Ein schönes Sammelsurium
In der Grabbe-Halle breitet die Kunstsammlung NRW ihre Schätze der Foto- und Videokunst aus. Der Titel „Technology Transformation“ist ein Lustkiller, die Schau aber bietet Erlebnisse.
DÜSSELDORF Wer aktuell trotz der Vielfalt und Güte in Thomas Ruffs Riesenausstellung nicht satt geworden ist, kann einen Schwenk von der Klee- zur Grabbe-Halle machen und auch dort Fotografie vom Besten, auch wieder Ruff – jetzt aber inmitten seiner Kollegen – erleben. Selbst die legendären „Eltern“der Düsseldorfer Fotoschule, Bernd und Hilla Becher, sind mit einer Arbeit vertreten, in der sie 1969 die Typologie von Strommasten dokumentierten.
Die Augen werden lachen, denn sie filtern höchst erbauliche Eindrücke moderner Fotografie, die die Ausstellungsmacher leider mit dem lustkillenden Titel „Technology Transformation“überschreiben. Die flankierende Maßnahme zur RuffSchau ist, wie man hört, coronabedingt aus der Not geboren. Aus der reichen nordrhein-westfälischen Landessammlung, in der Fotografie und Videoarbeiten einigermaßen gut vertreten sind, konnte man indes schöpfen.
Und so wurde ein Parcours des Best-of errichtet, mit großen Namen wie Ed Atkins, Carsten Nicolai, Thomas Demand, Gillian Wearing und Jürgen Klauke, mit dem listigen Düsseldorfer Zwitter-Fotokünstler Hans-Peter Feldmann und mit allen Protagonisten aus dem Drei-Männer-Bündnis vergangener Tage, als man sie noch die Struffskys nannte und sie als die drei prominentesten Becher-Schüler zu ihrer Weltkarriere ansetzten: Thomas Struth, Thomas Ruff und Andreas Gursky.
Alle sind sie jetzt hier vereint, von der Präsentation her leicht dschungelhaft verdichtet mit den Kollegen aus einer knapp fünf Jahrzehnte umspannenden Zeit. Oft Nase an Nase – es sind viele Porträts darunter. Tableau an Tableau, ein Ereignis neben dem anderen. Wer drüben, bei Thomas Ruff, die großen
Porträts vermisst, die ihn berühmt gemacht haben, findet zwei davon hier wieder. Es waren seine Freunde und Kommilitonen, die er damals als Modelle in die Serie bat. Aus „V. Liebermann“– wie uns der in Klammern gesetzte Titel von 1999 verrät –, ist nicht nur eine Kunsthistorikerin, sondern seine Ehefrau und Mutter seiner zwei Kinder geworden.
Von Andreas Gursky ist das dunkel getönte Panorama aus seiner Tote-Hosen-Serie aufgehängt, „Tote Hosen II“von 2014 – ein Foto, das einem fast wie Malerei von Rhythmus und Sound vorkommt. Der Beat der Hosen-Songs findet sich als Schraffur von Grau in Schwarz, das Dunkel der Panoramaaufnahme wiederholt die musikalische Grundstimmung eines Hosenkonzerts. 2016 wurde dieses fast vier Meter breite Bild der Kunstsammlung geschenkt, als Marion Ackermann noch Direktorin war und Gursky mit einer fantastischen Einzelausstellung ein Heimspiel in der Kunstsammlung bereitete. Man erkennt im Überblick mit den anderen Vertretern der Düsseldorfer Fotoschule den einzelgängerischen Weg des Weltmeisters aus Düsseldorf an.
Früher als die Struffskys war schon
Katharina Sieverding als experimentelle Fotografin zugange. Sie war nicht nur eine Pionierin darin, die Fotokunst aufzupumpen, bis dahin ungewohnt große Formate aus Porträts zu formen, sondern sie färbte Fotos subjektiv ein, lud sie autobiografisch, thematisch und politisch auf. Es gibt keine zwingenderen, authentischeren Frauenporträts als die großformatigen von Sieverding. Ihr Video „Life-Death“von 1969/2004 ist im K20 aufgebaut sowie die zweiteilige Arbeit „Maton Solarisation“, bei der sich die Kraft des Spiegels als Verdopplung oder Verzerrung der Realität darstellt. Demnächst ist die großartige Künstlerin, die zwar in Tschechien geboren ist, aber längst als Düsseldorferin geführt wird, in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen.
Immer ein wenig hintendran hängt Candida Höfer, die eine vornehmere, stillere, zurückhaltendere Vertreterin der Düsseldorfer Fotoschule ist. An Güte steht sie den Bechers und Struffskys in nichts nach. Sie ist der perfekten Situation verpflichtet, der absoluten Perspektive und Symmetrie. Sie kann Räume verzaubern und zum Klingen bringen. Was in die aktuelle Entwicklung vom Schmela-Haus zur Mayer-Galerie passt, ist das eindringliche unberedte Szenario aus den legendären Galerieräumen („Schmelahaus Düsseldorf I“), die Stararchitekt Aldo van Eyck schuf. Dieses Bild ist eine Schenkung der Künstlerin an die Gesellschaft der Freunde, was zeigt, dass sich der Sammlungsbestand durch Geschenke wundervoll vervielfältigt und mehrt.
In diesem wirklich schönen Sammelsurium der Ausstellung sind nicht nur die Düsseldorfer vertreten, sondern internationale Namen. Zum Lernen bleibt auch etwas hängen: wie leise und rasant sich der Wandel von der analogen zur digitalen Fotografie in den 90er Jahren vollzog. Zuvor schon bahnte sich viel Technologisches an, und die Videokunst sprang auf eine ganz abenteuerliche Schiene. Retro und ein bisschen verrückt im Sinne der 70er Jahre steht das titelgebende Video „Technology Transformation“von Dara Birnbaum da.
In diesem Panorama der Fotokunst geht es um Sichtbarkeit wie um Schärfe und Unschärfe. Um das Changieren von Wirklichkeit. Die Bildtechniken zeitgenössischer Fotografen sind geheimnisvoll und lassen sich kaum von außen ergründen. Das Ergebnis zählt.