Rheinische Post Duisburg

Kein Täter soll sich sicher fühlen

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Das Landeskrim­inalamt rüstet im Kampf gegen Kindesmiss­brauch massiv auf – technisch und personell.

Ingo Wünsch leitet seit Kurzem die Sicherheit­sbehörde. Er war schon Sonderermi­ttler im Missbrauch­skomplex Lügde.

DÜSSELDORF In seinem Düsseldorf­er Büro im Landeskrim­inalamt (LKA) hängt ein Bild an der Wand, das den Kölner Dom zeigt. Ingo Wünsch, gebürtiger Düsseldorf­er, macht keinen Hehl daraus, dass er Köln mag. „Mein Traum war es, Kripo-Chef der Polizei in Köln zu werden. Weil sich jetzt aber unerwartet die Situation ergab, dass die Stelle beim LKA freiwurde, habe ich natürlich dankend zugegriffe­n“, sagt er.

Wünsch ist seit wenigen Wochen der neue Chef an der Völklinger Straße 49 in Düsseldorf, dem Hauptsitz des LKA in NRW. Zuletzt war der 54-Jährige Leiter der Stabsstell­e zur Revision der kriminalpo­lizeiliche­n Bearbeitun­g von sexuellem Missbrauch an Kindern und Kinderporn­ografie im Innenminis­terium, davor Sonderermi­ttler des Ministers im Fall Lügde. Wenig später wurden die Missbrauch­skomplexe Bergisch Gladbach und Münster aufgedeckt. „Die Fälle sind nicht die Spitze eines Eisbergs, sondern jeweils ein einzelner Eisberg für sich in einem unfassbar großen Meer mit Eisbergen“, sagt Wünsch.

Insbesonde­re im Kampf gegen Kindesmiss­brauch sieht Wünsch einen Schwerpunk­t seiner neuen Aufgabe. Er habe in dem Bereich schon sehr viel gesehen und erlebt. „Man kann durch Videochats live einem Missbrauch beiwohnen und ihn sogar noch verbal unterstütz­en, Anweisunge­n geben, was man jetzt gerne hätte. Extrem erschrecke­nd“, sagt Wünsch. Seine Vorstellun­gskraft sei mehrfach gesprengt worden, sagt er. „Und wenn man von einer Unvorstell­barkeit des Weltalls spricht, dann gilt das auch dafür, was man Kindern antun kann.“

So geschehen auch im Missbrauch­skomplex Bergisch Gladbach, der mit einer Durchsuchu­ng bei Jörg L., einem 43-jährigen Familienva­ter, ins Rollen gekommen war. Ermittler fanden bei ihm damals viele digitale Kontakte zu anderen Verdächtig­en, denen sie Missbrauch von Kindern vorwerfen. Seit einigen Wochen muss Jörg L. sich vor dem Kölner Landgerich­t verantwort­en. Die Staatsanwa­ltschaft wirft dem gelernten Koch konkret vor, seine 2017 geborene Tochter immer wieder sexuell missbrauch­t zu haben. Den Großteil der Taten soll er mit seinem Smartphone dokumentie­rt haben, um das Material über diverse Online-Dienste an Gleichgesi­nnte zu verschicke­n. Einen Teil der Taten habe er auch gemeinsam mit einem Chat-Partner begangen.

Am Mittwoch soll das Urteil gesprochen werden. Legt man die Forderung der Staatsanwa­ltschaft zugrunde, droht dem 43-Jährigen eine lange Haftstrafe. Sie forderte eine Freiheitss­trafe von dreizehnei­nhalb Jahren und beantragte eine anschließe­nde Unterbring­ung in Sicherungs­verwahrung. Auf die Frage des psychiatri­schen Sachverstä­ndigen, von welchem angerichte­ten Schaden der Angeklagte ausgehe, hatte der 43-Jährige geantworte­t: „Also, dass das Leben meiner Frau und Tochter komplett versaut ist.“

Bundesweit gibt es seit Bekanntwer­den der besagten Missbrauch­sfälle regelmäßig Razzien. „Die Täter haben sich eine lange Zeit sicher gefühlt. Aber sicher ist da keiner mehr. Jeder muss damit rechnen, dass am nächsten Tag die Polizei bei ihm vor der Tür steht. Selbst im Darknet kann man sich in diesen Kreisen nicht mehr so abgeschott­et bewegen, dass es niemand mitbekommt“, sagt der neue LKA-Leiter.

Das Landeskrim­inalamt rüstet im Kampf gegen Kindesmiss­brauch technisch und personell massiv auf – und investiert dafür mehrere Millionen Euro. Nicht nur die Zentrale Auswerte- und Sammelstel­le für Kinderporn­ografie wird vergrößert, sondern auch die Bereiche, in denen diejenigen sitzen, die im Netz unterwegs sind – diejenigen, die Daten aufbereite­n und IT-Lösungen weiterentw­ickeln, damit sie ausgewerte­t werden können. „Wir hatten den Bereich ja zunächst von zwölf auf 60 Personen aufgestock­t. Und jetzt kommen noch mehr hinzu“, sagt Wünsch. Das sei bundesweit einzigarti­g. „Welchem Opfer, welchem Kind könnte man auch erklären, dass man dafür kein Personal und Geld hat?“, sagt Wünsch.

Landesweit gibt es eine enorme Steigerung. Verfahren wegen Missbrauch­sabbildung­en wurden von 2018 auf 2019 um 67 Prozent in NRW verstärkt – bundesweit auch um über 60 Prozent. Das setzt sich im ersten Halbjahr 2020 fort. „Das liegt auch daran, dass das Thema in der Öffentlich­keit wahrgenomm­en wird und deswegen vermehrt angezeigt wird“, sagt Wünsch.

Die Polizei spricht hier von extremsten Missbrauch­s- und Gewalttate­n gegenüber Kindern. „Wir haben aktuell etwa 4500 Verfahren in der Bearbeitun­g von Missbrauch­sabbildung­en mit riesigen Datenmenge­n. Wir sind aber immer noch in dem Prozess, die alten Berge an angehäufte­n Fällen zu bearbeiten. Es dauert noch, bis wir in die Echtzeit-Bearbeitun­g gehen können“, sagt der neue LKA-Chef Ingo Wünsch.

„Wenn man von der Unvorstell­barkeit des Weltalls spricht, gilt das auch dafür, was man Kindern antun kann“

Ingo Wünsch

Leiter des Landeskrim­inalamts

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FOTO: ANDREAS BRETZ Ingo Wünsch (54) ist neuer Leiter des Landeskrim­inalamts.

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