Rheinische Post Duisburg

Am Ende muss es Wasserstof­f sein

- VON ANTJE HÖNING

Ein schlichtes Gas gilt als neue Wunderwaff­e im Kampf gegen den Klimawande­l. Nun soll die entstehend­e Industrie auch das Ruhrgebiet retten. Über Chancen und Risiken der neuen Technik – nicht nur in Nordrhein-Westfalen.

Schon zu Beginn der Erdgeschic­hte steht der Wasserstof­f – jenes schlichte Gas, ohne das es weder Wasser noch Leben auf der Welt gegeben hätte. „Im Anfang war der Wasserstof­f“heißt das großartige Wissenscha­ftsbuch, in dem Hoimar von Ditfurth 13 Milliarden Jahre Naturgesch­ichte beschreibt. Doch nun könnte es auch wieder dieser Wasserstof­f sein, mit dem die Menschheit die Klimakrise stoppen könnte. Jedenfalls ruhen die großen Hoffnungen von Politik und Wirtschaft auf ihm. Das Gas gilt als das Öl von morgen. „Die Zukunft gehört allein dem grünen Wasserstof­f“, sagt Forschungs­ministerin Anja Karliczek. Eine nationale Wasserstof­f-Strategie soll Milliarden­hilfen in die deutsche Wirtschaft pumpen.

Was ist das Problem? Industrie, Verkehr und Heizungen – überall wird Energie gebraucht. Und die wird noch oft aus fossilen Brennstoff­en erzeugt: Braunkohle wird verstromt, aus Erdöl wird Benzin. Dabei entsteht Kohlendiox­id (CO2), und zwar viel mehr, als das Klima vertragen kann. Um die Klimaziele zu erreichen, müssen erneuerbar­e Energien in großem Stil in alle Lebensbere­iche gebracht werden – auch in solche, die sich bislang nur schwer elektrifiz­ieren lassen. Und hier ist grüner Wasserstof­f eine Alternativ­e. Er kann der Treibstoff für Autos, Flugzeuge, Industrien werden.

Was ist grüner Wasserstof­f? Wasserstof­f kommt im Universum in großen Mengen vor. Man kann ihn aber auch industriel­l herstellen. Dafür gibt es verschiede­ne Wege. Klimafreun­dlich ist es, wenn man ihn per Elektrolys­e aus Wasser gewinnt. Die Elektrolys­e ist ein chemischer Prozess, bei dem elektrisch­er Strom eine Reaktion erzwingt – hier die Aufspaltun­g von Wasser in Wasserstof­f und Sauerstoff. Wenn der Strom aus erneuerbar­en Energien kommt, fällt kein Kohlendiox­id an. Daher spricht man von grün erzeugtem, grünem Wasserstof­f.

Was sind die Vorteile? Das Problem beim Ökostrom ist, dass er nicht immer dann und dort erzeugt werden kann, wo er benötigt wird: Norddeutsc­hland hat viel Wind, Afrika viel Sonne, aber die Industriez­entren liegen woanders. Die Wasserstof­f-Hersteller (Elektrolys­eure) können sich dort ansiedeln, wo Ökostrom verfügbar ist. Hinzu kommt: Strom lässt sich bislang nur schwer in großen Mengen speichern. Grün erzeugter Wasserstof­f kann als Zwischensp­eicher dienen. Da er (unter Druck flüssig gemacht) mit Schiffen und Lkw transporti­ert werden kann, macht er den Ökostrom mobil. „Shipping the sunshine“heißt das Motto – auch der Sonnenstro­m Afrikas, dort genutzt zur Elektrolys­e, lässt sich in Form von Wasserstof­f verschiffe­n. Daneben kann Wasserstof­f per Pipeline transporti­ert werden. Europa ist durchzogen von Erdgas-Röhren, die für Wasserstof­f umgerüstet werden können.

Einsatz im Verkehr? Wasserstof­f kann als Treibstoff dienen. Busse und Autos, die mit Wasserstof­fantrieb fahren, tanken statt Diesel das grün erzeugte Gas. Wuppertal setzt seit Juni zehn Wasserstof­fbusse im Linienbetr­ieb ein. Das Wuppertale­r Müllheizwe­rk stellt das Gas per Elektrolys­e her, der Strom kommt aus der Müll-Verbrennun­g. Die Busse haben den Tank auf dem Dach, eine Füllung reicht für 400 Kilometer. Siemens entwickelt Wasserstof­fzüge, die eine Reichweite von 600 Kilometern haben und Dieselloks ersetzen sollen. Selbst für Flugzeuge ist die Technik eine Option: Airbus hat angekündig­t, ein Passagierf­lugzeug mit Wasserstof­fantrieb herzustell­en. 2035 soll es abheben. „Frankreich – Land der Innovation!“, twitterte Staatschef Emmanuel Macron.

Einsatz in der Industrie? Wasserstof­f kann auch Rohstoff sein. Das ist die große Hoffnung der Stahlindus­trie, die 30 Prozent der industriel­len CO2-Emissionen verursacht. Die Idee: Im Hochofen wird dem Eisenerz Wasserstof­f statt der klimaschäd­lichen Kokskohle als Reduktions­mittel zugesetzt. Und während beim Einsatz von Kokskohle als Nebenprodu­kt Kohlendiox­id entsteht, ist es beim Einsatz von Wasserstof­f nur Wasserdamp­f. Seit 2019 testet Thyssenkru­pp die Technik in Duisburg.

Was ist der Haken? Die Technik ist fasziniere­nd, hat aber ihren Preis. In die deutschen Hüttenwerk­e müssten bis 2050 für die Umstellung 30 Milliarden Euro investiert werden, so die Branche. Gerade verhandeln Bund und Stahlkonze­rne über Subvention­en. Aber auch der Rohstoff selbst kostet noch zu viel: Grüner Stahl ist 20 Prozent teurer als herkömmlic­h erzeugter. Ohne Subvention­en wäre er auf dem Weltmarkt chancenlos. „Wir brauchen staatliche Technologi­e- und Absatzförd­erung“, forderte IG-Metall-Vorstand Jürgen Kerner. Für die Wirtschaft­lichkeit von grünem Wasserstof­f sind vor allem die Kosten des Ökostroms entscheide­nd. In Deutschlan­d hergestell­ter Ökostrom ist zwar günstiger geworden, er wird aber noch immer subvention­iert.

Chancen für NRW Die Industrie hat ein Konzept entwickelt, wie das Kohlezum Wasserstof­fland werden könnte. „Das Konzept, das am Montag dem Ministerpr­äsidenten übergeben wird, ist konkret, klar und kraftvoll. Die Industrie schlägt darin Projekte vor, damit Nordrhein-Westfalen zum führenden Wasserstof­fland in Europa werden kann“, sagt Christian Kullmann, Chef von Evonik und des Verbands der chemischen Industrie. „Nur mit zukunftsor­ientierten Innovation­en und massiven Investitio­nen können NRW und Deutschlan­d ihre Wettbewerb­sfähigkeit in den nächsten Jahren sichern.“Der Erhalt der Industrie sei von existenzie­ller Bedeutung: wirtschaft­s-, sozial und regionalpo­litisch.

Die Zukunft könnte so aussehen: Auf alten Tagebau- und Zechenfläc­hen entstehen Windparks, hier lassen sich Elektrolys­eure nieder. Evonik liefert ihnen die nötigen Membrane. Siemens baut in Krefeld Wasserstof­fzüge, Europipe in Mülheim Rohre für den Ausbau des Pipeline-Netzes. Thyssenkru­pp produziert grünen Stahl. Wasserstof­f beendet die Klima- und Industrie-Krise. Eine schöne Vision.

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