Stahl-Skelette für die Hafenlogistik
Lange lebte die SMS Group vor allem vom Verkauf von Stahlwerken. Doch die werden kaum noch gebraucht. Was tun?
DÜSSELDORF Die Revolution der Hafenlogistik sieht aus der Ferne aus wie ein metallenes Skelett. Dessen gewaltige Größe lässt sich erst erahnen, wenn man die Fahrzeuge sieht, die neben dem Gerippe wie Modellautos aussehen. In das gigantische Hochregallager können See-Container wie Schubladen geschoben werden. Das klingt banal, doch die Bedeutung dieser Innovation wird klar, wenn man sich den Alltag in vielen Häfen dieser Welt anschaut: Da werden bis zu sechs Container gestapelt – und notfalls umgehoben, wenn man an den untersten dranmuss.
Das ist nicht nur unpraktisch, sondern kostet auch viel Zeit und Geld, weshalb die Branche seit Jahren nach einer Lösung sucht. Die SMS Group aus Düsseldorf hat sie gefunden – und das nur, weil man sich eine einfache Frage gestellt hat: Könnten wir mit unseren Produkten nicht auch andere Probleme lösen?
Der Anlagenbauer ist normalerweise auf die Errichtung von Stahlwerken, Wälzwerken oder Schmiedetechnik spezialisiert. Allerdings hat das Unternehmen auch schon mehr als 80 Hochregallager gebaut, in denen Spulen mit aufgewickeltem Aluminium-, Kupfer- oder Stahlband, sogenannte Coils, gelagert werden können. „50 Tonnen schwere Metall-Coils in ein Hochregallager zu platzieren ist etwas anderes als der Transport eines Amazon-Päckchens“, sagt Hans Ferkel, Technologie-Vorstand der SMS Group: „Also haben wir uns gefragt: Wo kann man diese Kompetenz noch einsetzen?“
Aus der Idee wurde ein Joint Venture, das bereits eine Anlage in Dubai errichtet hat. „Theoretisch könnte unser System auch in Russland oder China zum Einsatz kommen, wenn die Fracht von Güterzügen auf eine andere Spurbreite umgehoben werden muss“, sagt Ferkel.
Die Container-Lösung ist für ihn ein gutes Beispiel, um eins klarzumachen: Die Zeit des reinen Anlagenbauers
ist vorbei. „In 150 Jahren Firmengeschichte muss man sich immer wieder neu erfinden.“
Als die Geschichte der SMS Group 1871 im Siegerland beginnt, entsteht hierzulande gerade das deutsche Kaiserreich. Wilhelm I. gibt es nicht mehr, genauso wenig wie seine Thronfolger. Die SMS Group hingegen hat nicht nur überlebt, sondern ist auch zu einem Maschinen- und Anlagenbauer mit Milliardenumsätzen und rund 14.000 Mitarbeitern weltweit geworden – und befindet sich dabei seit nunmehr vier Generationen im Familienbesitz.
Doch hinter dem Unternehmen liegen harte Jahre. Weltweit gibt es Überkapazitäten beim Stahl. Das macht nicht nur das Geschäft von Stahlherstellern wie Thyssenkrupp schwieriger, sondern auch von Unternehmen wie der SMS Group. Denn wer plant in solchen Zeiten noch ein neues Stahlwerk? Die Folgen trafen das Düsseldorfer Unternehmen unmittelbar: Der Auftragseingang sank, die Umsätze schmolzen genauso wie die Gewinne. Die SMS Group reagierte mit einem Sparprogramm, Stellen wurden gestrichen.
Doch gleichzeitig investierte man in die Zukunft. „New Horizon“heißt die Strategie, mit der man nach neuen Geschäftsfeldern wie jenem mit den See-Containern sucht. In Hilchenbach baut das Unternehmen momentan eine Pilotanlage, um Lithiumionen-Batterien
zu recyceln. „Mit unserer Anlage können wir einen sehr hohen Prozentsatz der teuren Rohstoffe zurückgewinnen und zurück in den Kreislauf bringen“, sagt Ferkel. Und natürlich treibt das Unternehmen die Digitalisierung voran. Mit der SMS-Digital wurde dafür 2016 eine eigene Konzerntochter gegründet, die außerhalb der etablierten Strukturen Lösungen entwickeln sollte, um damit letztlich das Kerngeschäft zu stärken. So soll Künstliche Intelligenz dabei helfen, die Qualität bei der Produktion zu steigern. Gemeinsam mit dem US-Kunden Big River Steel entwickelte und baute man so das erste lernende Stahlwerk.
Wie weit das Unternehmen bei der Digitalisierung gekommen ist, wurde in der Corona-Pandemie sichtbar. Weil es inzwischen von jeder Anlage einen „digitalen Zwilling“gibt, konnte die SMS-Group neue Anlagen in Betrieb nehmen – obwohl die Mitarbeiter nicht mehr reisen konnten, um die Kunden vor Ort einzuweisen. Stattdessen wurden sie von Deutschland aus mittels „Virtual Reality“durch die Anlage geführt.
Die Anstrengungen der vergangenen Jahre machten sich zuletzt auch in der Bilanz bemerkbar. Der Auftragseingang lag im vergangenen Jahr in etwa so hoch wie zuletzt 2014. Auch Umsatz und Gewinn stiegen.
Um die Transformation weiter voranzutreiben, wird Mitte Oktober der Grundstein für eine neue Firmenzentrale in Mönchengladbach gelegt. Das ehrwürdige Gebäude an der Eduard-Schloemann-Straße in Düsseldorf wird dann getauscht gegen einen modernen Campus, wie man ihn sonst nur von Digitalunternehmen kennt. Die Umgebung soll helfen, als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben und die richtigen Talente anzulocken. Denn natürlich wissen auch Hans Ferkel und seine Vorstandskollegen: „Man kann eine Veränderung nicht verordnen, sondern muss die Leute identifizieren, die bereit sind, solch einen Wandel mitzugehen und voranzutreiben.“