Friedensnobelpreis gegen den Hunger
Das UN-Welternährungsprogramm wird für seinen humanitären Einsatz ausgezeichnet. Die wachsende Not ist indes kaum zu lindern.
OSLO/ROM Der Amerikaner David Beasley weiß, wie er seine Zuhörer und die Welt aufrüttelt. Im April trat der Exekutivdirektor des Welternährungsprogramms (WFP) vor den UN-Sicherheitsrat und warnte: Die Corona-Pandemie drohe „viele Hungersnöte mit biblischen Ausmaßen“auszulösen. Die düstere Prophezeiung zeigte Wirkung. Viele Regierungen unterstützen das WFP der Vereinten Nationen im ersten Jahr der Corona-Pandemie mit mehr Geld als je zuvor: rund acht Milliarden US-Dollar (6,8 Milliarden Euro) bekam die größte humanitäre Organisation der Welt.
Beasley und sein WFP verschafften sich auch die Aufmerksamkeit des Norwegischen Nobelkomitees. Die Jury verleiht in diesem Jahr den Friedensnobelpreis an das WFP. Die Auszeichnung sei auch, wie die Vorsitzende und Friedensrichterin Berit Reiss-Andersen sagt, eine Würdigung der Vereinten Nationen. „Die UN spielen eine Schlüsselrolle in der Aufrechterhaltung der multilateralen Kooperation.“Die von der Corona-Pandemie, von Krisen und Kriegen geschüttelte Welt brauche ein enges Miteinander. Und für globale Zusammenarbeit steht wie kaum eine andere Organisation das Welternährungsprogramm mit Sitz in Rom, das ausschließlich freiwillig finanziert wird.
Der Friedensnobelpreis für das WFP markiert auch in einem anderen Sinn ein bemerkenswertes Signal des Nobelkomitees: ein Signal
des Miteinanders an die USA. WFP-Chef Beasley ist Republikaner und somit Parteigänger des US-Präsidenten Donald Trump, eines erklärten Gegners multilateraler Prinzipien. Kaum hatten Trump und seine Leute die Regierung 2017 übernommen, nominierten sie den früheren Gouverneur von South Carolina für den Chefposten des Welternährungsprogramms. Dass Beasley nach Rom ziehen würde, war eine ausgemachte Sache: Traditionell besetzen die USA die WFP-Topposition. Und die USA zahlen traditionell die größten Summen an das
WFP. Das blieb auch unter Trump so.
Mit dem Geld schickt das WFP jeden Tag rund 5000 Lastwagen, 20 Frachtschiffe und 92 Flugzeuge in den Einsatz, „um die Bedürftigsten mit Nahrungsmitteln und anderen Hilfsgütern zu unterstützen“. Jedes Jahr umfasst die WFP-Ernährungshilfe gut 12,6 Milliarden Mahlzeiten. 2020 wollen die WFP-Helfer 138 Millionen Menschen mit Essensrationen erreichen.
Doch kann auch das WFP nicht alle hungernden Menschen sattmachen. Selbst die Rekordsumme, welche das WFP dieses Jahr erhält, reicht im Kampf gegen den wachsenden globalen Hunger nicht aus. Das weiß der Exekutivdirektor. Erst vor wenigen Tagen warnte Beasley erneut vor dem UN-Sicherheitsrat vor den Konsequenzen der Covid-19-Krise: „Die Auswirkungen haben die zwei Milliarden Menschen, die weltweit in der informellen Wirtschaft arbeiten, in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen, am härtesten getroffen. Sie sind oft nur einen Tag Arbeit davon entfernt, Hunger zu leiden.“
Beasley befürchtet, dass die Talfahrt der Weltwirtschaft im Zuge der
Corona-Pandemie noch viele Opfer fordern werde. Rund 270 Millionen Menschen marschieren laut seinen Worten in „Richtung Hungertod“. Schon vor Beginn der Corona-Pandemie spitzte sich der Hunger weltweit bedenklich zu. Nahrungsmittelexperten der UN schätzen, dass Ende 2019 fast 690 Millionen Menschen nicht genug zu essen hatten. Innerhalb von fünf Jahren stieg die Zahl der hungernden Kinder, Frauen und Männer um 60 Millionen.
Einer der Hauptgründe für die schmerzliche Entwicklung liegt in den vielen bewaffneten Konflikten rund um den Erdball. Egal ob in Syrien, der Demokratischen Republik Kongo, in Nigeria, in den Sahelstaaten oder Afghanistan: Die Kämpfe, die Gewalt, die Bomben zerstören die Volkswirtschaften der Länder und reißen die Zivilisten in den Abgrund.
Als das Land mit der schlimmsten humanitären Krise stufen die UN den Jemen ein. Ein jahrelanger erbarmungsloser Krieg verheerte das Land, 20 Millionen Menschen hungern, leiden an Krankheiten, stehen vor zerbombten Schulen und Krankenhäusern. Und jetzt sieht sich das WFP gezwungen, die Essensrationen zu kürzen. Weil die finanziellen Mittel fehlen, „erhalten derzeit 8,5 Millionen Bedürftige, die wir im Jemen unterstützen, nur noch jeden zweiten Monat Hilfe“, erklärte Beasley vor wenigen Tagen im Sicherheitsrat. Ohne frisches Geld müssten im Dezember die Rationen für weitere 4,5 Millionen Menschen zusammengestrichen werden.