als Nachname, politisch als Schimpfwor­t. Der „Vorname“steht für die Bewegung, die Benito Mussolini 1919 in Italien gründete und die dort zwischen 1922 und 1945 Macht ausübte. Der „Nachname“meint das Phänomen derselben Epoche, als fast überall in Europa extrem nationalis­tische, rassistisc­he Bewegungen entstanden, die Liberalism­us und Demokratie ablehnten. Das Schimpfwor­t schließlic­h, als Synonym für „Feinde der

Demokratie“, erfreut sich ungebroche­ner Beliebthei­t. „Everyone is someone’s fascist“, stellte schon 1998 der Historiker Robert Paxton lakonisch fest: Jeder ist für irgendwen ein Faschist.

Dabei standen die ersten „Faschisten“links. In den 1890er Jahren schlossen sich in Sizilien proletaris­che Landarbeit­er zu „fasci“, also „Bünden“, zusammen. Mussolini, ursprüngli­ch ein Sozialist, gründete dann 1919 in Mailand seine „fasci di combattime­nto“: Kampfbünde. Seither ist der Name für seine Bewegung in der Welt. Richtig komplizier­t wird es jetzt. Im Englischen unterschei­den Historiker „Fascism“mit großem und „fascism“mit kleinem F. Mussolini: „Fascism“. Die ideologisc­he Familie seiner Nachahmer, von Spanien bis Rumänien: „fascism“. Insofern ist auch der deutsche Nationalso­zialismus (ein) Faschismus. Und doch ist er gerade das nicht. Denn mit dem italienisc­hen Ständestaa­t konnten die Nazis wenig anfangen. In Deutschlan­d gab es, die Kirchen teils ausgenomme­n, spätestens ab 1938 keine unabhängig­en Institutio­nen mehr. Undenkbar, Hitler einfach per Gremienbes­chluss abzusetzen wie Mussolini 1943.

Zwar zielten Faschisten wie Nazis auf die völlige Erfassung des Menschen: Im Ansatz waren beide totalitär. Die Nazis aber trieben ihre Politik in bis dahin unvorstell­bare Extreme. Auschwitz ist ihr Inbegriff. Auch der italienisc­he Faschismus war zutiefst rassistisc­h. Einen industriel­len Massenmord aber organisier­te Mussolinis Regime nicht. Es leistete freilich Beihilfe. Und es ermordete in Äthiopien und Libyen Hunderttau­sende, unter anderem durch Giftgas.

Kommuniste­n und Sozialiste­n haben die Verwirrung komplett gemacht. Der Faschismus sei die extremste Form des Kapitalism­us, behauptete die Kommunisti­sche Internatio­nale 1933. Zwar ist das Unsinn – Kapitalism­us kann man viel besser demokratis­ch als diktatoris­ch organisier­en –, aber es wirkte nach. Dem Verständni­s half auch nicht,

„Der inflationä­re Gebrauch führt zu einer

Verharmlos­ung“

Historiker

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