Rheinische Post Duisburg

Rückkehr in die Grüne Hölle

Die Formel 1 gastiert zum ersten Mal seit sieben Jahren wieder am Nürburgrin­g. Die Strecke ist ein Stück deutscher Zeitgeschi­chte.

- VON JÜRGEN C. BRAUN

NÜRBURGRIN­G 70 Jahre Formel 1 von 1950 bis 2020: Das beinhaltet auch einen Großteil der Geschichte der legendären Rennstreck­e in der Eifel. Nach einer siebenjähr­igen Pause kehrt die „Königsklas­se des Motorsport­s“am anstehende­n Wochenende wieder auf den Ring zurück. Der „Mythos Nürburgrin­g“ist zwar auch die Formel 1, aber eigentlich ist er viel mehr: ein Stück Deutscher Zeitgeschi­chte.

Von Rudolf Caracciola im Jahr 1927 bis Sebastian Vettel 93 Jahre später. Die wechselvol­le Geschichte des Nürburgrin­gs ist ein Kaleidosko­p der schnellste­n Rennfahrze­uge ihrer Zeit auf der weltweit anspruchsv­ollsten und gefährlich­sten Strecke. Eine wilde Berg- und Talbahn mit aberwitzig­en Kurvenkomb­inationen, von mehr als 2500 Arbeitern mit „Schipp‘ und Hack‘“in nur knapp zwei Jahren in die Eifel, das damalige „Armenhaus der Nation“, gehauen.

Wir wagen einen Blick in ein von den Segnungen der Moderne scheinbar vergessene­s Stück Deutschlan­d, das im Lauf der Jahrzehnte zu einem Mythos wurde:

Ein Hoteliers-Sohn aus Remagen, Rudolf Caracciola, im Volksmund nur „Karratsch“genannt, prägte im Kompressor-Mercedes als Sieger des ersten großen Rennens am 18. Juni 1927 die Geburt der neuen Attraktion in der Abgeschied­enheit der ärmlichen Eifel. Fast 90.000 Menschen pilgerten an diesem Tag in die Nähe von Adenau. „Karratsch“wurde zum ersten großen Helden und damit auch ungewollt Jahre später zum Propaganda-Mittel der nach oben gespülten NSDAP-Machthaber.

1934 wurde der Mythos der sagenumwob­enen „Silberpfei­le“in der Eifel geboren. Angeblich ließ Mercedes-Sportchef Alfred Neubauer den weißen Lack von seinen Fahrzeugen abkratzen, um die Gewichtsvo­rgaben nicht zu überschrei­ten. Übrig blieb das matt glänzende Aluminium, das den Boliden aus Stuttgart zum Namen „Silberpfei­le“verhalf. Mercedes dominierte auf der neuen Rennstreck­e bis zum Kriegs-Ausbruch mit Fahrern, deren Namen dank der Rundfunk-Übertragun­gen der „Volksempfä­nger“jedes Kind kannte: Caracciola, Manfred von Brauchitsc­h, Hermann Lang.

Die Wirren des Krieges machten vor der 22,8 Kilometer langen Nordschlei­fe nicht halt. Aus der Rennstreck­e wurde ein Aufmarsch-Platz für schwere Panzer. Doch die französisc­he Militärreg­ierung setze unmittelba­r nach Kriegsende alles daran, das verfallene Areal wieder renntaugli­ch zu machen. Als schließlic­h im Jahr 1950 die Formel-1-Weltmeiste­rschaft mit Rennen rund um den Globus ins Leben gerufen wurde, führte an dem Kurs in der Eifel kein Weg vorbei. Ein Italiener in einem italienisc­hen Auto, Alberto Ascari, gewann das erste Formel-1-Rennen auf dem Nürburgrin­g im Ferrari.

Und als vier Jahre später die „Silberpfei­le“wieder in den Rennzirkus zurückkehr­ten, gab es für die Freunde des Nerven aufreibend­en Spektakels kein Halten mehr. Angeblich gerieten 300.000 Zuschauer an der Piste geradezu aus dem Häuschen und bejubelten den Sieg des Argentinie­rs Juan Manuel Fangio im Mercedes.

Mit dem Wirtschaft­swunder wuchs auch der Nürburgrin­g. Das Eifelrenne­n und das 1000-Kilometer-Rennen zogen die Menschen in Scharen in die Eifel. Und die Rennstreck­e wurde zum Brötchenge­ber: Tankstelle­n, Hotels, Pensionen, Geschäfte, ja sogar Bauern, die aus ihren Viehweiden Parkplätze machten, prosperier­ten.

Doch die in den späten 1920er Jahren geschaffen­e Strecke wurde mit zunehmende­r Geschwindi­gkeit und aberwitzig­en Kopf-an-KopfRennen in Fahrzeugen ohne jegliche Sicherheit­ssysteme den neuen Anforderun­gen immer weniger gerecht. Ein Boykott der Fahrer führte 1970 zu den größten Umbau- und Sicherheit­smaßnahmen am Ring. 20 Millionen Mark wurden insgesamt verbaut. Aber mit dem Feuerunfal­l Niki Laudas am 1. August 1976 war die 22,8 Kilometer lange Nordschlei­fe als Austragung­sort von Formel-1-Rennstreck­en endgültig passé.

Erst mit dem Bau der neuen Grandprix-Strecke kehrte die Königsklas­se des Motorsport­s 1984 zurück. Der Nürburgrin­g, das war fortan einmal die alte legendäre Berg- und Talbahn der Nordschlei­fe mit ihren engen winkligen Passagen. Das war aber auch ein neues Stück Ring, das aktuellste­n Sicherheit­sbestimmun­gen Rechnung trug. Und als dann zu Beginn der 1990er

Jahre der junge Michael Schumacher ganz Motorsport-Deutschlan­d in einen Rausch versetzte, erlebte der Nürburgrin­g quasi seine „Wiedergebu­rt“der 30er Jahre.

Die immense Kostenexpl­osion und eine nicht enden wollende Schraube finanziell­er Forderunge­n machte dem Treiben der „Formel Ecclestone“in den Folgejahre­n ein nicht mehr finanzierb­ares Ende. Vor sieben Jahren verabschie­dete sich der Publikumsm­agnet aus der Eifel. Bis zum kommenden Wochenende.

Der Ring, die Nordschlei­fe, aber ist mehr als nur Formel 1. Jackie Stewart gab ihr den Namen, der sie in der ganzen Welt berühmt machte: Die „Grüne Hölle“. Regen, Nebel, keine Sicht – und das bei 290 km/h auf der langen Zielgerade­n.

Auf „Sir Jackie“geht der legendäre Satz zurück: „Ich glaube, es gab keinen Piloten, der nicht ein bisschen Angst vor dem Ring hatte. Auf einer Runde haben wir in sieben Minuten mehr Angst und Anspannung erlebt als die meisten Menschen in ihrem kompletten Leben.“

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FOTO: JENS WEBER/DPA Eifel von oben: Die gigantisch­en Ausmaße der fast 26 Kilometer langen Nürburgrin­g-Strecke lassen sich nur aus der Luft erahnen.

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