Am Ende muss es Wasserstoff sein
Ein schlichtes Gas gilt als neue Wunderwaffe im Kampf gegen den Klimawandel. Nun soll die entstehende Industrie auch das Ruhrgebiet retten. Über Chancen und Risiken der neuen Technik – nicht nur in Nordrhein-Westfalen.
Schon zu Beginn der Erdgeschichte steht der Wasserstoff – jenes schlichte Gas, ohne das es weder Wasser noch Leben auf der Welt gegeben hätte. „Im Anfang war der Wasserstoff“heißt das großartige Wissenschaftsbuch, in dem Hoimar von Ditfurth 13 Milliarden Jahre Naturgeschichte beschreibt. Doch nun könnte es auch wieder dieser Wasserstoff sein, mit dem die Menschheit die Klimakrise stoppen könnte. Jedenfalls ruhen die großen Hoffnungen von Politik und Wirtschaft auf ihm. Das Gas gilt als das Öl von morgen. „Die Zukunft gehört allein dem grünen Wasserstoff“, sagt Forschungsministerin Anja Karliczek. Eine nationale Wasserstoff-Strategie soll Milliardenhilfen in die deutsche Wirtschaft pumpen.
Was ist das Problem? Industrie, Verkehr und Heizungen – überall wird Energie gebraucht. Und die wird noch oft aus fossilen Brennstoffen erzeugt: Braunkohle wird verstromt, aus Erdöl wird Benzin. Dabei entsteht Kohlendioxid (CO2), und zwar viel mehr, als das Klima vertragen kann. Um die Klimaziele zu erreichen, müssen erneuerbare Energien in großem Stil in alle Lebensbereiche gebracht werden – auch in solche, die sich bislang nur schwer elektrifizieren lassen. Und hier ist grüner Wasserstoff eine Alternative. Er kann der Treibstoff für Autos, Flugzeuge, Industrien werden.
Was ist grüner Wasserstoff? Wasserstoff kommt im Universum in großen Mengen vor. Man kann ihn aber auch industriell herstellen. Dafür gibt es verschiedene Wege. Klimafreundlich ist es, wenn man ihn per Elektrolyse aus Wasser gewinnt. Die Elektrolyse ist ein chemischer Prozess, bei dem elektrischer Strom eine Reaktion erzwingt – hier die Aufspaltung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff. Wenn der Strom aus erneuerbaren Energien kommt, fällt kein Kohlendioxid an. Daher spricht man von grün erzeugtem, grünem Wasserstoff.
Was sind die Vorteile? Das Problem beim Ökostrom ist, dass er nicht immer dann und dort erzeugt werden kann, wo er benötigt wird: Norddeutschland hat viel Wind, Afrika viel Sonne, aber die Industriezentren liegen woanders. Die Wasserstoff-Hersteller (Elektrolyseure) können sich dort ansiedeln, wo Ökostrom verfügbar ist. Hinzu kommt: Strom lässt sich bislang nur schwer in großen Mengen speichern. Grün erzeugter Wasserstoff kann als Zwischenspeicher dienen. Da er (unter Druck flüssig gemacht) mit Schiffen und Lkw transportiert werden kann, macht er den Ökostrom mobil. „Shipping the sunshine“heißt das Motto – auch der Sonnenstrom Afrikas, dort genutzt zur Elektrolyse, lässt sich in Form von Wasserstoff verschiffen. Daneben kann Wasserstoff per Pipeline transportiert werden. Europa ist durchzogen von Erdgas-Röhren, die für Wasserstoff umgerüstet werden können.
Einsatz im Verkehr? Wasserstoff kann als Treibstoff dienen. Busse und Autos, die mit Wasserstoffantrieb fahren, tanken statt Diesel das grün erzeugte Gas. Wuppertal setzt seit Juni zehn Wasserstoffbusse im Linienbetrieb ein. Das Wuppertaler Müllheizwerk stellt das Gas per Elektrolyse her, der Strom kommt aus der Müll-Verbrennung. Die Busse haben den Tank auf dem Dach, eine Füllung reicht für 400 Kilometer. Siemens entwickelt Wasserstoffzüge, die eine Reichweite von 600 Kilometern haben und Dieselloks ersetzen sollen. Selbst für Flugzeuge ist die Technik eine Option: Airbus hat angekündigt, ein Passagierflugzeug mit Wasserstoffantrieb herzustellen. 2035 soll es abheben. „Frankreich – Land der Innovation!“, twitterte Staatschef Emmanuel Macron.
Einsatz in der Industrie? Wasserstoff kann auch Rohstoff sein. Das ist die große Hoffnung der Stahlindustrie, die 30 Prozent der industriellen CO2-Emissionen verursacht. Die Idee: Im Hochofen wird dem Eisenerz Wasserstoff statt der klimaschädlichen Kokskohle als Reduktionsmittel zugesetzt. Und während beim Einsatz von Kokskohle als Nebenprodukt Kohlendioxid entsteht, ist es beim Einsatz von Wasserstoff nur Wasserdampf. Seit 2019 testet Thyssenkrupp die Technik in Duisburg.
Was ist der Haken? Die Technik ist faszinierend, hat aber ihren Preis. In die deutschen Hüttenwerke müssten bis 2050 für die Umstellung 30 Milliarden Euro investiert werden, so die Branche. Gerade verhandeln Bund und Stahlkonzerne über Subventionen. Aber auch der Rohstoff selbst kostet noch zu viel: Grüner Stahl ist 20 Prozent teurer als herkömmlich erzeugter. Ohne Subventionen wäre er auf dem Weltmarkt chancenlos. „Wir brauchen staatliche Technologie- und Absatzförderung“, forderte IG-Metall-Vorstand Jürgen Kerner. Für die Wirtschaftlichkeit von grünem Wasserstoff sind vor allem die Kosten des Ökostroms entscheidend. In Deutschland hergestellter Ökostrom ist zwar günstiger geworden, er wird aber noch immer subventioniert.
Chancen für NRW Die Industrie hat ein Konzept entwickelt, wie das Kohlezum Wasserstoffland werden könnte. „Das Konzept, das am Montag dem Ministerpräsidenten übergeben wird, ist konkret, klar und kraftvoll. Die Industrie schlägt darin Projekte vor, damit Nordrhein-Westfalen zum führenden Wasserstoffland in Europa werden kann“, sagt Christian Kullmann, Chef von Evonik und des Verbands der chemischen Industrie. „Nur mit zukunftsorientierten Innovationen und massiven Investitionen können NRW und Deutschland ihre Wettbewerbsfähigkeit in den nächsten Jahren sichern.“Der Erhalt der Industrie sei von existenzieller Bedeutung: wirtschafts-, sozial und regionalpolitisch.
Die Zukunft könnte so aussehen: Auf alten Tagebau- und Zechenflächen entstehen Windparks, hier lassen sich Elektrolyseure nieder. Evonik liefert ihnen die nötigen Membrane. Siemens baut in Krefeld Wasserstoffzüge, Europipe in Mülheim Rohre für den Ausbau des Pipeline-Netzes. Thyssenkrupp produziert grünen Stahl. Wasserstoff beendet die Klima- und Industrie-Krise. Eine schöne Vision.