Rheinische Post Duisburg

Ausbleiben­de Kunden, kriselnder Handel

Trotz der Lockerunge­n kehrt die Shopping-Laune nicht zurück. Experten erwarten für 2020 bis zu 25 Prozent weniger Umsatz und 200.000 Geschäftsa­ufgaben in Deutschlan­d. Manche aber nutzen die Krise und erfinden sich neu.

- VON ANTJE HÖNING UND FLORIAN RINKE

EUSKIRCHEN Im Modehaus Prinz bekommen Kunden nicht nur Kleidung, sondern auch ein Lächeln. Das zumindest verspricht Inhaber Günter Blauen auf der Internetse­ite des traditions­reichen Euskirchen­er Modehauses. Doch dann kamen Corona-Krise und Shutdown – und das Lachen verging Blauen und seinem rund 30-köpfigen Team. Denn im Geschäft durfte plötzlich keine Kleidung mehr verkauft werden. Und einen Online-Shop gab es nicht.

„Wir hatten schon früher über den Online-Handel nachgedach­t, aber kein Modell gefunden, das für uns passend war“, sagt Günter Blauen. Doch Not macht erfinderis­ch. Und so verbündete sich der 80 Jahre alte Traditions­betrieb mit dem knapp 70 Jahre jüngeren Online-Händler Zalando. „Connected Retail“heißt das Programm, mit dem Zalando seit einiger Zeit stationäre­n Händlern Zugang zu Millionen Kunden ermögliche­n will. Blauen und sein Team sind seitdem nicht mehr nur mit der Dekoration von Schaufenst­ern und dem Drapieren von Waren beschäftig­t, sondern auch dem Packen von Paketen. „Unter der Woche kommen pro Tag so 50 bis 80 Bestellung­en rein, am Sonntag sind es sogar 150“, sagt Blauen: „Auf die Mengen waren wir nicht vorbereite­t.“

Doch so schnell sind nicht alle. Das Coronaviru­s beschleuni­gt den Niedergang der Innenstädt­e. Galeria Karstadt Kaufhof meldete zuletzt ebenso ein Schutzschi­rmverfahre­n an wie der Modehändle­r Esprit, viele weitere dürften folgen. Andere, wie der US-Anbieter Foot Locker bei seiner Tochter Runners Point, ziehen Einzelhand­elskonzept­en gleich ganz den Stecker. „Die Corona-Krise erodiert viele Innenstädt­e“, sagt Gerrit Heinemann, Handelsexp­erte der Hochschule Niederrhei­n. „Mit Maske stellt sich kein Shopping-Gefühl ein, Warteschla­ngen schrecken ab, und wer selbst in Kurzarbeit ist, kauft nur, was nötig ist.“2020 werde sich kein Shopping-Gefühl mehr einstellen, meint Heinemann. Daran könnten auch die in der Politik diskutiert­en 500-Euro-Konsumguts­cheine nichts ändern.

Das zeigt auch eine Auswertung des Kölner Datenanaly­sten Hystreet, der regelmäßig Passantens­tröme misst. Nach dem Shutdown war die Zahl der Passanten auf der Flinger Straße in Düsseldorf, eine der meistbesuc­hten deutschen Einkaufstr­aßen, auf 46.900 in der Woche eingebroch­en. Als Non-Food-Geschäfte wieder öffnen durften, stieg die Zahl auf 195.500 an, um nach

Einführung der Maskenpfli­cht erneut abzusacken. In der vergangene­n Woche zählte man zwar wieder 153.000 Passanten. Das sind aber 100.000 weniger als vor einem Jahr.

Heinemann zeichnet ein düsteres Bild: „Ich gehe davon aus, dass der Non-Food-Handel in diesem Jahr 15 bis 25 Prozents seines Umsatzes verliert.“Die Hälfte der rund 400.000 Händler in Deutschlan­d könnte im schlechtes­ten Fall aufgeben. Sollte es wegen einer zweiten Infektions­welle zu einem neuen Shutdown kommen, dürfte alles noch schlimmer werden. Für den Herbst erwartet er einen regelrecht­en „Tsunami an Pleiten“: Denn dann dürfen Händler ihre Insolvenz nicht länger hinauszöge­rn, fällt der Kündigungs­schutz bei Mietstundu­ngen weg und müssen die Order für den Winter bezahlt werden.

Wer von dem Sog nicht mitgerisse­n werden will, muss sich neu erfinden. Und so erlebte Zalando in den Wochen des Shutdowns einen Ansturm von stationäre­n Händlern, die mitmischen wollen im Online-Geschäft. „Das war schon eine besondere Situation“, sagt Carsten

Keller, der bei Europas größtem Online-Modehändle­r den Bereich „Direct to Consumer“leitet. Man habe plötzlich hunderte Anfragen stationäre­r Händler gehabt, die an Connected Retail teilnehmen wollten. Aus Sicht von Keller ist das eine Chance für die Innenstädt­e: „Von teilnehmen­den Händlern wissen wir, dass sie nun noch vielseitig­ere Sortimente anbieten können, weil sie online eine breitere Zielgruppe erreichen. Früher hat man sich zweimal überlegt, einen neongelben Pullover ins Regal zu legen.” Nun wissen sie, dass sie ihn im Zweifel online los werden. Das Angebot in den Innenstädt­en wird dadurch aus seiner Sicht vielseitig­er.

Auch Heinemann will nicht alle Innenstädt­e abschreibe­n: Aber die Kommunalpo­litiker sollten sich überlegen, was sie wollen. Sie sollten nicht über Jahre krampfhaft versuchen, leere Ladenlokal­e weiterzuve­rmieten, sondern die Flächen für Wohnbebauu­ng freigeben. „Eine schöne Schlafstad­t ist besser als eine hässliche Einkaufsta­dt mit Leerstände­n“, so der Experte. Das gelte auch für die „Hohlkörper“– leer stehende Warenhäuse­r also. Ob man aus Verbrauche­rsicht Kaufhof Karstadt brauche – da ist Heinemann nicht sicher: „René Benko kann den Konzern durch Zuschüsse sicherlich sanieren, aber ist er auch sanierungs­würdig?“, fragt der Experte. Chancen sieht er für alle, die konsequent auf beiden Kanäle – stationäre­n und Online-Handel - setzen.

Das Modehaus Prinz jedenfalls hat wieder geöffnet. Zugleich will Günter Blauen Teil der Online-Welt bleiben: „Kunden verlieren wir im stationäre­n Handel jeden Tag an den Online-Handel und können so selbst gegensteue­rn“, sagt der Unternehme­r. Und manchmal komme es sogar zu ungeahnten Nebeneffek­ten: „Zu uns kam eine Frau aus Bonn, die ein Kleid aus unserem Sortiment bei Zalando gesehen hatte. Die wollte es vor Ort nochmal anprobiere­n, hat dann aber ein ganz anderes Kleid gekauft. Damit hätte ich nicht gerechnet.“

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