Schulden für den Wiederaufbau
Der Vorschlag aus Paris und Berlin für den wirtschaftlichen Neustart nach der Corona-Krise düpiert zwar die EU-Kommission. Dennoch dürfte deren Präsidentin Ursula von der Leyen dem Milliardenplan viel abgewinnen können.
BRÜSSEL Deutschland und Frankreich haben einen Vorschlag zur Finanzierung des wirtschaftlichen Wiederaufbaus im EU-Binnenmarkt gemacht. Der EU-Kommission soll erlaubt werden, 500 Milliarden Euro als Schulden an den Finanzmärkten aufzunehmen. Mit dem Geld sollen die Branchen und Regionen gefördert werden, in denen die Schäden am größten sind.
Was besagt der Vorschlag?
Die Mitgliedstaaten sollen der Kommission Garantien für Kredite im Umfang von 500 Milliarden Euro geben. Die Garantien der Staaten dienen als Sicherheit für Kredite, die die Kommission in Form von Anleihen aufnimmt. Eine Garantie bedeutet, dass das jeweilige Mitgliedsland für eine bestimmte Summe haftet, sollten die Anleihen nicht mehr bedient werden. Der Wiederaufbaufonds wird im mehrjährigen Finanzrahmen der EU für die Jahre 2021 bis 2027 angesiedelt. Die Kommission erarbeitet die Kriterien für die Vergabe der Gelder und überwacht die Programme. Die Schulden sollen über einen verbindlichen Rückzahlungsplan getilgt werden. Die EU-Mitgliedstaaten bekommen die Gelder nicht als Kredite, sondern als Zuwendungen.
Was kostet das den Steuerzahler? Zunächst einmal nichts. Die Zinsen für die Kredite werden aus dem EU-Haushalt gezahlt. Mittelfristig werden aber die Mitgliedstaaten mehr Geld nach Brüssel überweisen müssen als bisher, damit die Schuldenlast abgetragen wird. Die Schulden von heute sind die höheren EU-Mitgliedsbeiträge von morgen.
Wie verträgt sich das mit dem Verbot für die EU, Schulden zu machen?
Das Verbot bleibt bestehen. Es wird eine rechtliche Konstruktion gefunden, die EU-rechtskonform ist. Über die Konstruktion durch die Garantien sind es die Mitgliedstaaten, die das Haftungsrisiko tragen. Kritiker werden in der Konstruktion des Fonds daher einen Einstieg in die Vergemeinschaftung von Schulden sehen. Tatsächlich ist es aber nicht das erste Mal, dass in Europa über Garantien der Staaten hohe Summen mobilisiert werden. Der Wiederaufbaufonds soll über den gleichen Mechanismus finanziert werden wie das erste Griechenlandpaket und wie das gerade beschlossene Programm für Kurzarbeiterregelungen. Allerdings ist diesmal das Volumen mit 500 Milliarden Euro so hoch wie noch nie zuvor. Es entspricht mehr als zwei EU-Jahreshaushalten.
Bekommen wir Eurobonds über die Hintertür?
Nein. Die von Deutschland verhinderten Eurobonds wären auf eine Vergemeinschaftung von Altschulden hinausgelaufen. Davon kann hier keine Rede sein. Beim Wiederaufbaufonds liegt die Entscheidung über die Verwendung der Mittel nicht bei den Mitgliedstaaten, sondern bei der Kommission. Außerdem haftet beim Fonds jedes Land nur mit der Summe, für die es Garantien ausgesprochen hat.
Wie verträgt sich der Vorschlag mit den Plänen der Kommission?
Die Finanzkonstruktion – Mobilisierung von Krediten über Garantien der Mitgliedstaaten – ist gleich. Aber es gibt auch gravierende Unterschiede: Die Kommission wollte ein Notfallinstrument schmieden, Deutschland und Frankreich wollen das Geld ganz normal in den bestehenden Programmen des EU-Haushaltes zur
Auszahlung bringen. Die Kommission wollte den Fond unbegrenzt laufen lassen, der deutsch-französische Vorschlag sieht eine genau definierte zeitliche Befristung vor.
Wie wird die Kommission mit dem Vorschlag umgehen?
Kommende Woche will die EU-Kommission ihren Vorschlag für den mehrjährigen EU-Haushalt und den Wiederaufbaufonds vorlegen. Kommissionspräsidentin Ursula
dürfte aber erkennen, dass das Merkel-Macron-Papier durchaus Charme hat: Zum einen stehen mit Deutschland und Frankreich die beiden größten Mitgliedstaaten, die knapp die Hälfte der EU-Wirtschaftsleistung verkörpern, hinter dem Konzept. Zum anderen dürften gute Chancen auf eine Zustimmung im Europaparlament bestehen.
Wie wahrscheinlich ist, dass sich der Vorschlag durchsetzt?
Hoch: Die von der Krise besonders gebeutelten Südeuropäer signalisieren Zustimmung, weil sie das Geld brauchen und ihnen Zuwendungen lieber als Kredite sind. Dänen, Österreicher, Schweden und Niederländer signalisieren Ablehnung. Beobachter glauben aber, dass sich das noch ändern dürfte, wenn ein Teil des Geldes nur als Darlehen ausgezahlt wird. Die von der Corona-Krise nicht so schwer getroffenen Osteuropäer werden wohl zustimmen, wenn sie keine Abstriche bei den Agrarhilfen machen müssen.