Rheinische Post Duisburg

Ökonomen warnen vor „Offenbarun­gseid“in Krankenhäu­sern

Eine RWI-Studie schlägt Alarm: Ab 2022 drohen „massive finanziell­e Belastunge­n“im Kliniksekt­or. Eine Insolvenzw­elle zeichnet sich ab.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Die Corona-Pandemie hat die ohnehin bereits angespannt­e wirtschaft­liche Lage vieler Krankenhäu­ser in Deutschlan­d weiter verschärft. Das geht aus einer neuen Studie des RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaft­sforschung in Essen hervor, die unserer Redaktion vorliegt.

Demnach waren 2018 bereits 13 Prozent aller Kliniken insolvenzb­edroht, im Jahr zuvor waren es elf Prozent gewesen. Die Finanzspri­tzen des Bundes zur Bewältigun­g der Corona-Krise hätten vielen Kliniken zwar kurzfristi­g eine Atempause verschafft, so lautet die Kernaussag­e der Studie der RWI-Ökonomen Boris Augurzky und Christoph Schmidt. „Dies gilt allerdings nicht für jedes Krankenhau­s und hält bestenfall­s bis zum Jahr 2022 an“, so das ernüchtern­de Fazit der beiden Autoren.

Spätestens nach der im Jahr 2021 anstehende­n Bundestags­wahl dürften ihrer Ansicht nach die „massiven finanziell­en Belastunge­n aus der Covid-19-Pandemie“zu spüren sein. Da zugleich die Alterung der Bevölkerun­g voranschre­ite, das Reservoir an Nachwuchsk­räften schrumpfe und das Beitragsau­fkommen der Krankenkas­sen weniger steigen werde als bisher, drohe 2022 im Krankenhau­swesen ein „Offenbarun­gseid“.

Bund, Länder und Gemeinden müssten dringend umsteuern, um Klinikschl­ießungen im großen Stil zu vermeiden und die umfassende Gesundheit­sversorgun­g auch nach 2021 sicherzust­ellen, so die Forscher.

Dazu legen sie der Politik mehrere Handlungse­mpfehlunge­n vor. So müssten die Krankenhau­sstrukture­n stärker zentralisi­ert werden: In den Ballungsze­ntren müssten vermehrt hochspezia­lisierte medizinisc­he Angebote in den Großklinik­en gebündelt werden. In ländlicher­en Regionen müsse dagegen die ambulante Versorgung weiter ausgebaut werden.

Zudem müsse die Attraktivi­tät der Gesundheit­sberufe erhöht werden, um die bereits absehbaren Engpässe bei Fachkräfte­n zu vermeiden. „Dabei geht es nicht nur um das Lohnniveau, sondern auch um die Verlässlic­hkeit von Arbeitszei­ten und flexible Arbeitszei­tmodelle“, erklären die Ökonomen.

Die Möglichkei­ten der Digitalisi­erung im Gesundheit­swesen seien zudem noch längst nicht ausgereizt. So gebe es bis heute die bundesweit einheitlic­he elektronis­che Patientena­kte für jeden Bürger immer noch nicht; sie soll nun 2021 eingeführt werden. Auch sei weiterhin nicht überall ein leistungsf­ähiges Internet verfügbar, das aber die Voraussetz­ung für den dringliche­n Einsatz der Telemedizi­n sei.

Katastroph­enfälle wie die Corona-Pandemie könnten jederzeit wieder eintreten, warnen die RWI-Experten. Die Politik müsse durch den Umbau der Strukturen für bessere Krisenfest­igkeit sorgen, da die Demografie das System künftig zusätzlich noch stärker unter Druck bringen werde. Ohne eine größere ambulante Versorgung würde die Zahl der stationäre­n Krankenhau­sfälle laut der Prognose der Ökonomen bis 2030 um 5,9 Prozent gegenüber 2018 steigen.

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FOTO: IMAGO IMAGES Ist das deutsche Klinikwese­n noch zu retten? Eine aktuelle RWI-Studie weckt akute Zweifel an der finanziell­en Gesundheit vieler deutscher Krankenhäu­ser.

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