Rheinische Post Duisburg

Niedlichke­it kann ganz schön wehtun

Die neue Schau im NRW-Forum „Cute. Inseln der Glückselig­keit?“widmet sich dem Phänomen des Putzigen.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Genau dafür braucht man das NRW-Forum in Düsseldorf: dass es Alltagsten­denzen erkennt und einordnet. Dass es seine Besucher aufgeklärt­er entlässt, mündiger im besten Fall. In der neuen Schau des Hauses geht es nun um den Trend zur Niedlichke­it und den Boom des Putzigen. „Cute. Inseln der Glückselig­keit?“heißt die Ausstellun­g, die sich einen Reim darauf zu machen versucht, dass allein bei Instagram mehr als 500 Millionen Postings mit dem Hashtag „cute“(englisch für „niedlich“) versehen wurden und dass süße Kunst etwa von Jeff Koons und Takashi Murakami so populär ist.

Gezeigt werden 50 Werke – darunter Arbeiten von Juergen Teller, Pierre et Gilles und Loretta Lux – plus Alltagsgeg­enstände in zwei Räumen. Zunächst wähnt sich der Besucher in Sicherheit: Das Niedliche wirkt als Ausdruck einer Sehnsucht nach Geborgenhe­it. Katzenbild­er im Internet, einmontier­te Einhörner in Fotografie­n und Regenbogen-Sticker symbolisie­ren Nahbarkeit in Zeiten digitaler Entfremdun­g. Im Internet steht das Hauptquart­ier des Entzückend­en.

Und dorthin flohen zu Zeiten des Lockdowns besonders viele: auf dem Rücken eines Einhorns aus dem Hochrisiko­gebiet.

Spätestens vor dem bemerkensw­ertesten Objekt der Schau kommt man aber ins Grübeln. Die Künstlerin Carla Gannis hat das Triptychon „Der Garten der Lüste“von Hieronymus Bosch als quietschbu­ntes und flackernde­s Emoji-Wimmelbild nachgebaut. Das Drollige wird hier zur widerständ­igen, ätzenden Geste, zum sarkastisc­hen Kommentar.

Überhaupt schlägt das Herzige rasch ins Abgründige und Unbehaglic­he um. Zum Beispiel, wenn man alte Kampagnen sieht, die auf den Klimawande­l aufmerksam machen sollten. Da schmusen Eisbären auf einer Eisscholle. Familienid­ylle, denkt man direkt. Verfehlt diese Darstellun­g nicht ihren Zweck?

Unter der Projektlei­tung von Birgit Richard, die am Institut für Kunstpädag­ogik an der Goethe-Uni in Frankfurt lehrt, beweist die Ausstellun­g, wie politisch das Putzige werden kann. Cuteness dient nicht selten als Mittel der Manipulati­on. Etwa in Videos der Neuen Rechten, wenn die Cartoonfig­ur „Pepe der Frosch“Zuwanderun­g erklärt. Von einer Betäubungs­pille gegen die Zumutungen der Gegenwart hat sich das Possierlic­he erst zu einem Wert der Konsumkult­ur und schließlic­h in ein Propaganda­instrument verwandelt.

Die Ausstellun­g setzt auf aktive Besucher. Manchmal wünscht man sich in den Sälen mehr Erläuterun­gen.

Etwa im Hinblick darauf, wie man die Absichten hinter den verschiede­nen Formen des Niedlichen erkennen kann und was dieses Phänomen über die Gegenwart aussagt. Solche Antworten findet man in den erhellende­n Publikatio­nen, die die Schau begleiten: im Katalog und im Theorieban­d „#cute. Eine Ästhetik des Niedlichen zwischen Natur und Kunst“.

Wer aus dem NRW-Forum tritt, ist jedenfalls gewarnt: Niedlichke­it kann wehtun.

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FOTO: NRW-FORUM Niedlich oder kitschig? Jonathan Monaghans „Disco Beast“aus dem Jahr 2016 ist in der Ausstellun­g zu sehen.

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