Nawalny greift den Falschen an
Der Kreml-Kritiker ist ein mutiger Mann, der für mehr Demokratie in Russland kämpft. Dafür braucht er unsere Unterstützung. Wenn er nun Altkanzler Schröder einen „Laufburschen Putins“nennt, nützt er seinem Anliegen nicht.
Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ist nicht gerade ein Digital Native, ein digitaler Eingeborener, wie man vor allem jüngere Leute gern nennt, die problemlos mit ihrem Smartphone, mit sozialen Netzwerken und dem Internet umgehen. Schröders Podcast „Die Agenda“, den er offenbar als Seitenhieb gegen die SPD nach seiner umstrittenen wirtschaftsfreundlichen Arbeitsmarktreform benannt hat, ist aber auf einmal Anlass für eine erbitterte europaweite Debatte geworden. Dort hat er zur mutmaßlichen Vergiftung des Moskauer Oppositionellen Alexej Nawalny durch den russischen Geheimdienst lakonisch angemerkt, dass eine solche Vermutung „nicht auf gesicherten Fakten“beruhe.
Typisch Schröder, möchte man meinen. Auf seinen alten Freund, den russischen Präsidenten Wladimir Putin, lässt er eben nichts kommen. Schließlich verbindet ihn mit dem Autokraten nicht nur eine politische Freundschaft, sondern auch handfeste wirtschaftliche Interessen. Schröder ist die Nummer eins beim Betreiber der russischen Pipeline Nordstream 2 und zugleich Aufsichtsratschef des Staatskonzerns Rosneft, eines der größten Ölförderer im Land.
Die flapsige Bemerkung zeigt jetzt Folgen. Der vom Giftanschlag gerade erst sich erholende Nawalny hat den Ex-Kanzler in der „Bild“als „Laufburschen Putins“bezeichnet, „der Mörder beschützt“. Das ist im doppelten Sinne eine Demütigung. Zum einen kritisiert der bekannteste russische Oppositionspolitiker die enge Verbindung zwischen den beiden Politikern, was Schröder noch verkraften könnte. Zum anderen sieht er im einst mächtigsten europäischen Regierungschef nach Putin nur noch einen Lakaien des Russen. Hinzu kommt, dass Nawalny ohne Belege unterstellt, Schröder erhalte verdeckte Zahlungen von seinem Freund. Weil
„Bild“das druckte, geht der Ex-Kanzler nun gegen den Verlag gerichtlich vor.
Emotional ist der Ausbruch Nawalnys durchaus nachvollziehbar. Gerade erst dem Tode entronnen, reagiert der Oppositionspolitiker auf die lapidare Feststellung Schröders ziemlich ungehalten. Und sein Diktum dürfte außer auf Schröder auch auf alle Putin-Versteher in Deutschland gemünzt sein. Die reichen von der AfD über manche Liberalen und Christdemokraten bis hin zur Linken. Auch in der SPD gibt es einige heimliche und offene Freunde des russischen Präsidenten. Viele versammeln sich im Petersburger Forum, jener Institution, bei der sich wichtige Politiker und Wirtschaftsführer beider Länder regelmäßig treffen.
Ob der Angriff auf Schröder hingegen dem Anliegen Nawalnys nützt, ist eher fraglich. Der russische Oppositionspolitiker macht eine neue Front auf, die von seinem Einsatz für demokratischere Verhältnisse in Russland eher ablenkt. Die Basis für Nawalnys Popularität und damit Gefährlichkeit für Putin liegt in Russland. Sie ist bei den Menschen angesiedelt, die ihm im Internet folgen und sich über die grassierende Korruption und Vetternwirtschaft im Lande informieren wollen. Nawalny zeigt auf dieses Krebsgeschwür der russischen Gesellschaft und prangert die Verhältnisse an, die so etwas möglich machen: die hemmungslose Gier der Elite, die Putin, der dabei selbst gut verdient, beinahe im gesetzlosen Raum gewähren lässt, solange sie ihn unterstützt.
Diesen Mechanismus hat Nawalny wort- und recherchegewaltig an die Öffentlichkeit gebracht. Deshalb hasst ihn Putin und lässt zumindest zu, dass an ihm ein furchtbares Exempel statuiert wird. Denn das Gift Nowitschok kann nur aus den Laboren der verschiedenen Geheimdienste stammen. Und dort geschieht nichts ohne die Erlaubnis des früheren Geheimdienstchefs.
In diesem Kampf hat sich Nawalny die Unterstützung der Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD gesichert, hat persönlich mit Kanzlerin Angela Merkel gesprochen und genießt das Vertrauen der deutschen politischen Klasse, sofern sie nicht zu den Putin-Verstehern zählt. Das ist schon ein gewaltiges Pfund, mit dem ein russischer Oppositioneller punkten kann. Und das aus einem Land, das zu 40 Prozent von russischen Energieimporten abhängig ist.
Sosehr die Haltung des früheren Bundeskanzlers zu Putin aufstößt und seine ökonomischen Verbindungen zum Autokraten ihn als Politiker diskreditieren – Schröder ist im deutsch-russischen Verhältnis inzwischen keine zentrale Figur mehr. Merkel, ihr sozialdemokratischer Außenminister Heiko Maas und Vizekanzler Olaf Scholz, ebenfalls von der SPD, bestimmen die Beziehungen zu Moskau. Alle drei – und auch der SPD-Außenexperte und jetzige Chef der Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich – haben ein kühles und realistisches Bild von Russland. Sie wissen um die Abhängigkeit und die Notwendigkeit, dialogfähig zu bleiben. Sie sind aber nicht bereit, demokratische Grundsätze und den Einsatz für Menschenrechte diesem Ziel unterzuordnen.
Damit kann Nawalny hervorragend leben. Im jüngsten Interview mit dem „Spiegel“forderte er noch nicht einmal die Aufgabe des umstrittenen Projekts der Pipeline Nordstream 2. „Das ist Deutschlands Angelegenheit. Entscheidet selbst!“, meint der wichtigste Gegenspieler Putins. Dabei gehen schon Politiker wie Maas und der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen auf Distanz zu Nordstream. Auf diesen Zug könnte Nawalny gut aufspringen, aber das tut er nicht.
Dann aber fragt man sich, warum er den Repräsentanten dieser Pipeline so hart attackiert. Ist es nur die Wut auf einen Mann, der ein enger Freund seines mutmaßlichen Mordauftraggebers Putin ist? Das wäre – mit etwas Abstand besehen – ein eher kleines Karo für einen Helden des russischen Widerstands. Ob hier noch eine Rechnung offen war, lässt sich indes nicht bestimmen. Denn bislang hatten die beiden Männer eher wenig miteinander zu tun.
„Jetzt ist Schröder ein Laufbursche Putins, der Mörder beschützt“
Alexej Nawalny
Russischer Oppositioneller