„Ich denke viel über das Sterben nach“
Die Sängerin spricht über ihre Musik, ihren Mann und den Schmerz einer Mutter, wenn der Sohn auszieht.
PARIS Ein Anruf bei Carla Bruni in Paris. Im Hintergrund ist die Stimme ihrer Tochter Giulia (8) zu hören, die unbedingt noch ein paar wichtige Sachen für die Schule besorgen möchte. Ihre Mutter macht ihr klar, dass sie sich jetzt leider erst noch ein bisschen gedulden muss. Jetzt wird die Sängerin erst mal ein Interview geben, um über sich und ihr neues Album „Carla Bruni“zu sprechen. Ihren leicht rauchigen, teils brüchigen Gesang unterlegt die gebürtige Italienerin in ihren chansonesken Liedern in gewohnter Manier mit reduzierten Gitarrenmelodien. Dazu singt die 52-Jährige in vier Sprachen – mal auf Spanisch, Englisch, Italienisch, überwiegend aber auf Französisch.
Madame Bruni, wie haben Sie den Lockdown verbracht?
BRUNI Ich war mit meinem Mann und meinen beiden Kindern in Südfrankreich. Außerdem waren meine 90-jährige Mutter und meine Schwester mit ihrer Familie bei uns. Wir haben das Haus nur selten verlassen, wir sind nicht mal zum Joggen an den Strand gegangen. Aber wenigstens hatten wir dort einen Garten.
Was haben Sie die ganze Zeit gemacht?
BRUNI Ich habe hauptsächlich gearbeitet und etliche Demos aufgenommen. Als ich zurück nach Paris kam, hatte ich 15 Songs.
Auch Ihr Mann Nicolas Sarkozy scheint fleißig gewesen zu sein. Er hat Ende Juli sein autobiografisches Buch „Le Temps des Tempêtes“(„Die Zeit der Unwetter“) veröffentlicht.
BRUNI Dieses Werk beweist meiner Ansicht nach, dass in meinem Mann ein Schriftsteller steckt. Er hätte ohne Weiteres in den Kreativbereich gehen können. Eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen, wäre für ihn in seiner Jugend allerdings keine Option gewesen. Denn er stammt aus einer Einwandererfamilie, in der vor allem eins zählt: ein sicheres Einkommen. Da liegt eine Karriere als Arzt oder Anwalt einfach näher.
Ihre Familie ist in den 70er-Jahren aus Angst vor der Untergrundorganisation Rote Brigaden von Italien ins Nachbarland Frankreich geflohen.
BRUNI Wir waren auch Einwanderer, doch ich wuchs in einem kreativen Umfeld auf. Meine Eltern waren Künstler. Insofern hatte ich es leichter als mein Mann.
Sie zogen mit sieben nach Frankreich und haben inzwischen die französische Staatsbürgerschaft angenommen. Würden Sie sich eher als Französin bezeichnen? BRUNI Ich fühle mich halb französisch, halb italienisch. Meine Großmutter, die sehr wesentlich zu meiner Erziehung beitrug, war Französin. Dank ihr ist mir seit frühester Kindheit die französische Sprache ebenso vertraut wie die hiesige Kultur. Zugleich habe ich jede Menge typisch italienische Eigenschaften: Ich liebe italienisches Essen, ich koche gern für meinen Mann, ich gehe offen auf andere Menschen zu. Bei einer Party unterhalte
ich mich mit jedem. Vielleicht sagt mein Mann deshalb manchmal zu mir: „Ich kann gar nicht fassen, wie viel du redest.“
Bietet nicht allein Ihre Herkunft genug Stoff für Ihre Autobiografie? BRUNI Ich möchte auf jeden Fall irgendwann meine Autobiografie schreiben. Bloß fühle ich mich mit 52 noch etwas zu jung dafür.
Dafür lassen Sie Ihre Fans in den meisten Liedern Ihres Albums „Carla Bruni“ziemlich nah an sich heran.
BRUNI Meine Songs sind immer persönlich. Ich bewege mich beim Schreiben nie weit weg von mir und meinen Emotionen. Selbst dann nicht, wenn ich etwas über andere Menschen erzähle.
Bringen Sie in dem Lied „La Chambre Vide“auf den Punkt, was Sie empfunden haben, als Ihr Sohn Aurélien zu Hause ausgezogen ist? BRUNI Ja. Aurélien studiert seit 2019 in einer anderen Stadt. Eigentlich habe ich kein Problem damit, weil ich keine Helikopter-Mutter bin, die ihren Sohn ständig um sich haben muss. Mir ist wichtig, dass er glücklich und gesund ist. Also habe ich ihn bei seinem Umzug unterstützt. Ich half ihm, mit seinem Mitbewohner eine kleine Wohnung zu finden. Ich kaufte Möbel und organisierte für den Neuanfang Lebensmittel. Dann fuhr ich zurück nach Paris. Zwei Wochen lang war alles in bester Ordnung – bis ich etwas aus dem Zimmer meines Sohnes holte. In diesem Moment wünschte ich mir, Auréliens Kindheit wäre nicht so schnell vergangen... Das war ein Schock!
Sie scheinen sich häufig in dunklen Gedanken zu verlieren. Ihr Stück „Rien que l‘Extase“handelt vom Tod.
BRUNI Ich denke viel über das Sterben nach. Einfach weil es zum Leben dazugehört. Offen gestanden weiß ich nicht, warum sich die Menschen so sehr auf Erfolg und Geld fokussieren. Letztlich dreht sich doch alles um Liebe und Tod. Schon in der griechischen Mythologie galten Eros und Thanatos als zwei gegensätzliche Naturgewalten, die einander umkreisen.
Kommt „Voglio l‘Amore“deshalb als Kontrast zu „Rien que l‘Extase“daher? Mit dieser Nummer zelebrieren Sie ja die Liebe.
BRUNI Für mich ist dieses Lied sehr besonders, denn ich habe zum ersten Mal auf Italienisch gesungen und geschrieben. Als es fertig war, habe ich es meiner Schwester vorgespielt – wir beide unterhalten uns für gewöhnlich auf Italienisch. Ich fragte Valeria, ob sie noch eine Strophe anfügen wollte. Schlussendlich hatte der Song mehr als fünf Minuten. Wir mussten ihn kürzen, bevor wir ihn gemeinsam aufgenommen haben.
Sind Sie und Ihre Schwester Valeria Bruni Tedeschi sich eigentlich sehr ähnlich?
BRUNI Nein. Wir haben ein ganz unterschiedliches Temperament. Ich formuliere es mal so: Valeria ist eine typische Schauspielerin...
Sowohl Schauspieler als auch Musiker haben es während der Pandemie schwer. Plagen Sie jetzt Zukunftsängste?
BRUNI Ich mache mir nicht bloß um mich Gedanken, sondern um alle Musiker. Das Streaming hat unsere Einkünfte schon ziemlich geschmälert. Wenn wir jetzt nicht mehr auftreten können, werden sicher viele an ihre finanziellen Grenzen stoßen.