Rheinische Post Duisburg

Nawalny greift den Falschen an

- VON MARTIN KESSLER

Der Kreml-Kritiker ist ein mutiger Mann, der für mehr Demokratie in Russland kämpft. Dafür braucht er unsere Unterstütz­ung. Wenn er nun Altkanzler Schröder einen „Laufbursch­en Putins“nennt, nützt er seinem Anliegen nicht.

Der frühere Bundeskanz­ler Gerhard Schröder (SPD) ist nicht gerade ein Digital Native, ein digitaler Eingeboren­er, wie man vor allem jüngere Leute gern nennt, die problemlos mit ihrem Smartphone, mit sozialen Netzwerken und dem Internet umgehen. Schröders Podcast „Die Agenda“, den er offenbar als Seitenhieb gegen die SPD nach seiner umstritten­en wirtschaft­sfreundlic­hen Arbeitsmar­ktreform benannt hat, ist aber auf einmal Anlass für eine erbitterte europaweit­e Debatte geworden. Dort hat er zur mutmaßlich­en Vergiftung des Moskauer Opposition­ellen Alexej Nawalny durch den russischen Geheimdien­st lakonisch angemerkt, dass eine solche Vermutung „nicht auf gesicherte­n Fakten“beruhe.

Typisch Schröder, möchte man meinen. Auf seinen alten Freund, den russischen Präsidente­n Wladimir Putin, lässt er eben nichts kommen. Schließlic­h verbindet ihn mit dem Autokraten nicht nur eine politische Freundscha­ft, sondern auch handfeste wirtschaft­liche Interessen. Schröder ist die Nummer eins beim Betreiber der russischen Pipeline Nordstream 2 und zugleich Aufsichtsr­atschef des Staatskonz­erns Rosneft, eines der größten Ölförderer im Land.

Die flapsige Bemerkung zeigt jetzt Folgen. Der vom Giftanschl­ag gerade erst sich erholende Nawalny hat den Ex-Kanzler in der „Bild“als „Laufbursch­en Putins“bezeichnet, „der Mörder beschützt“. Das ist im doppelten Sinne eine Demütigung. Zum einen kritisiert der bekanntest­e russische Opposition­spolitiker die enge Verbindung zwischen den beiden Politikern, was Schröder noch verkraften könnte. Zum anderen sieht er im einst mächtigste­n europäisch­en Regierungs­chef nach Putin nur noch einen Lakaien des Russen. Hinzu kommt, dass Nawalny ohne Belege unterstell­t, Schröder erhalte verdeckte Zahlungen von seinem Freund. Weil

„Bild“das druckte, geht der Ex-Kanzler nun gegen den Verlag gerichtlic­h vor.

Emotional ist der Ausbruch Nawalnys durchaus nachvollzi­ehbar. Gerade erst dem Tode entronnen, reagiert der Opposition­spolitiker auf die lapidare Feststellu­ng Schröders ziemlich ungehalten. Und sein Diktum dürfte außer auf Schröder auch auf alle Putin-Versteher in Deutschlan­d gemünzt sein. Die reichen von der AfD über manche Liberalen und Christdemo­kraten bis hin zur Linken. Auch in der SPD gibt es einige heimliche und offene Freunde des russischen Präsidente­n. Viele versammeln sich im Petersburg­er Forum, jener Institutio­n, bei der sich wichtige Politiker und Wirtschaft­sführer beider Länder regelmäßig treffen.

Ob der Angriff auf Schröder hingegen dem Anliegen Nawalnys nützt, ist eher fraglich. Der russische Opposition­spolitiker macht eine neue Front auf, die von seinem Einsatz für demokratis­chere Verhältnis­se in Russland eher ablenkt. Die Basis für Nawalnys Popularitä­t und damit Gefährlich­keit für Putin liegt in Russland. Sie ist bei den Menschen angesiedel­t, die ihm im Internet folgen und sich über die grassieren­de Korruption und Vetternwir­tschaft im Lande informiere­n wollen. Nawalny zeigt auf dieses Krebsgesch­wür der russischen Gesellscha­ft und prangert die Verhältnis­se an, die so etwas möglich machen: die hemmungslo­se Gier der Elite, die Putin, der dabei selbst gut verdient, beinahe im gesetzlose­n Raum gewähren lässt, solange sie ihn unterstütz­t.

Diesen Mechanismu­s hat Nawalny wort- und rechercheg­ewaltig an die Öffentlich­keit gebracht. Deshalb hasst ihn Putin und lässt zumindest zu, dass an ihm ein furchtbare­s Exempel statuiert wird. Denn das Gift Nowitschok kann nur aus den Laboren der verschiede­nen Geheimdien­ste stammen. Und dort geschieht nichts ohne die Erlaubnis des früheren Geheimdien­stchefs.

In diesem Kampf hat sich Nawalny die Unterstütz­ung der Bundesregi­erung aus CDU, CSU und SPD gesichert, hat persönlich mit Kanzlerin Angela Merkel gesprochen und genießt das Vertrauen der deutschen politische­n Klasse, sofern sie nicht zu den Putin-Verstehern zählt. Das ist schon ein gewaltiges Pfund, mit dem ein russischer Opposition­eller punkten kann. Und das aus einem Land, das zu 40 Prozent von russischen Energieimp­orten abhängig ist.

Sosehr die Haltung des früheren Bundeskanz­lers zu Putin aufstößt und seine ökonomisch­en Verbindung­en zum Autokraten ihn als Politiker diskrediti­eren – Schröder ist im deutsch-russischen Verhältnis inzwischen keine zentrale Figur mehr. Merkel, ihr sozialdemo­kratischer Außenminis­ter Heiko Maas und Vizekanzle­r Olaf Scholz, ebenfalls von der SPD, bestimmen die Beziehunge­n zu Moskau. Alle drei – und auch der SPD-Außenexper­te und jetzige Chef der Bundestags­fraktion, Rolf Mützenich – haben ein kühles und realistisc­hes Bild von Russland. Sie wissen um die Abhängigke­it und die Notwendigk­eit, dialogfähi­g zu bleiben. Sie sind aber nicht bereit, demokratis­che Grundsätze und den Einsatz für Menschenre­chte diesem Ziel unterzuord­nen.

Damit kann Nawalny hervorrage­nd leben. Im jüngsten Interview mit dem „Spiegel“forderte er noch nicht einmal die Aufgabe des umstritten­en Projekts der Pipeline Nordstream 2. „Das ist Deutschlan­ds Angelegenh­eit. Entscheide­t selbst!“, meint der wichtigste Gegenspiel­er Putins. Dabei gehen schon Politiker wie Maas und der CDU-Außenexper­te Norbert Röttgen auf Distanz zu Nordstream. Auf diesen Zug könnte Nawalny gut aufspringe­n, aber das tut er nicht.

Dann aber fragt man sich, warum er den Repräsenta­nten dieser Pipeline so hart attackiert. Ist es nur die Wut auf einen Mann, der ein enger Freund seines mutmaßlich­en Mordauftra­ggebers Putin ist? Das wäre – mit etwas Abstand besehen – ein eher kleines Karo für einen Helden des russischen Widerstand­s. Ob hier noch eine Rechnung offen war, lässt sich indes nicht bestimmen. Denn bislang hatten die beiden Männer eher wenig miteinande­r zu tun.

„Jetzt ist Schröder ein Laufbursch­e Putins, der Mörder beschützt“

Alexej Nawalny

Russischer Opposition­eller

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