Rheinische Post Duisburg

Erst Beatle, dann Friedensbo­tschafter

- VON PHILIPP HOLSTEIN

John Lennon wurde vor 80 Jahren geboren und vor 40 Jahren erschossen. Er war zugleich intellektu­eller Popstar, Musiker und Aktivist.

DÜSSELDORF John Lennons schönstes Lied entstand 1973, es heißt „Nutopian Internatio­nal Anthem“und war gedacht als Nationalhy­mne eines idealen Staates. Beim Hören sollte man sich vorstellen, wie dieses „Nutopia“aussehen soll, dessen Umrisse Lennon in den Wind gezeichnet hatte: genug zu essen, alle sind nett zueinander, ewiger Friede. Der Song ist vier Sekunden lang, und man hört nichts. Nur Stille.

Am Freitag vor 80 Jahren wurde John Lennon geboren. Er wuchs bei seiner Tante Mimi auf, sein Vater fuhr zur See, die Eltern trennten sich bald, und seine Mutter starb, als John 18 war. Er trug Lederjacke und war ein Rebell, aber wie das bei Rebellen oft so ist: alles bloß Show, der Kern war butterweic­h. Als er 23 Jahre alt war, sang die Welt seine Lieder: „Please Please Me“. Er trug Pilzkopf, alle nannten ihn nur noch John, und schon vier Jahre später ließ er sich einen Bart stehen, und weitere zwei Jahre später war er zugewucher­t und sah aus wie Jesus. Er war Rocker, Genie, Widerspens­t und Botschafte­r des Friedens. Er probierte es mit transzende­ntaler Meditation und Urschrei-Therapie, mit Heroin und indischer Weisheit. Und das war denn auch das Drama dieses Lebens: John wusste nicht, wer er eigentlich war. Am Ende ahnte er immerhin, wer er sein wollte.

Er schrieb wunderschö­ne Lieder, vielleicht die schönsten Lieder der Welt: „In My Life“zum Beispiel. Wer die ersten Verse hört, bekommt gleich eine Gänsehaut: „There are places I’ll remember / All my life, though some have changed“. In seinem Kopf fand die Zukunft des Pop statt, und sie klang wie „Strawberry Fields Forever“und „A Day In The Life“. Bono, der Sänger von U2, sagte etwas Treffendes über ihn: „Er war es, der „Help“gerufen hatte. Er wagte es, seine Seele zur Schau zu stellen.“

Das Fasziniere­nde an John war sein Pendeln zwischen Kratzbürst­igkeit

und Verwundbar­keit, dieser Kampf um Selbstfind­ung. Bei einem Konzert vor Mitglieder­n der Königsfami­lie bat er das Publikum 1963 mit einem sarkastisc­hen Kommentar um Unterstütz­ung: Die Leute auf den billigeren Plätzen sollten applaudier­en, die höher gestellten Gäste könnten mit ihren Juwelen klimpern. Der Beatles-Song „Revolution“stammt von ihm. Und nach dem Ende der Band hatte er nur ein Ziel: Nicht mehr zu klingen wie ein Beatle. Paul zog aufs Land. John ging nach New York. Und während Paul irgendwie immer Paul blieb, wurde John zu John Lennon.

Er war ein manischer Zeitungsle­ser, und seine Texte aus den 70ern wirken manchmal wie Leitartike­l zu aktuellen Geschehnis­sen. „Woman Is The Nigger Of The World“. „Give Peace A Chance“. „Power To The People“. Er legte zwar kein so kohärentes, in sich geschlosse­nes Soloalbum vor wie George Harrisons „All Things Must Pass“oder Paul McCartneys „Band On The Run“. Aber er schrieb „Imagine“, einen der wichtigste­n Songs des 20. Jahrhunder­ts. Eine Melodie, die zu Herzen geht, ein Text wie eine Hesse-Gesamtausg­abe, und eine Botschaft, so universell, zeitlos und rein, dass man schlucken muss, wenn man sie hört: „You may say I’m a dreamer / But I’m not the only one.“

Gemeinsam mit Yoko Ono, die er 1966 kennengele­rnt hatte, wurde er der erste Popstar, der zugleich Aktivist war. Musik allein war ihm nicht genug. Er prägte das Rollenmode­ll, das auch Bono und Bob Geldof für sich wählten: der intellektu­elle Künstler als moralische Instanz. Nach der Hochzeit 1969 legten Lennon/Ono ihre Flitterwoc­hen als Happening an, als öffentlich­es „Bed In For Peace“. Sie gründeten „Nutopia“, jenes traumhafte Land, für das man keine Pässe brauchte.

1975 zog sich John Lennon zurück, schob den Kinderwage­n durch den Central Park, diffundier­te durch die Weiten seines Geistes. Die CIA, die ihn zunächst wegen angeblich

zersetzend­er Umtriebe hatte beobachten lassen, gab Entwarnung: Lennon stelle keine Gefahr mehr da, er sei ständig im Drogenraus­ch.

Er schien sich gefunden zu haben, als er 1980 mit Yoko Ono das Album „Double Fantasy“vorlegte. Der geistig verwirrte Mark Chapman ließ sich die LP von Lennon signieren, nachdem er ihn am 9. Dezember 1980 vor dem Dakota-Building in New York angesproch­en hatte. Lennon fuhr von dem Haus, in dem er ein Apartment hatte, mit Yoko Ono ins Studio, um am nächsten Album zu arbeiten. Kurz vor elf am Abend kehrte er heim, Chapman wartete noch dort, sprach Lennon an, und als der nicht reagierte, schoss er fünf Kugeln auf den Star. Dann setzte sich Chapman auf den Bordstein und las im „Fänger im Roggen“.

Die Polizisten warteten nicht, bis der Krankenwag­en kam. Sie legten den sterbenden Lennon auf den Rücksitz ihres Autos und fuhren ihn ins Krankenhau­s. Ein Polizist versuchte, Lennon wachzuhalt­en. „Wissen Sie, wer Sie sind?“, fragte er. Lennon soll nur noch geseufzt haben.

„Ein Idol umzulegen, ist Massenmord“, schrieb der Dichter Wolf Wondratsch­ek. Im vergangene­n August wurde Mark Chapmans 22. Antrag auf Entlassung aus dem Gefängnis abgelehnt. Die letzten Verse von „Imagine“lauten: „I hope someday you’ll join us / And the world will live as one.“

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FOTO: DPA John Lennon und Yoko Ono demonstrie­ren 1969 in den Flitterwoc­hen im Bett im Amsterdame­r Hilton für Frieden.

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