Kein Täter soll sich sicher fühlen
Das Landeskriminalamt rüstet im Kampf gegen Kindesmissbrauch massiv auf – technisch und personell.
Ingo Wünsch leitet seit Kurzem die Sicherheitsbehörde. Er war schon Sonderermittler im Missbrauchskomplex Lügde.
DÜSSELDORF In seinem Düsseldorfer Büro im Landeskriminalamt (LKA) hängt ein Bild an der Wand, das den Kölner Dom zeigt. Ingo Wünsch, gebürtiger Düsseldorfer, macht keinen Hehl daraus, dass er Köln mag. „Mein Traum war es, Kripo-Chef der Polizei in Köln zu werden. Weil sich jetzt aber unerwartet die Situation ergab, dass die Stelle beim LKA freiwurde, habe ich natürlich dankend zugegriffen“, sagt er.
Wünsch ist seit wenigen Wochen der neue Chef an der Völklinger Straße 49 in Düsseldorf, dem Hauptsitz des LKA in NRW. Zuletzt war der 54-Jährige Leiter der Stabsstelle zur Revision der kriminalpolizeilichen Bearbeitung von sexuellem Missbrauch an Kindern und Kinderpornografie im Innenministerium, davor Sonderermittler des Ministers im Fall Lügde. Wenig später wurden die Missbrauchskomplexe Bergisch Gladbach und Münster aufgedeckt. „Die Fälle sind nicht die Spitze eines Eisbergs, sondern jeweils ein einzelner Eisberg für sich in einem unfassbar großen Meer mit Eisbergen“, sagt Wünsch.
Insbesondere im Kampf gegen Kindesmissbrauch sieht Wünsch einen Schwerpunkt seiner neuen Aufgabe. Er habe in dem Bereich schon sehr viel gesehen und erlebt. „Man kann durch Videochats live einem Missbrauch beiwohnen und ihn sogar noch verbal unterstützen, Anweisungen geben, was man jetzt gerne hätte. Extrem erschreckend“, sagt Wünsch. Seine Vorstellungskraft sei mehrfach gesprengt worden, sagt er. „Und wenn man von einer Unvorstellbarkeit des Weltalls spricht, dann gilt das auch dafür, was man Kindern antun kann.“
So geschehen auch im Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach, der mit einer Durchsuchung bei Jörg L., einem 43-jährigen Familienvater, ins Rollen gekommen war. Ermittler fanden bei ihm damals viele digitale Kontakte zu anderen Verdächtigen, denen sie Missbrauch von Kindern vorwerfen. Seit einigen Wochen muss Jörg L. sich vor dem Kölner Landgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem gelernten Koch konkret vor, seine 2017 geborene Tochter immer wieder sexuell missbraucht zu haben. Den Großteil der Taten soll er mit seinem Smartphone dokumentiert haben, um das Material über diverse Online-Dienste an Gleichgesinnte zu verschicken. Einen Teil der Taten habe er auch gemeinsam mit einem Chat-Partner begangen.
Am Mittwoch soll das Urteil gesprochen werden. Legt man die Forderung der Staatsanwaltschaft zugrunde, droht dem 43-Jährigen eine lange Haftstrafe. Sie forderte eine Freiheitsstrafe von dreizehneinhalb Jahren und beantragte eine anschließende Unterbringung in Sicherungsverwahrung. Auf die Frage des psychiatrischen Sachverständigen, von welchem angerichteten Schaden der Angeklagte ausgehe, hatte der 43-Jährige geantwortet: „Also, dass das Leben meiner Frau und Tochter komplett versaut ist.“
Bundesweit gibt es seit Bekanntwerden der besagten Missbrauchsfälle regelmäßig Razzien. „Die Täter haben sich eine lange Zeit sicher gefühlt. Aber sicher ist da keiner mehr. Jeder muss damit rechnen, dass am nächsten Tag die Polizei bei ihm vor der Tür steht. Selbst im Darknet kann man sich in diesen Kreisen nicht mehr so abgeschottet bewegen, dass es niemand mitbekommt“, sagt der neue LKA-Leiter.
Das Landeskriminalamt rüstet im Kampf gegen Kindesmissbrauch technisch und personell massiv auf – und investiert dafür mehrere Millionen Euro. Nicht nur die Zentrale Auswerte- und Sammelstelle für Kinderpornografie wird vergrößert, sondern auch die Bereiche, in denen diejenigen sitzen, die im Netz unterwegs sind – diejenigen, die Daten aufbereiten und IT-Lösungen weiterentwickeln, damit sie ausgewertet werden können. „Wir hatten den Bereich ja zunächst von zwölf auf 60 Personen aufgestockt. Und jetzt kommen noch mehr hinzu“, sagt Wünsch. Das sei bundesweit einzigartig. „Welchem Opfer, welchem Kind könnte man auch erklären, dass man dafür kein Personal und Geld hat?“, sagt Wünsch.
Landesweit gibt es eine enorme Steigerung. Verfahren wegen Missbrauchsabbildungen wurden von 2018 auf 2019 um 67 Prozent in NRW verstärkt – bundesweit auch um über 60 Prozent. Das setzt sich im ersten Halbjahr 2020 fort. „Das liegt auch daran, dass das Thema in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird und deswegen vermehrt angezeigt wird“, sagt Wünsch.
Die Polizei spricht hier von extremsten Missbrauchs- und Gewalttaten gegenüber Kindern. „Wir haben aktuell etwa 4500 Verfahren in der Bearbeitung von Missbrauchsabbildungen mit riesigen Datenmengen. Wir sind aber immer noch in dem Prozess, die alten Berge an angehäuften Fällen zu bearbeiten. Es dauert noch, bis wir in die Echtzeit-Bearbeitung gehen können“, sagt der neue LKA-Chef Ingo Wünsch.
„Wenn man von der Unvorstellbarkeit des Weltalls spricht, gilt das auch dafür, was man Kindern antun kann“
Ingo Wünsch
Leiter des Landeskriminalamts