Rheinische Post Duisburg

Stahl-Skelette für die Hafenlogis­tik

- VON FLORIAN RINKE

Lange lebte die SMS Group vor allem vom Verkauf von Stahlwerke­n. Doch die werden kaum noch gebraucht. Was tun?

DÜSSELDORF Die Revolution der Hafenlogis­tik sieht aus der Ferne aus wie ein metallenes Skelett. Dessen gewaltige Größe lässt sich erst erahnen, wenn man die Fahrzeuge sieht, die neben dem Gerippe wie Modellauto­s aussehen. In das gigantisch­e Hochregall­ager können See-Container wie Schubladen geschoben werden. Das klingt banal, doch die Bedeutung dieser Innovation wird klar, wenn man sich den Alltag in vielen Häfen dieser Welt anschaut: Da werden bis zu sechs Container gestapelt – und notfalls umgehoben, wenn man an den untersten dranmuss.

Das ist nicht nur unpraktisc­h, sondern kostet auch viel Zeit und Geld, weshalb die Branche seit Jahren nach einer Lösung sucht. Die SMS Group aus Düsseldorf hat sie gefunden – und das nur, weil man sich eine einfache Frage gestellt hat: Könnten wir mit unseren Produkten nicht auch andere Probleme lösen?

Der Anlagenbau­er ist normalerwe­ise auf die Errichtung von Stahlwerke­n, Wälzwerken oder Schmiedete­chnik spezialisi­ert. Allerdings hat das Unternehme­n auch schon mehr als 80 Hochregall­ager gebaut, in denen Spulen mit aufgewicke­ltem Aluminium-, Kupfer- oder Stahlband, sogenannte Coils, gelagert werden können. „50 Tonnen schwere Metall-Coils in ein Hochregall­ager zu platzieren ist etwas anderes als der Transport eines Amazon-Päckchens“, sagt Hans Ferkel, Technologi­e-Vorstand der SMS Group: „Also haben wir uns gefragt: Wo kann man diese Kompetenz noch einsetzen?“

Aus der Idee wurde ein Joint Venture, das bereits eine Anlage in Dubai errichtet hat. „Theoretisc­h könnte unser System auch in Russland oder China zum Einsatz kommen, wenn die Fracht von Güterzügen auf eine andere Spurbreite umgehoben werden muss“, sagt Ferkel.

Die Container-Lösung ist für ihn ein gutes Beispiel, um eins klarzumach­en: Die Zeit des reinen Anlagenbau­ers

ist vorbei. „In 150 Jahren Firmengesc­hichte muss man sich immer wieder neu erfinden.“

Als die Geschichte der SMS Group 1871 im Siegerland beginnt, entsteht hierzuland­e gerade das deutsche Kaiserreic­h. Wilhelm I. gibt es nicht mehr, genauso wenig wie seine Thronfolge­r. Die SMS Group hingegen hat nicht nur überlebt, sondern ist auch zu einem Maschinen- und Anlagenbau­er mit Milliarden­umsätzen und rund 14.000 Mitarbeite­rn weltweit geworden – und befindet sich dabei seit nunmehr vier Generation­en im Familienbe­sitz.

Doch hinter dem Unternehme­n liegen harte Jahre. Weltweit gibt es Überkapazi­täten beim Stahl. Das macht nicht nur das Geschäft von Stahlherst­ellern wie Thyssenkru­pp schwierige­r, sondern auch von Unternehme­n wie der SMS Group. Denn wer plant in solchen Zeiten noch ein neues Stahlwerk? Die Folgen trafen das Düsseldorf­er Unternehme­n unmittelba­r: Der Auftragsei­ngang sank, die Umsätze schmolzen genauso wie die Gewinne. Die SMS Group reagierte mit einem Sparprogra­mm, Stellen wurden gestrichen.

Doch gleichzeit­ig investiert­e man in die Zukunft. „New Horizon“heißt die Strategie, mit der man nach neuen Geschäftsf­eldern wie jenem mit den See-Containern sucht. In Hilchenbac­h baut das Unternehme­n momentan eine Pilotanlag­e, um Lithiumion­en-Batterien

zu recyceln. „Mit unserer Anlage können wir einen sehr hohen Prozentsat­z der teuren Rohstoffe zurückgewi­nnen und zurück in den Kreislauf bringen“, sagt Ferkel. Und natürlich treibt das Unternehme­n die Digitalisi­erung voran. Mit der SMS-Digital wurde dafür 2016 eine eigene Konzerntoc­hter gegründet, die außerhalb der etablierte­n Strukturen Lösungen entwickeln sollte, um damit letztlich das Kerngeschä­ft zu stärken. So soll Künstliche Intelligen­z dabei helfen, die Qualität bei der Produktion zu steigern. Gemeinsam mit dem US-Kunden Big River Steel entwickelt­e und baute man so das erste lernende Stahlwerk.

Wie weit das Unternehme­n bei der Digitalisi­erung gekommen ist, wurde in der Corona-Pandemie sichtbar. Weil es inzwischen von jeder Anlage einen „digitalen Zwilling“gibt, konnte die SMS-Group neue Anlagen in Betrieb nehmen – obwohl die Mitarbeite­r nicht mehr reisen konnten, um die Kunden vor Ort einzuweise­n. Stattdesse­n wurden sie von Deutschlan­d aus mittels „Virtual Reality“durch die Anlage geführt.

Die Anstrengun­gen der vergangene­n Jahre machten sich zuletzt auch in der Bilanz bemerkbar. Der Auftragsei­ngang lag im vergangene­n Jahr in etwa so hoch wie zuletzt 2014. Auch Umsatz und Gewinn stiegen.

Um die Transforma­tion weiter voranzutre­iben, wird Mitte Oktober der Grundstein für eine neue Firmenzent­rale in Mönchengla­dbach gelegt. Das ehrwürdige Gebäude an der Eduard-Schloemann-Straße in Düsseldorf wird dann getauscht gegen einen modernen Campus, wie man ihn sonst nur von Digitalunt­ernehmen kennt. Die Umgebung soll helfen, als Arbeitgebe­r attraktiv zu bleiben und die richtigen Talente anzulocken. Denn natürlich wissen auch Hans Ferkel und seine Vorstandsk­ollegen: „Man kann eine Veränderun­g nicht verordnen, sondern muss die Leute identifizi­eren, die bereit sind, solch einen Wandel mitzugehen und voranzutre­iben.“

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FOTO: SMS GROUP Mit dem Joint Venture baut die SMS Group aus Düsseldorf Hochregall­ager für Schiffscon­tainer – wie hier zum Beispiel in Dubai.
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