Niedlichkeit kann ganz schön wehtun
Die neue Schau im NRW-Forum „Cute. Inseln der Glückseligkeit?“widmet sich dem Phänomen des Putzigen.
DÜSSELDORF Genau dafür braucht man das NRW-Forum in Düsseldorf: dass es Alltagstendenzen erkennt und einordnet. Dass es seine Besucher aufgeklärter entlässt, mündiger im besten Fall. In der neuen Schau des Hauses geht es nun um den Trend zur Niedlichkeit und den Boom des Putzigen. „Cute. Inseln der Glückseligkeit?“heißt die Ausstellung, die sich einen Reim darauf zu machen versucht, dass allein bei Instagram mehr als 500 Millionen Postings mit dem Hashtag „cute“(englisch für „niedlich“) versehen wurden und dass süße Kunst etwa von Jeff Koons und Takashi Murakami so populär ist.
Gezeigt werden 50 Werke – darunter Arbeiten von Juergen Teller, Pierre et Gilles und Loretta Lux – plus Alltagsgegenstände in zwei Räumen. Zunächst wähnt sich der Besucher in Sicherheit: Das Niedliche wirkt als Ausdruck einer Sehnsucht nach Geborgenheit. Katzenbilder im Internet, einmontierte Einhörner in Fotografien und Regenbogen-Sticker symbolisieren Nahbarkeit in Zeiten digitaler Entfremdung. Im Internet steht das Hauptquartier des Entzückenden.
Und dorthin flohen zu Zeiten des Lockdowns besonders viele: auf dem Rücken eines Einhorns aus dem Hochrisikogebiet.
Spätestens vor dem bemerkenswertesten Objekt der Schau kommt man aber ins Grübeln. Die Künstlerin Carla Gannis hat das Triptychon „Der Garten der Lüste“von Hieronymus Bosch als quietschbuntes und flackerndes Emoji-Wimmelbild nachgebaut. Das Drollige wird hier zur widerständigen, ätzenden Geste, zum sarkastischen Kommentar.
Überhaupt schlägt das Herzige rasch ins Abgründige und Unbehagliche um. Zum Beispiel, wenn man alte Kampagnen sieht, die auf den Klimawandel aufmerksam machen sollten. Da schmusen Eisbären auf einer Eisscholle. Familienidylle, denkt man direkt. Verfehlt diese Darstellung nicht ihren Zweck?
Unter der Projektleitung von Birgit Richard, die am Institut für Kunstpädagogik an der Goethe-Uni in Frankfurt lehrt, beweist die Ausstellung, wie politisch das Putzige werden kann. Cuteness dient nicht selten als Mittel der Manipulation. Etwa in Videos der Neuen Rechten, wenn die Cartoonfigur „Pepe der Frosch“Zuwanderung erklärt. Von einer Betäubungspille gegen die Zumutungen der Gegenwart hat sich das Possierliche erst zu einem Wert der Konsumkultur und schließlich in ein Propagandainstrument verwandelt.
Die Ausstellung setzt auf aktive Besucher. Manchmal wünscht man sich in den Sälen mehr Erläuterungen.
Etwa im Hinblick darauf, wie man die Absichten hinter den verschiedenen Formen des Niedlichen erkennen kann und was dieses Phänomen über die Gegenwart aussagt. Solche Antworten findet man in den erhellenden Publikationen, die die Schau begleiten: im Katalog und im Theorieband „#cute. Eine Ästhetik des Niedlichen zwischen Natur und Kunst“.
Wer aus dem NRW-Forum tritt, ist jedenfalls gewarnt: Niedlichkeit kann wehtun.