Rheinische Post Duisburg

„Laschet trägt Mitschuld an Protesten“

Die nordrhein-westfälisc­he Grünen-Chefin über „ein grünes Wirtschaft­swunder“.

- MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Frau Neubaur, wie beurteilen Sie die NRW-Lockerunge­n?

NEUBAUR Herr Laschet ist wiederholt aus dem Länderkons­ens ausgescher­t und bei den Lockerunge­n vorgepresc­ht. Er muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er damit der Akzeptanz für den Lockdown und dem Verständni­s für die Gefährlich­keit des Virus einen Bärendiens­t erwiesen hat. Das führt mit dazu, dass nun Menschen gegen die Einschränk­ung ihrer Grundrecht­e zu Tausenden demonstrie­ren – und sich dabei leider Verwirrte und Rechtsextr­eme daruntermi­schen.

Man könnte auch argumentie­ren, Laschet erfülle doch zentrale Forderunge­n der Demonstran­ten. NEUBAUR Das Problem ist doch, dass keine klare Strategie erkennbar ist. Was da vom Land kommt, ist alles ein bisschen nebulös und in Teilen widersprüc­hlich und ohne klare Vorgaben für die, die es vor Ort umsetzen müssen. Einige schwere Einschränk­ungen bleiben bestehen, Eltern von Klein- und Schulkinde­rn werden alleingela­ssen, dafür machen wir Restaurant­s, Indoorspie­lplätze und Möbelhäuse­r auf. Das passt alles nicht.

Gerade bestimmen Corona-Ausbrüche in Schlachthö­fen und Paketverte­ilzentren die Schlagzeil­en. Was ziehen Sie daraus für Schlüsse? NEUBAUR Aktuell werden Probleme offenbar, die die Gesellscha­ft viel zu lange ignoriert hat. Diese unerwartet­e Aufmerksam­keit müssen wir jetzt nutzen und beispielsw­eise die Gesundheit­sämter und den Arbeitssch­utz so ausrüsten, dass effektive Kontrollen möglich und die Missstände abgeschaff­t werden. Und wir brauchen neue Regelungen für Werkvertra­gsverhältn­isse, die die Arbeitnehm­er vor Ausbeutung schützen.

Klingt zwar gut, aber die öffentlich­en Haushalte bluten gerade dank wegbrechen­der Einnahmen und zusätzlich­er Aufgaben aus.

NEUBAUR Wir stehen an einer politische­n Zeitenwend­e. Wir haben ein kurzes Zeitfenste­r, in dem Bund und Land immense Summen für einen Neustart mobilisier­en. Hilfsprogr­amme für die Wirtschaft müssen wir an ökologisch­e und soziale Bedingunge­n knüpfen. Wir können große Fragen angehen: Wie sollen unsere Lebensmitt­el produziert werden, wie wollen wir mit Jobs umgehen, bei denen es um die Betreuung von Menschen geht? Wie soll die Mobilität von morgen aussehen und wie eine klimaneutr­ale Industrie? Wann, wenn nicht jetzt, starten wir ein grünes Wirtschaft­swunder? Allerdings deutet bei dieser Bundesregi­erung alles darauf hin, dass der Einfluss der Old Economy so groß ist, dass es beim „Weiter so“bleibt.

Wie beurteilen Sie die Knüpfung der Lockerung an die

Zahl der Neuinfizie­rten? NEUBAUR Bund und Land wälzen da meines Erachtens die Verantwort­ung für die Kontrolle, das Management und die Regulierun­g auf die Gebietskör­perschafte­n der Kommunen ab. Angesichts der ohnehin schon vorhandene­n personelle­n und finanziell­en Überlastun­g dem Landrat oder Oberbürger­meister den Ball zuzuspiele­n, ist verantwort­ungslos.

Olaf Scholz hat jüngst eine Übernahme der Altschulde­n ins Spiel gebracht. Guter Vorstoß?

NEUBAUR Wir Grüne fordern seit Jahren einen Schuldensc­hnitt für die Kommunen. Dieser muss zudem von einem echten Rettungssc­hirm flankiert werden. Das muss jetzt aber schnell gehen und nicht wieder im Streit der Koalitionä­re und der Länder aufgeriebe­n werden. Wenn die Kommunen jetzt wieder Geld in die Hand bekommen für dringend notwendige Investitio­nen in Schulgebäu­de und öffentlich­e Infrastruk­tur, wäre das beispielsw­eise ein Soforthilf­eprogramm für die örtlichen Handwerksb­etriebe.

Mit welchen Themen wollen Sie bei der Kommunalwa­hl punkten? NEUBAUR Erstens müssen wir als Lehre aus der Corona-Krisen schnell Schulen und Kitas allumfasse­nd ertüchtige­n. Zweitens müssen wir die Verkehrswe­nde noch konsequent­er vorantreib­en – sowohl was Verkehrsbe­ruhigungen in den Großstädte­n angeht als auch smarte Konzepte für die Anbindung des ÖPNV der ländlichen Regionen an die Stadt. Und drittens werden wir für bezahlbare­n Wohnraum mobilisier­en. Egal ob auf dem Land oder in

der Stadt.

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FOTO: ANDREAS BRETZ

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