„Die Schulleitungen sind nicht gut genug vorbereitet“
Die Ko-Vorsitzende der SPD über Fehler in den Corona-Konzepten, radikal neue Lehrpläne und warum sich die Linke für eine Koalition nicht neu aufstellen müsste.
ESKEN Die gewohnten Unterrichtskonzepte ermöglichen es nicht, dass Unterrichtsgruppen konsequent voneinander getrennt werden können. Viel zu häufig werden im Moment ganze Jahrgangsstufen mit mehreren Klassen oder gar ganze Schulen wegen einzelner Corona-Fälle geschlossen. So ist an einen durchgängig zuverlässigen Unterricht in den kommenden Monaten nicht zu denken.
Oft fehlen den Schulen Personal und Räume, um den Präsenzunterricht entzerren zu können.
ESKEN Es gäbe viele Möglichkeiten, ohne besonderen Personalaufwand, ohne Container als Ersatzklassenzimmer den Unterricht so zu organisieren, dass sich die Schüler nicht in Bussen, Bahnen oder auf dem Schulhof dicht drängen müssen.
Was genau stellen Sie sich vor? ESKEN Die Schulen könnten beispielsweise pädagogische und organisatorische Pläne aufstellen, um Projektunterricht anzubieten. Schulleitungen müssen radikal neu denken. Der Physikunterricht eines Jahres könnte beispielsweise im Block abgehandelt werden, sodass ein Fachlehrer nicht so häufig die Klassen wechseln muss.
Das Problem ist Fachunterricht? ESKEN Ja, weil beispielsweise die Sportlehrerin oder der Französischlehrer alle Klassen unterrichtet und sich die Gruppen dafür mischen. Fachlehrer können so zu Superspreadern werden. Wenn die Schulen es nicht schaffen, binnen kürzester Zeit die Gruppen viel konsequenter zu trennen, werden wir viele Unterrichtsausfälle erleben. Wir sollten den Anspruch an die traditionelle „Stoffvermittlung“in diesem Schuljahr etwas herunterdrehen und mehr Kraft darauf verwenden, dass regelmäßig Unterricht stattfindet. Bei geschlossenen Schulen ist jeder Lehrplan überholt. Die Kinder haben ein Recht auf verlässliche Bildung und gute Begleitung bei anstehenden Abschlüssen und Übergängen.
Fürchten Sie, dass die Länder angesichts der steigenden Infektionszahlen in Streit zurückfallen? ESKEN Ich kann nur davor warnen, dass jetzt einzelne Ministerpräsidenten die Situation zur Profilierung im innerparteilichen Wettstreit missbrauchen. Dafür ist die Lage viel zu ernst. Das Virus verbreitet sich exponentiell, und wir müssen geeint dagegen vorgehen. Manch ein Vertreter der Union nimmt in dieser Lage mit dem internen Wettkampf Schaden für das Land in Kauf. Das ist unverantwortlich.
Was ist Ihr Eindruck von Markus Söders Rolle, die er im Kreis der
Länder spielt?
ESKEN Wenn ich mir die Zahlen in Bayern anschaue und die Probleme mit den Tests, dann hat das Bild des großen Krisenmanagers aus München jedenfalls erhebliche Kratzer bekommen.
Wie tritt er im Koalitionsausschuss auf, wenn Sie unter sich sind? ESKEN In den Verhandlungen zum Konjunkturpaket mit seinen 57 Unterpunkten und Regelungen bis ins Detail hat Markus Söder jedenfalls keine zentrale Rolle gespielt.
Sie haben vor Monaten ein Gespräch mit den Spitzen von Grünen und Linken in Aussicht gestellt. Hat das mittlerweile stattgefunden? ESKEN Das hat wegen Corona etwas länger gedauert. Jetzt haben Norbert Walter-Borjans und ich uns in den vergangenen zwei Wochen jeweils mit den Parteivorsitzenden von Linken und Grünen getroffen.
Und Sie haben bereits über Kooperationen gesprochen?
ESKEN Beide Gespräche waren von offener und freundlicher Atmosphäre. Es ging um Kooperationen – in welcher Form auch immer –, um Schnittmengen und Konfliktfelder.
War Olaf Scholz dabei?
ESKEN Nein, Olaf Scholz war nicht dabei. Das war ein Treffen der Parteivorsitzenden. Und außerdem: Wen hätten Grüne oder Linke dann dazugenommen? Wir sind die einzige Partei, die bereits ihren Kanzlerkandidaten benannt hat.
Und Sie haben welche konkreten Verabredungen getroffen?
ESKEN Dass wir uns in den kommenden Wochen erneut treffen wollen. Ansonsten keine.
Muss die Linke sich in der Außenund Sicherheitspolitik reformieren für ein rot-rot-grünes Bündnis? ESKEN Die Linke kann ja die Abschaffung der Nato und die Beendigung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr fordern. In einen Koalitionsvertrag mit der SPD kämen solche Vorhaben aber nie hinein. Eine Partei muss sich ja nicht zwingend neu aufstellen, um eine Koalition einzugehen, aber man muss eben akzeptieren, dass nicht alle Ideen in einem Koalitionsvertrag verankert und dann womöglich auch noch umgesetzt werden.
Beunruhigt Sie der Machtkampf in der NRW-SPD zwischen Parteichef Sebastian Hartmann und Fraktionschef Thomas Kutschaty?
ESKEN Grundsätzlich sind konkurrierende Kandidaturen kein Grund, von Kampf zu sprechen. Und ein solcher Wettstreit kann den Zusammenhalt ja auch stärken, wie wir das an der Bundesspitze erlebt haben.
Aber es scheint doch angesichts der Fronten so, als gäbe es gar keinen Zusammenhalt mehr in der nordrhein-westfälischen SPD.
ESKEN Tatsächlich ist es in den vergangenen zwei Jahren nicht gelungen, den Zusammenhalt der beiden Lager herzustellen. Das muss die zentrale Aufgabe nach dem Landesparteitag sein.
Sollte Umweltministerin Svenja Schulze als Kandidatin für den NRW-Vorsitz antreten?
ESKEN Ich werde mich da nicht einmischen.