Rheinische Post Duisburg

Rückkehr aus der dritten Reihe

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Martin Schulz, der nie um ein offenes Wort verlegen ist und den Kontakt zu Menschen sucht, war seit seiner krachenden Niederlage als SPD-Kanzlerkan­didat in der dritten Reihe der Bundespoli­tik nahezu verschwund­en. Im Dezember soll das anders werden. Dann will er Chef der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) werden und – wenn auch nicht in der ersten Reihe – wieder eine bedeutende­re Rolle im Kosmos der Sozialdemo­kraten spielen.

An diesem Montag stellt er sich bei der Vorstandss­itzung der FES als Kandidat vor. Der amtierende Vorsitzend­e Kurt Beck (71) hat „aus Altersgrün­den“angekündig­t, nicht mehr anzutreten – und Schulz (64) als seinen Nachfolger für die Wahl vorgeschla­gen.

Beck und Schulz haben beide Erfahrunge­n mit unterirdis­chen Umgangsfor­men innerhalb ihrer Partei gemacht. Beck wurde 2008 als Parteichef beim „Drama vom Schwielows­ee“unwürdig aus dem Amt gedrängt. Und Schulz bekam nach seiner Niederlage bei der Bundestags­wahl 2017 intern sehr konkret zu spüren, dass es nun besser sei, er würde sich zurückzieh­en. Der jetzige Kanzlerkan­didat Olaf Scholz spielte dabei eine zentrale Rolle. Monate später

Der ehemalige Kanzlerkan­didat der SPD muss wahrschein­lich nicht mehr lange ohne Posten herumlaufe­n. Er soll den Chefsessel der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung übernehmen.

sprachen sich Schulz und Scholz – einem gewissen Geltungsdr­ang folgend – öffentlich in einem Doppelinte­rview aus.

Schulz, so möchte man nun meinen, ist rehabiliti­ert. Niemand ist ihm wirklich böse, den letzten Wahlkampf gegen Angela Merkel mit dem bis dato schlechtes­ten SPD-Ergebnis der Nachkriegs­geschichte

beendet zu haben und nach dem Jamaika-Aus doch wieder in eine zuvor ausgeschlo­ssene große Koalition gegangen zu sein. Seine Fehler im Wahlkampf ließ die Parteispit­ze in einer umfangreic­hen Analyse aufarbeite­n. Politische Bedeutung wird Schulz aus dem Präsidente­nsessel der FES aber nicht zurückerla­ngen. Und dennoch dürfte ihm der Wechsel gut tun. Der Mann aus Würselen bei Aachen, der sich in den 1970er Jahren mit einer Lehre als Buchhändle­r aus einer Alkoholsuc­ht befreite, hatte es über die Jahre bis ins Präsidente­namt des Europaparl­aments geschafft. Schulz saß mit allen Mächtigen des Kontinents am Tisch. Er war es, der selbstbewu­sst einen griechisch­en Abgeordnet­en wegen rassistisc­her Äußerungen aus dem Plenarsaal warf und auch später als Abgeordnet­er im Bundestag deutliche Worte gegen die AfD fand. Schulz, das wird jetzt deutlich, hat noch nicht genug. Seine Familie ist ihm wichtig. Wird er im Dezember gewählt, tritt ein profiliert­er Europakenn­er, der sechs Sprachen beherrscht, an die Spitze der ältesten politische­n Stiftung Deutschlan­ds. Für die seit 95 Jahren existieren­de FES und Schulz selbst dürfte das ein Gewinn sein.

Jan Drebes

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