Die Knochenbrecher aus Köln
Rimasys hat die Fortbildung von Chirurgen revolutioniert. Nun wollen die Gründer ihr Geschäft digitalisieren.
KÖLN 2000 Zuschauer haben Anfang Juli eingeschaltet. Sie wollen dabei sein, mitfiebern – und sich etwas abschauen. Es gibt Online-Spiele, da schauen Millionen Menschen weltweit zu, ob ihre Helden die Herausforderungen meistern. Aber hier in Köln tritt gerade kein Online-Spieler an, sondern einer der weltweit bekanntesten deutschen Kniechirurgen. Die Operation ist kompliziert, soll kompliziert sein, der Arzt weiß zu diesem Zeitpunkt selbst nicht, ob er sie am Ende schafft.
Denn die Gründer von Rimasys wollen, dass sich Fortbildungen nicht nach staubtrockenen Vorträgen anfühlen, sondern packend sind und Spannung bieten. „Wir haben uns bei E-Sports, Online-Rollenspielen und in sozialen Netzwerken umgeschaut, um zu überlegen, wie wir das für unsere Formate nutzen können“, sagt Gründer Marc Ebinger: „Wir haben zum Beispiel Live-Operationen gestreamt, bei denen wir absoluten Koryphäen extrem komplizierte Brüche geben.“
Ebinger redet von Knochenbrüchen – und weil das merkwürdig klingt, muss er ein bisschen ausholen und die Geschichte von Rimasys erzählen, die 2011 während des Studiums an der Universität zu Köln beginnt. Im Rahmen einer Projektarbeit sollten die drei späteren Rimasys-Gründer Ebinger, André Passon und Robert Holz eine Simulation einer komplizierten Unterarmverletzung entwickeln, über deren Behandlung die Fachwelt damals noch kontrovers diskutierte. „Ich habe dann vorgeschlagen: Lasst uns doch eine Maschine bauen, die diesen Sturz simuliert“, sagt Ebinger, dessen Vater ein eigenes Unternehmen für die Herstellung solcher Unikat-Maschinen hat.
Die Simulation gelingt – doch durch Zufall finden die drei heraus, dass sie auch andere Brüche an Körperspenden von Verstorbenen mit der Maschine simulieren können. Wäre das nicht perfekt für die Weiterbildung von Chirurgen? „Klassischerweise lernt der Assistenzarzt ja immer von seinem Oberarzt bei der Arbeit am Patienten“, sagt Ebinger: „Durch Fallpauschalen gibt es aber immer weniger Übungszeit im OP-Saal.“
Dank seiner weltweit einmaligen Technologie kann das Kölner Startup
nun OP-Situationen für Ärzte simulieren. In Köln hat das Unternehmen inzwischen sogar ein hochmodernes Trainingszentrum für Chirurgen eingerichtet, die für die Teilnahme an den Kursen sogar aus Australien oder Chile anreisen – zumindest war das vor Corona so.
Denn die Beschränkungen aufgrund des Virus haben auch Rimasys hart getroffen. „Corona hat unser Geschäftsmodell innerhalb von zwei Tagen lahmgelegt“, sagt Ebinger. Doch die Gründer versprachen, niemanden deswegen zu entlassen, und gaben stattdessen ein neues Ziel aus: „Wir wollen bei der Weihnachtsfeier sagen können, dass uns rückblickend nichts Besseres hätte passieren können.“
Die Kölner investierten daher massiv in die Digitalisierung – und Live-Übertragungen einer Knie-OP sind dabei erst der Anfang. Mit Surgical Island hat das 36-köpfige Team eine virtuelle Welt geschaffen, in der Mitte Oktober eine Art Online-Messe stattfinden soll, Live-Operationen inklusive. Ebinger glaubt fest daran, dass solche Formate eine Zukunft haben werden: „Was möglich ist, kann man jetzt ausprobieren, weil durch Corona die Aufmerksamkeit und die Bereitschaft bei vielen Menschen da ist.