Erst Beatle, dann Friedensbotschafter
John Lennon wurde vor 80 Jahren geboren und vor 40 Jahren erschossen. Er war zugleich intellektueller Popstar, Musiker und Aktivist.
DÜSSELDORF John Lennons schönstes Lied entstand 1973, es heißt „Nutopian International Anthem“und war gedacht als Nationalhymne eines idealen Staates. Beim Hören sollte man sich vorstellen, wie dieses „Nutopia“aussehen soll, dessen Umrisse Lennon in den Wind gezeichnet hatte: genug zu essen, alle sind nett zueinander, ewiger Friede. Der Song ist vier Sekunden lang, und man hört nichts. Nur Stille.
Am Freitag vor 80 Jahren wurde John Lennon geboren. Er wuchs bei seiner Tante Mimi auf, sein Vater fuhr zur See, die Eltern trennten sich bald, und seine Mutter starb, als John 18 war. Er trug Lederjacke und war ein Rebell, aber wie das bei Rebellen oft so ist: alles bloß Show, der Kern war butterweich. Als er 23 Jahre alt war, sang die Welt seine Lieder: „Please Please Me“. Er trug Pilzkopf, alle nannten ihn nur noch John, und schon vier Jahre später ließ er sich einen Bart stehen, und weitere zwei Jahre später war er zugewuchert und sah aus wie Jesus. Er war Rocker, Genie, Widerspenst und Botschafter des Friedens. Er probierte es mit transzendentaler Meditation und Urschrei-Therapie, mit Heroin und indischer Weisheit. Und das war denn auch das Drama dieses Lebens: John wusste nicht, wer er eigentlich war. Am Ende ahnte er immerhin, wer er sein wollte.
Er schrieb wunderschöne Lieder, vielleicht die schönsten Lieder der Welt: „In My Life“zum Beispiel. Wer die ersten Verse hört, bekommt gleich eine Gänsehaut: „There are places I’ll remember / All my life, though some have changed“. In seinem Kopf fand die Zukunft des Pop statt, und sie klang wie „Strawberry Fields Forever“und „A Day In The Life“. Bono, der Sänger von U2, sagte etwas Treffendes über ihn: „Er war es, der „Help“gerufen hatte. Er wagte es, seine Seele zur Schau zu stellen.“
Das Faszinierende an John war sein Pendeln zwischen Kratzbürstigkeit
und Verwundbarkeit, dieser Kampf um Selbstfindung. Bei einem Konzert vor Mitgliedern der Königsfamilie bat er das Publikum 1963 mit einem sarkastischen Kommentar um Unterstützung: Die Leute auf den billigeren Plätzen sollten applaudieren, die höher gestellten Gäste könnten mit ihren Juwelen klimpern. Der Beatles-Song „Revolution“stammt von ihm. Und nach dem Ende der Band hatte er nur ein Ziel: Nicht mehr zu klingen wie ein Beatle. Paul zog aufs Land. John ging nach New York. Und während Paul irgendwie immer Paul blieb, wurde John zu John Lennon.
Er war ein manischer Zeitungsleser, und seine Texte aus den 70ern wirken manchmal wie Leitartikel zu aktuellen Geschehnissen. „Woman Is The Nigger Of The World“. „Give Peace A Chance“. „Power To The People“. Er legte zwar kein so kohärentes, in sich geschlossenes Soloalbum vor wie George Harrisons „All Things Must Pass“oder Paul McCartneys „Band On The Run“. Aber er schrieb „Imagine“, einen der wichtigsten Songs des 20. Jahrhunderts. Eine Melodie, die zu Herzen geht, ein Text wie eine Hesse-Gesamtausgabe, und eine Botschaft, so universell, zeitlos und rein, dass man schlucken muss, wenn man sie hört: „You may say I’m a dreamer / But I’m not the only one.“
Gemeinsam mit Yoko Ono, die er 1966 kennengelernt hatte, wurde er der erste Popstar, der zugleich Aktivist war. Musik allein war ihm nicht genug. Er prägte das Rollenmodell, das auch Bono und Bob Geldof für sich wählten: der intellektuelle Künstler als moralische Instanz. Nach der Hochzeit 1969 legten Lennon/Ono ihre Flitterwochen als Happening an, als öffentliches „Bed In For Peace“. Sie gründeten „Nutopia“, jenes traumhafte Land, für das man keine Pässe brauchte.
1975 zog sich John Lennon zurück, schob den Kinderwagen durch den Central Park, diffundierte durch die Weiten seines Geistes. Die CIA, die ihn zunächst wegen angeblich
zersetzender Umtriebe hatte beobachten lassen, gab Entwarnung: Lennon stelle keine Gefahr mehr da, er sei ständig im Drogenrausch.
Er schien sich gefunden zu haben, als er 1980 mit Yoko Ono das Album „Double Fantasy“vorlegte. Der geistig verwirrte Mark Chapman ließ sich die LP von Lennon signieren, nachdem er ihn am 9. Dezember 1980 vor dem Dakota-Building in New York angesprochen hatte. Lennon fuhr von dem Haus, in dem er ein Apartment hatte, mit Yoko Ono ins Studio, um am nächsten Album zu arbeiten. Kurz vor elf am Abend kehrte er heim, Chapman wartete noch dort, sprach Lennon an, und als der nicht reagierte, schoss er fünf Kugeln auf den Star. Dann setzte sich Chapman auf den Bordstein und las im „Fänger im Roggen“.
Die Polizisten warteten nicht, bis der Krankenwagen kam. Sie legten den sterbenden Lennon auf den Rücksitz ihres Autos und fuhren ihn ins Krankenhaus. Ein Polizist versuchte, Lennon wachzuhalten. „Wissen Sie, wer Sie sind?“, fragte er. Lennon soll nur noch geseufzt haben.
„Ein Idol umzulegen, ist Massenmord“, schrieb der Dichter Wolf Wondratschek. Im vergangenen August wurde Mark Chapmans 22. Antrag auf Entlassung aus dem Gefängnis abgelehnt. Die letzten Verse von „Imagine“lauten: „I hope someday you’ll join us / And the world will live as one.“