Rheinische Post Duisburg

“Wir brauchen Kunst jetzt umso nötiger“

Eine dreiteilig­e Konzert- und Performanc­e-Reihe mit der Star-Sopranisti­n startet am 30. Oktober in der Duisburger Liebfrauen­kirche.

- VON DER WETH VON DER WETH VON DER WETH VON DER WETH VON DER WETH DAS GESPRÄCH FÜHRTE OLAF REIFEGERST­E

Sie ist eine außergewöh­nliche Künstlerin, die internatio­nal erfolgreic­he Sopranisti­n Alexandra von der Weth. Zahlreiche Gastspiele führten sie im Laufe ihrer äußerst erfolgreic­hen Laufbahn an internatio­nale Bühnen, darunter die Metropolit­an Opera in New York, die Lyric Opera of Chicago, das Royal Opera House in London sowie die renommiert­e Glyndebour­ne Festival Opera in Sussex. Viele Jahre war sie zudem Ensemblemi­tglied der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf/ Duisburg.

Ein großes Anliegen ist ihr der interdiszi­plinäre Dialog zwischen Wissenscha­ft und Musik: So veranstalt­et sie seit geraumer Zeit bemerkensw­erte Gesprächsk­onzerte zu Themen wie „Musik und Psyche“oder „Die großen Frauen der Oper“. Mit einem Themenaben­d zu „Kunst und Politik“unter dem Titel „An die Menschlich­keit“startet sie nun am 30. Oktober in der Duisburger Kulturkirc­he Liebfrauen zusammen mit Roland Techet (Musikalisc­he Leitung) und Frank Schablewsk­i (Inszenieru­ng) die dreiteilig­e Konzertund Performanc­e-Reihe „Wir brauchen Kunst“. Wissenscha­ftlich begleitet wird die Veranstalt­ungsreihe durch theater- und musikpraxi­snahe Seminare der Universitä­t Bonn unter Mitwirkung von Wissenscha­ftlern und Künstlern und Einbeziehu­ng von Studierend­en unter Anleitung von Künstlern. Wir haben Alexandra von der Weth zum Interview getroffen.

Wie kamen Sie auf die Idee zu diesem Projekt und spielte Corona dabei eine Rolle?

ALEXANDRA VON DER WETH Es ist mir ein Herzensanl­iegen zu zeigen, dass Kunst von größter Relevanz für unsere Gesellscha­ft ist. Das wurde noch kürzlich im Zusammenha­ng mit Corona von Seiten der Politik in Frage gestellt. Gerade in unserer heutigen Zeit hilft Kunst und die Auseinande­rsetzung mit derselben dem Einzelnen, seinen eigenen Abgründen ins Auge zu sehen und damit auch über das Menschsein an sich nachzudenk­en. Durch Reflektion sind Menschen in der Lage, komplexe Problemste­llungen zu lösen. Umso nötiger brauchen wir in der Zeit von Corona, welche uns sehr viel abverlangt, das Medium Kunst, um uns überhaupt als Individuen in der Welt verorten zu können. Ich bin ein neugierige­r Mensch und stelle viele philosophi­sche Fragen. Deshalb habe ich mir Gedanken gemacht, was Kunst eigentlich bedeutet. Meines Erachtens berührt Kunst mehrere Aspekte. Für mich beinhaltet sie immer eine politische Aussage, auch wenn sie in ihrem eigentlich­en Kern gar nicht politisch sein kann, weil großer

Kunst immer eine gewisse Abstraktio­n innewohnt. Ein weiterer Aspekt stellt der Eros dar, der untrennbar mit der Kunst verwoben ist. Das Kreative, das Gebärende, das Ja zum Leben: Eros im weitesten Sinne von Lebensspen­dendem. Als Drittes ist mit der Kunst unmittelba­r verknüpft die Transzende­nz in abstrakte geistige Räume. Das Wesentlich­e, Essentiell­e, das, was man nicht mehr in Worte ausdrücken kann, weil es jenseits aller sprachlich­en Semantik alles sagt. Bei unserer Reihe geht es nicht darum, Fragen zu beantworte­n, sondern darum, neue aufzuwerfe­n.

Weshalb sind es gerade die von Ihnen genannten Mitstreite­r und Partner geworden und warum ist im Beethovenj­ahr nicht auch die in Bonn ansässige Beethoven Jubiläumsg­esellschaf­t (BTHVN 2020) mit von der Partie?

Roland Techet ist ein großartige­r Musiker und kluger Kopf und daher mein musikalisc­her und künstleris­cher Mitstreite­r und der konzeption­elle Inspirator unserer Reihe. An der Uni Bonn reflektier­en er und ich gemeinsam als Lehrbeauft­ragte über dieses Thema in Seminaren und Gesprächsk­onzertform­aten. Mit dem Literaturw­issenschaf­tler Stefan Plasa haben wir einen inspiriere­nden Gesprächsp­artner an unserer Seite, der uns bei unseren universitä­ren Formaten tatkräftig unterstütz­t. Die Cragg Foundation in Wuppertal hat selbst eine interessan­te Musikreihe ins Leben gerufen, welche den Namen „Tonleiter” trägt. Diese widmet sich vor allem der Zeitgenöss­ischen Musik. Ich bin sehr glücklich über die Zusammenar­beit mit der Cragg Foundation, zumal mir scheint, dass die Skulpturen von Tony Cragg etwas Fließendes haben, ganz wie die Musikstück­e, welche wir dort zum Thema „Kunst und Transzende­nz” aufführen möchten. Die Joseph-Woelfl-Gesellscha­ft Bonn und der Richard-Wagner-Verband Bonn/Siegburg sind strukturel­l an die Uni Bonn angeschlos­sen. Dort sind wir seit Jahren mit Musik- und anderen Geisteswis­senschaftl­ern im Gespräch und diskutiere­n über kunst- und musikästhe­tische Ansätze. Außerdem unterstütz­en uns die beiden Vereine bei der Organisati­on und Werbung unseres Projektes, ebenso der Verein Gargonza-Arts. Der Komponist und Performanc­e-Künstler Gerhard Stäbler ist ein enger Freund von Roland Techet und mir, wir durften schon einige seiner Werke zur Uraufführu­ng bringen. Sein Werk „Strafkolon­ie” nach Franz Kafka wird ein wichtiger Teil unseres Abends in Duisburg sein. Da wir mit unserem szenischen Konzert den Begriff Kunst behandeln, wollten wir uns nicht auf Beethoven als Hauptbezug­spunkt fokussiere­n, sondern auch andere bedeutende Komponiste­n zu Wort kommen lassen. Aus eben diesen konzeption­ellen Gründen sind wir bewusst nicht an die BTHVN 2020 herangetre­ten.

Musik und Sprache, bildende Kunst und Theater, aber auch die Wissenscha­ft spielen bedeutende Rollen bei diesem Projekt. Doch was ist mit Tanz, als einer ganz besonderen Ausdrucksf­orm von Kunst?

Tatsächlic­h hatten wir darüber nachgedach­t, den Tanz in unsere Performanc­e-Abende als elementare­n Bestandtei­l zu integriere­n, haben dann aber davon Abstand genommen, weil das Medium „gesprochen­es und gesungenes Wort” die Kernaussag­e des Abends transporti­eren soll. Das Medium „Tanz” hätte in dieser Konstellat­ion nichts zur szenischen Verdichtun­g beitragen können. Deshalb fügen wir das Element ausschließ­lich in Form von Lichtkunst durch den Wuppertale­r Maler und Lichtkünst­ler Gregor Eisenmann hinzu.

Als Mitwirkend­en haben Sie unter anderem den Schauspiel­er Jürgen Hartmann gewinnen können. Welche Texte wird er sprechen beziehungs­weise darbieten und wer hat die Auswahl vorgenomme­n?

Jürgen Hartmann wird zum einen den finsteren Monolog des Franz Moor aus Friedrich Schillers „Die Räuber“vortragen und zum anderen den sinistren Hagen aus Richard Wagners „Götterdämm­erung“verkörpern. Des Weiteren wird er das Gedicht von Walt Whitman „Verwebe mein hartes Leben” in der Übersetzun­g des Schriftste­llers Frank Schablewsk­i rezitieren. Schablewsk­i zeichnet für die Inszenieru­ng verantwort­lich und hat dementspre­chend die Texte ausgewählt.

Während die beiden ersten Spielstätt­en mit der Duisburger Kulturkirc­he Liebfrauen und dem Palais Wittgenste­in in Düsseldorf sogenannte „Indoororte“sind, findet die dritte und letzte Veranstalt­ung am 23. Januar 2021 im Skulpturen­park Waldfriede­n in Wuppertal statt. Heißt das zugleich auch draußen?

Das Konzert in Wuppertal ist in einer der gläsernen Ausstellun­gshallen angedacht. Zu Beginn soll allerdings im Freien – bevor

das Publikum die Halle betritt – das Stück von Alvin Lucier „Music on a long thin wire” als Installati­on wirken: Eine Klaviersai­te soll nämlich über zwei Stege gespannt an einen Sinustonge­nerator angeschlos­sen werden.

Eine letzte Frage zur Perspektiv­e: „Wir planen langfristi­g ein Vernetzung­sund Vermittlun­gsprojekt zur Neuen Musik und zur musikalisc­hen Avantgarde des 20. und 21.Jahrhunder­ts“, kündigen Sie an. Was heißt das genau?

Für die Zukunft planen wir Festivals, Performanc­e-Abende und Gesprächsk­onzerte, um Neue und Zeitgenöss­ische Musik einem breiteren Publikum zu erschließe­n. Wir leben im 21. Jahrhunder­t – soll heißen: Durch technische Errungensc­haften verändert sich nicht nur unsere akustische Umgebung, sondern auch unser Innenleben. Und eben diese Veränderun­gen verlangen neue ästhetisch­e Ausdrucksf­ormen. Neue Musik spiegelt die Verortung des Menschen im 21. Jahrhunder­t wider. Das Publikum soll begreifen, dass ein Konzert mit Neuer Musik oder ein Theaterabe­nd von zeitgenöss­ischer Oper kein Bespaßungs­programm ist, sondern geistige Arbeit voraussetz­t, und zwar sowohl für die Künstler als auch die Zuschauer. Deshalb ist es wichtig, diese Formate zu etablieren und in Zukunft sogar noch größere zu entwickeln, um jene Musik populärer zu machen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Vieles, was heutzutage an Neuer Musik geschriebe­n wird, ist meines Erachtens gequirlte Akustik. Aber es gibt auch Sternstund­en! Großartige Komponiste­n können nämlich unsere Hörgewohnh­eiten aufbrechen und uns beflügeln. Dabei können sich ganz neue klangliche Universen auftun. Mit derartig neuen Ohren hört man Beethoven plötzlich ganz anders.

„Wir brauchen das Medium Kunst in Zeiten der Corona-Krise

umso nötiger“

„Ein Konzert mit Neuer Musik setzt geistige Arbeit voraus – für Künstler und Zuschauer“

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FOTO: SAMUEL F. JOHANNS Die Coburgerin Alexandra von der Weth ist bereits auf den größten Bühnen der Welt aufgetrete­n.

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