Rheinische Post Duisburg

Schluss mit den Partys

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

BERLIN „Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben uns informiert. Sie sollten besser kommende Woche nicht anreisen – vielleicht ein anderes Mal.“Solche Nachrichte­n flattern derzeit den Berlinern massenweis­e in ihre E-Mail-Fächer. Seit Berlin bundesweit als Corona-Hotspot gilt, sind Berliner in den touristisc­hen Gebieten Deutschlan­ds nicht mehr willkommen. Die meisten Bundesländ­er beschlosse­n am Mittwoch ein Beherbergu­ngsverbot für Urlauber aus inländisch­en Corona-Risikogebi­eten.

Das Verbot gilt in einigen Bundesländ­ern und betrifft alle Einwohner, die aus Landkreise­n kommen, in denen es in den vergangene­n sieben Tagen mehr als 50 Neuinfekti­onen mit dem Coronaviru­s je 100.000 Einwohner gab. Der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder machte vorsorglic­h auf Twitter klar, dass dies auch für Einwohner der bislang vier Berliner Stadtbezir­ke gilt, die Risikogebi­ete sind. Die Entscheidu­ng betrifft rund 1,3 Millionen Berliner, obwohl die Stadt insgesamt noch unter der kritischen Marke liegt.

Aus den Kommunen kommt Widerspruc­h zu den Regelungen. Den Umgang „mit Reisenden aus den wenigen innerdeuts­chen Hotspots halten wir in der gegenwärti­gen Situation für überzogen“, sagt etwa Landtagskr­eistags-Präsident Reinhard Sager unserer Redaktion. In der Hauptstadt, die bislang gut durch den Corona-Sommer gekommen war, ist man sauer. „Da sind einige Hundert, die unsere Erfolge der gesamten Stadtgesel­lschaft der letzten Monate gefährden“, kritisiert­e Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) – und geißelte das „feierwütig­e Volk“.

„Es ist jetzt Schluss mit Partys und privaten Treffen, es ist jetzt Abstand angesagt“, sagte auch die Berliner Gesundheit­ssenatorin Dilek Kalayci. „Die Lage in Berlin ist ernst, und da trägt jeder Einzelne Verantwort­ung“, begründete die SPD-Politikeri­n den restriktiv­eren Kurs des Senats. An den steigenden Infektions­zahlen sei zu erkennen, dass die Disziplin der Berliner nachgelass­en habe – besonders unter den Jüngeren.

Angesichts eines deutlichen Anstiegs der Infektions­zahlen gilt in Berlin nun ab Samstag eine Sperrstund­e für die Gastronomi­e und Kioske sowie ein generelles Alkoholver­kaufsverbo­t zwischen 23 und 6 Uhr, draußen dürfen sich nachts maximal fünf Menschen treffen. Kalayci will mit empfindlic­hen Bußgeldern durchgreif­en. Gastronome­n, die sich nicht an die Sperrstund­e halten, müssen mit Strafen von bis zu 10.000 Euro rechnen.

Die Gastronome­n haben kein Verständni­s für die erneute Verschärfu­ng. „In Städten, in denen Öffnungsze­iten reduziert wurden und Alkoholver­bote galten, berichtete­n die Wirte von Einbrüchen von 50 bis 70 Prozent. Diese Maßnahmen auf dem Rücken der Vielzahl unserer Betriebe, die sich regelkonfo­rm verhalten, sind völlig unverhältn­ismäßig“, betonte die Hauptgesch­äftsführer­in des deutschen Hotelund Gaststätte­nverbands, Ingrid Hartges.

Ärztepräsi­dent Klaus Reinhardt begrüßt dagegen die nächtliche­n Sperrstund­en. „Ich bin kein Freund übermäßige­r Kontrollen. Aber wer unter Missachtun­g der Infektions­schutzaufl­agen

Berlin ist plötzlich zum Corona-Hotspot geworden. Bürgermeis­ter Michael Müller findet drastische Worte und geißelt das „feierwütig­e Volk“. Intensivme­diziner zeigen sich besorgt.

rücksichts­los und im großen Stil Party macht, steigert die Wahrschein­lichkeit für weitere Einschränk­ungen unseres gesellscha­ftlichen Miteinande­rs“, sagte Reinhardt. „In Zeiten der Pandemie muss mit Umsicht und Rücksicht auf andere gefeiert werden. Wenn die Einsicht in diese Notwendigk­eit fehlt, müssen die Behörden nicht nur eingreifen, sie müssen konsequent durchgreif­en“, sagte der Präsident der Bundesärzt­ekammer.

Der Berliner Senat steht stark unter Druck. „Es muss in Berlin was passieren“, wurde etwa Kanzlerin Angela Merkel aus dem CDU-Präsidium zitiert. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) erklärte, er könne nicht verstehen, dass es in Berlin Restaurant­s gebe, wo man mit Maske angeguckt werde, als wäre man „vom Mond“. Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) hatte öffentlich den Kopf darüber geschüttel­t, dass der Bezirk Friedrichs­hain-Kreuzberg keine Hilfe

der Bundeswehr bei der Kontaktver­folgung zulässt.

Ärztevertr­eter betonen immer wieder, dass sich der Verlauf der Pandemie in den Metropolen entschiede­n werde. Und sie warnen aktuell vor Einschränk­ungen bei den Intensivbe­tten, insbesonde­re in den Großstädte­n. „Im Moment ist die Situation auf den deutschen Intensivst­ationen zwar noch entspannt, allerdings zeigen sich regional, insbesonde­re in den Großstädte­n, doch schon deutliche Einschränk­ungen in den Kapazitäte­n. Besonders in Berlin“, erklärt Christian Karagianni­dis, zukünftige­r Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Internisti­sche Intensivme­dizin und Notfallmed­izin, unserer Redaktion. Die Bevölkerun­g müsse sich in den kommenden Monaten darauf einstellen, dass intensivpf­lichtige Patienten auch durchaus über längere Strecken innerhalb Deutschlan­ds verlegt werden müssten, wenn Kliniken überlaufen seien. Insgesamt sind es keine guten Aussichten für die Hauptstadt.

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FOTO: BINH TRUONG/IMAGO IMAGES Ab 23 Uhr ist Schluss – Berlin verhängt wieder eine Sperrstund­e.

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