Angenehm normal
Nachdem das Fernsehduell von Donald Trump und Joe Biden im Chaos versank, bekamen die Amerikaner zumindest von ihren Vize-Kandidaten eine geordnetere Debatte geboten. Nur eine Fliege störte.
SALT LAKE CITY Kaum ist die eine Debatte über die Bühne gegangen, gibt es schon Streit um die nächste. In einer Woche sollen Donald Trump und Joe Biden ein zweites Mal aufeinandertreffen. Während die US-Medien noch spekulierten, ob der an Covid-19 erkrankte Amtsinhaber überhaupt teilnehmen kann, sprach die Kommission, die die Spielregeln festzulegen hat, ein Machtwort. Im Interesse der Gesundheit aller Beteiligten sollen die Protagonisten nun rein virtuell diskutieren, statt, wie ursprünglich vorgesehen, wenige Meter voneinander entfernt in einer Kunsthalle in Miami zu sitzen. Es dauerte nicht lange, bis der Präsident Einspruch einlegte. Er werde seine Zeit nicht mit so etwas verschwenden, protestierte er am Donnerstagmorgen in einem Fernsehinterview. „Du sitzt hinter einem Computer und sollst debattieren – das ist doch lächerlich.“
Wie es ausgeht, bleibt abzuwarten. Jedenfalls lässt die sich abzeichnende Kontroverse ein anderes TV-Duell schnell zur Randnotiz werden: das Duell zwischen Mike Pence und Kamala Harris, dem aktuellen Vizepräsidenten und der Senatorin, die ihn im Amt beerben möchte. Dabei hatte es am Mittwochabend für ein paar Minuten so ausgesehen, als sollten sich beide in Salt Lake City ein Streitgespräch für die Geschichtsbücher liefern. Eines, an das man noch lange zurückdenken würde.
Harris, Tochter einer Krebsforscherin aus Indien und eines Ökonomen aus Jamaika, die erste Frau mit dunkler Haut, die für das zweithöchste Amt im Staat kandidiert, bläst sofort zur Offensive. „Das amerikanische Volk ist Zeuge des größten Versagens einer Regierung in der Geschichte unseres Landes geworden“, sagt sie über das Corona-Krisenmanagement. Dabei hätten Trump und Pence bereits Ende Januar gewusst, wie gefährlich das Virus sei. „Und sie haben es Ihnen nicht gesagt“, schiebt sie, direkt ans Publikum gewandt, hinterher. „Sie wussten es, und sie haben es verschleiert.“Deshalb hätten beide das Recht verwirkt, wiedergewählt zu werden.
Pence versucht der Kritik die Spitze zu nehmen, indem er wiederholt, womit sich sein Chef schon seit Monaten aus der Affäre zu ziehen versucht. Zum einen, führt er an, habe Trump sehr früh das Richtige getan und noch im Januar ein Einreiseverbot aus China verfügt. Biden habe das damals abgelehnt und von Fremdenfeindlichkeit gesprochen. Zum anderen sei es dem Präsidenten gelungen, die „größte Mobilisierung seit dem Zweiten Weltkrieg“zu organisieren. Wer den Kraftakt nicht zu schätzen wisse, gibt er zu verstehen, der wisse die Leistung der Amerikaner insgesamt nicht zu würdigen. Darauf Harris unter Verweis auf 210.000 Corona-Tote zwischen Seattle und Miami: „Was immer die Regierung angeblich getan hat, es hat offensichtlich nicht funktioniert.“
Es folgt ein Disput, der illustriert, was für weltanschauliche Gräben zwischen Republikanern und Demokraten
liegen. Pence spricht von der Freiheit, in deren Interesse man den Leuten schon zutrauen müsse, die richtigen Entscheidungen zu treffen, während die Demokraten sie mit Verboten und Zwang bloß gängeln wollten. „Sie respektieren das amerikanische Volk, indem Sie ihm die Wahrheit sagen“, kontert Harris. Während er einen Impfstoff bis Jahresende in Aussicht stellt, warnt sie vor wahlpolitisch motivierten Abkürzungen. „Wenn die Ärzte uns sagen, wir sollen das Vakzin nehmen, bin ich die Erste, die es nimmt. Wenn Donald Trump sagt, wir sollen es nehmen, nehme ich es nicht.“
So hart es inhaltlich zur Sache geht, stilistisch halten sich beide an die Etikette der Höflichkeit. Trump hatte Biden bei der Premiere ein chaotisches Duell aufgezwungen, das in wüste Beschimpfungen ausartete. Durch zwei Plexiglasscheiben voneinander getrennt, zeigen Pence und Harris, dass es noch immer halbwegs geordnet und zivilisiert zugehen kann.
Viel mehr dürfte, abgesehen von dem furiosen Start, nicht im Gedächtnis haften bleiben. Vermutlich war es letztlich eher die Fliege auf Pences Kopf, die für die größte Aufmerksamkeit sorgte. Auf der Bühne wurde es nicht erwähnt, als das Insekt auf dem Haar des Vizepräsidenten landete. Doch in den sozialen Medien wurde das unübersehbare Detail vielfach kommentiert. „Das ist nicht auf Ihrem Fernseher. Das ist auf seinem Kopf“, twitterte MSNBC-Journalistin Rachel Maddow. „Die Fliege weiß Bescheid“, twitterte Autor Stephen King. Andere machten Witze darüber, dass die Fliege am Haarspray festkleben könnte.