Rheinische Post Duisburg

Zeit, sich ehrlich zu machen

- VON MARTIN BEWERUNGE

Wenn Corona einmal vorbei ist…“So heben heute wie gestern hoffnungsv­oll Gespräche an. Wieder sind Urlaubsplä­ne Makulatur. Wieder wurde eine ersehnte Veranstalt­ung abgesagt, eine Feier, die wichtig war. Aber Corona ist nicht vorbei, im Gegenteil. Trotzdem: Die Kranken, die Toten – sie scheinen weit weg. Als Zugeständn­is an die neue Normalität übriggebli­eben sind die lästigen Masken. Aber der Sicherheit­sabstand im Supermarkt oder beim Plaudern wird schon länger vernachläs­sigt. Händewasch­en? Mehr als vor der Pandemie, aber weniger als noch vor Monaten.

Jetzt ist die Zeit, sich ehrlich zu machen. Es geht nicht nur um den Schutz der eigenen Gesundheit. Es geht auch darum, sich selbst als Glied in einer Kette zu verstehen, die eine Infektions­kette sein könnte. Es geht um Menschen, die wir lieben und die wir womöglich in Gefahr bringen. Und damit geht es auf einmal um die ganz großen Dinge im Leben, die auf dem Spiel stehen: um Respekt, Verantwort­ung, Vertrauen, das Streben nach Glück und Freiheit.

Das ist der Kitt, der eine offene Gesellscha­ft zusammenhä­lt, das Band zwischen Starken und Schwachen, Jungen und Alten – nicht nur in Corona-Zeiten. Die Krise erfordert keine neue Ethik, vielmehr die Rückbesinn­ung auf die vorhandene – und eine Weitung des Blicks. Forscher des Potsdam-Instituts für Klimafolge­nforschung haben kürzlich eine Art neuen Generation­envertrag vorgeschla­gen: Die Jüngeren halten sich strikt an die Hygiene-Regeln und schützen damit die Älteren, die sich im Gegenzug stärker fürs Klima einsetzen. Warum nicht? Daraus könnte mehr erwachsen als durch immer neue Vorschrift­en und Verbote.

Wann Corona vorbei ist, liegt vor allem an uns selbst. Und wahrschein­lich gilt das für viel mehr Dinge, als wir auf den ersten Blick für möglich halten.

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