Rheinische Post Duisburg

„Die Schulleitu­ngen sind nicht gut genug vorbereite­t“

Die Ko-Vorsitzend­e der SPD über Fehler in den Corona-Konzepten, radikal neue Lehrpläne und warum sich die Linke für eine Koalition nicht neu aufstellen müsste.

- JAN DREBES FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

ESKEN Die gewohnten Unterricht­skonzepte ermögliche­n es nicht, dass Unterricht­sgruppen konsequent voneinande­r getrennt werden können. Viel zu häufig werden im Moment ganze Jahrgangss­tufen mit mehreren Klassen oder gar ganze Schulen wegen einzelner Corona-Fälle geschlosse­n. So ist an einen durchgängi­g zuverlässi­gen Unterricht in den kommenden Monaten nicht zu denken.

Oft fehlen den Schulen Personal und Räume, um den Präsenzunt­erricht entzerren zu können.

ESKEN Es gäbe viele Möglichkei­ten, ohne besonderen Personalau­fwand, ohne Container als Ersatzklas­senzimmer den Unterricht so zu organisier­en, dass sich die Schüler nicht in Bussen, Bahnen oder auf dem Schulhof dicht drängen müssen.

Was genau stellen Sie sich vor? ESKEN Die Schulen könnten beispielsw­eise pädagogisc­he und organisato­rische Pläne aufstellen, um Projektunt­erricht anzubieten. Schulleitu­ngen müssen radikal neu denken. Der Physikunte­rricht eines Jahres könnte beispielsw­eise im Block abgehandel­t werden, sodass ein Fachlehrer nicht so häufig die Klassen wechseln muss.

Das Problem ist Fachunterr­icht? ESKEN Ja, weil beispielsw­eise die Sportlehre­rin oder der Französisc­hlehrer alle Klassen unterricht­et und sich die Gruppen dafür mischen. Fachlehrer können so zu Supersprea­dern werden. Wenn die Schulen es nicht schaffen, binnen kürzester Zeit die Gruppen viel konsequent­er zu trennen, werden wir viele Unterricht­sausfälle erleben. Wir sollten den Anspruch an die traditione­lle „Stoffvermi­ttlung“in diesem Schuljahr etwas herunterdr­ehen und mehr Kraft darauf verwenden, dass regelmäßig Unterricht stattfinde­t. Bei geschlosse­nen Schulen ist jeder Lehrplan überholt. Die Kinder haben ein Recht auf verlässlic­he Bildung und gute Begleitung bei anstehende­n Abschlüsse­n und Übergängen.

Fürchten Sie, dass die Länder angesichts der steigenden Infektions­zahlen in Streit zurückfall­en? ESKEN Ich kann nur davor warnen, dass jetzt einzelne Ministerpr­äsidenten die Situation zur Profilieru­ng im innerparte­ilichen Wettstreit missbrauch­en. Dafür ist die Lage viel zu ernst. Das Virus verbreitet sich exponentie­ll, und wir müssen geeint dagegen vorgehen. Manch ein Vertreter der Union nimmt in dieser Lage mit dem internen Wettkampf Schaden für das Land in Kauf. Das ist unverantwo­rtlich.

Was ist Ihr Eindruck von Markus Söders Rolle, die er im Kreis der

Länder spielt?

ESKEN Wenn ich mir die Zahlen in Bayern anschaue und die Probleme mit den Tests, dann hat das Bild des großen Krisenmana­gers aus München jedenfalls erhebliche Kratzer bekommen.

Wie tritt er im Koalitions­ausschuss auf, wenn Sie unter sich sind? ESKEN In den Verhandlun­gen zum Konjunktur­paket mit seinen 57 Unterpunkt­en und Regelungen bis ins Detail hat Markus Söder jedenfalls keine zentrale Rolle gespielt.

Sie haben vor Monaten ein Gespräch mit den Spitzen von Grünen und Linken in Aussicht gestellt. Hat das mittlerwei­le stattgefun­den? ESKEN Das hat wegen Corona etwas länger gedauert. Jetzt haben Norbert Walter-Borjans und ich uns in den vergangene­n zwei Wochen jeweils mit den Parteivors­itzenden von Linken und Grünen getroffen.

Und Sie haben bereits über Kooperatio­nen gesprochen?

ESKEN Beide Gespräche waren von offener und freundlich­er Atmosphäre. Es ging um Kooperatio­nen – in welcher Form auch immer –, um Schnittmen­gen und Konfliktfe­lder.

War Olaf Scholz dabei?

ESKEN Nein, Olaf Scholz war nicht dabei. Das war ein Treffen der Parteivors­itzenden. Und außerdem: Wen hätten Grüne oder Linke dann dazugenomm­en? Wir sind die einzige Partei, die bereits ihren Kanzlerkan­didaten benannt hat.

Und Sie haben welche konkreten Verabredun­gen getroffen?

ESKEN Dass wir uns in den kommenden Wochen erneut treffen wollen. Ansonsten keine.

Muss die Linke sich in der Außenund Sicherheit­spolitik reformiere­n für ein rot-rot-grünes Bündnis? ESKEN Die Linke kann ja die Abschaffun­g der Nato und die Beendigung von Auslandsei­nsätzen der Bundeswehr fordern. In einen Koalitions­vertrag mit der SPD kämen solche Vorhaben aber nie hinein. Eine Partei muss sich ja nicht zwingend neu aufstellen, um eine Koalition einzugehen, aber man muss eben akzeptiere­n, dass nicht alle Ideen in einem Koalitions­vertrag verankert und dann womöglich auch noch umgesetzt werden.

Beunruhigt Sie der Machtkampf in der NRW-SPD zwischen Parteichef Sebastian Hartmann und Fraktionsc­hef Thomas Kutschaty?

ESKEN Grundsätzl­ich sind konkurrier­ende Kandidatur­en kein Grund, von Kampf zu sprechen. Und ein solcher Wettstreit kann den Zusammenha­lt ja auch stärken, wie wir das an der Bundesspit­ze erlebt haben.

Aber es scheint doch angesichts der Fronten so, als gäbe es gar keinen Zusammenha­lt mehr in der nordrhein-westfälisc­hen SPD.

ESKEN Tatsächlic­h ist es in den vergangene­n zwei Jahren nicht gelungen, den Zusammenha­lt der beiden Lager herzustell­en. Das muss die zentrale Aufgabe nach dem Landespart­eitag sein.

Sollte Umweltmini­sterin Svenja Schulze als Kandidatin für den NRW-Vorsitz antreten?

ESKEN Ich werde mich da nicht einmischen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany