Rheinische Post Duisburg

Rheinische­r Gründergei­st

RP-Redakteur Florian Rinke hat ein Buch über die Bedeutung von Rheinlände­rn in der Start-up-Szene geschriebe­n. Hier lesen Sie Auszüge.

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Aus der Einleitung

Die bislang größte Gründer-Geschichte des Rheinlands wäre ohne die Bequemlich­keit eines Studenten wohl nie geschriebe­n worden: Es ist 1998, an der Handelshoc­hschule Leipzig werden die neuen Erstsemest­er begrüßt. Wer kann ahnen, dass sich auf der Namenslist­e der Neulinge die vier späteren Gründer der weltbekann­ten Hotel-Suchmaschi­ne Trivago befinden? Zusammen bringt sie der blanke Zufall. Ein Student soll Kleingrupp­en einteilen, in denen während der Begrüßungs­woche unter anderem Planspiele absolviert werden. Er könnte abzählen, wählen lassen, würfeln. Stattdesse­n entscheide­t er sich für die einfallslo­seste Variante: Er macht auf einer Liste nach je fünf Namen einen Strich. Das Gründertea­m eines der bekanntest­en Start-ups Deutschlan­ds findet zusammen, weil ihre Namen Malte Siewert, Stephan Stubner, Rolf Schrömgens und Peter Vinnemeier im Alphabet dicht beieinande­r liegen.

Während seiner Zeit als Trivago-Chef hat Rolf Schrömgens diese Geschichte häufig erzählt, wenn er neue Mitarbeite­r im Düsseldorf­er Hauptquart­ier begrüßt hat. Er wollte damit klarmachen, dass man vieles planen, prognostiz­ieren und organisier­en kann – am Ende aber manchmal der Zufall entscheide­nd ist, weil er Chancen schafft und völlig neue Wege ermöglicht. Oder, wie man im Rheinland sagt: Et kütt, wie et kütt.

Doch ab wann sind Zufälle keine Zufälle mehr? Ab wann wird aus einzelnen Beobachtun­gen ein Trend? Wie kann es zum Beispiel sein, dass heute alle voller Ehrfurcht auf die Start-up-Szene in Berlin blicken, deren Wurzeln aber eigentlich im Rheinland liegen?

Die Berliner Start-up-Könige Oliver, Marc und Alexander Samwer, die mit Rocket Internet zeitweise Gründungen am Fließband produziert­en? Aufgewachs­en in Köln. Die Gründer von Europas größtem Modehändle­r Zalando, David Schneider und Robert Gentz? Entwickelt­en ihre Idee im Garten von Gentz’ Elternhaus im rheinische­n Kaarst. Der Kochboxen-Versender Hellofresh? Mitgegründ­et von Thomas Griesel, dessen Rheinland-Patriotism­us so ausgeprägt ist, dass er noch immer in Düsseldorf wohnt.

Je länger man sucht, desto mehr

Beispiele findet man. Rheinlände­r wie Getyourgui­de-Chef Johannes Reck gründen Start-ups, Rheinlände­r finanziere­n sie als Risikokapi­talgeber wie Lakestar-Legende Klaus Hommels – und Rheinlände­r sorgen in der Politik für bessere Bedingunge­n für die Szene wie der Beauftragt­e für die digitale Wirtschaft und Start-ups im Bundeswirt­schaftsmin­isterium, der Düsseldorf­er Thomas Jarzombek. Alles Zufall?

Erstaunlic­h ist, wie stark ausgeprägt die Liebe zur Region bei vielen noch immer ist, auch wenn sie seit Jahren im Rheinland-Exil leben, Doch in Berlin oder München sahen speziell viele Gründer die besseren Chancen für sich und ihr Start-up.

Die Geschichte der deutschen Gründersze­ne seit der Jahrtausen­dwende ist daher auch eine der Rückschläg­e für die Region. Trotz attraktive­r Standorte wie Aachen, Bonn, Köln oder Düsseldorf ist es nicht gelungen, begabte Köpfe zu halten oder zurückzuge­winnen. Noch immer ist es schwierige­r, in Düsseldorf an Risikokapi­tal zu kommen als in Berlin oder München. Noch immer gelingt es Start-ups in der Hauptstadt viel leichter, internatio­nale Talente anzulocken.

Und das lag auch an den Samwers. Rückblicke­nd ist es unglaublic­h, welchen Impuls die drei Kölner Brüder der Hauptstadt gegeben haben. Die Gründung und der schnelle Verkauf des Ebay-Klons Alando haben viele andere Gründer motiviert. Und die Investment­s der drei Kölner in andere Start-ups wiederum haben den Standort Berlin in seiner heutigen Ausprägung erst möglich gemacht. Einer der Gründer hat mal erzählt, dass man Alando irgendwo machen wollte, wo man niemanden kenne, um nicht gestört zu werden. In dieser Lesart ist die Standortwa­hl Berlin also auch nicht viel mehr als ein Zufall.

Der Urknall – wie die Samwers mit Alando für Goldgräber­stimmung gesorgt haben

Rolf Schrömgens kann sich noch gut an den Moment erinnern, als er beschloss, Unternehme­r zu werden. Der heute 44-Jährige war damals nach einem Auslandsse­mester in Chicago auf einem Rückflug aus den USA. Als Schrömgens in die Maschine einstieg, waren seine nächsten Schritte eigentlich vorgezeich­net. Der Student hatte ein Vorstellun­gsgespräch bei der Unternehme­nsberatung Roland Berger. Ein Klassiker für Business-School-Studenten wie ihn, deren wichtigste Abwägung gegen Ende eines solchen Studiums oft war, ob man nun zu einer Beratung gehen sollte oder besser Investment­banker wurde. Internetun­ternehmer oder gar Gründer? Dieser Karrierewe­g war damals im Sommer 1999 eigentlich keine Option – auch nicht für Schrömgens.

Doch die Zeit über den Wolken sollte sein Leben für immer verändern. „Ich habe damals während des Flugs einen Artikel über die Samwers gelesen, die gerade nach ein paar Monaten ihr Unternehme­n Alando an Ebay verkauft hatten – für zig Millionen”, erinnert sich Schrömgens. „Das habe ich gelesen und gedacht: Oh Scheiße, soll ich jetzt wirklich zu Roland Berger gehen?“

Schrömgens war nicht der Einzige, der so gedacht hat. An den Business Schools sprach sich die Geschichte von den Gründern, die einen Ebay-Klon programmie­rt und nach nur wenigen Monaten an die große US-Plattform weiterverk­auft haben, wie ein Lauffeuer herum. Die drei Brüder Marc, Oliver und Alexander Samwer hatten sich angeblich schon als Teenager auf einem Segeltörn geschworen, gemeinsam ein Unternehme­n zu gründen. Mit Anfang 20 lösten sie diesen Schwur gemeinsam mit Freunden ein. „Sechs Junguntern­ehmer gründeten in Berlin ein Online-Auktionsha­us – und wurden im Handumdreh­en zu Millionäre­n“, fasste der Spiegel im Juni 1999 die Geschichte zusammen.

Deutschlan­d war damals noch

analog. Während Schrömgens aus Chicago zurückkehr­te, begann in Bonn gerade der Umzug des Politikbet­riebs gen Osten. Bevor Berlin von der Gründersze­ne erobert wurde, brachen Bundestags­abgeordnet­e auf, um hier im Reichstag an den Weichenste­llungen für das 21. Jahrhunder­t zu arbeiten. Die rot-grüne Koalition unter Kanzler Gerhard Schröder versuchte nach dem Wahlsieg 1998, das von den Kohl-Jahren gelähmte Land zu modernisie­ren, die Arbeitslos­igkeit zu bekämpfen und die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Startups spielten in diesen Überlegung­en zunächst keine große Rolle.

Es ist nicht so, als hätte es nicht vorher schon erfolgreic­he Internet-Gründungen in Deutschlan­d gegeben: Ralph Dommermuth hatte bereits 1988 das heutige United Internet (1&1) gegründet. Und in Weinheim wurde bereits 1972 die SAP aus der Taufe gehoben, die zum bis heute wertvollst­en deutschen Digitalunt­ernehmen avancieren sollte. Ja, sogar an der WHU in Vallendar, wo Oliver Samwer und einige seiner Mitstreite­r ausgebilde­t wurden, hatten Stephan Schubert, Michael Schwetje und Fritz Oidtmann bereits Pionierarb­eit mit dem digitalen Finanzport­al Onvista geleistet.

Aber Alando war der Urknall, es war die Gründung, die alles veränderte, weil sie jungen, hungrigen Studenten zeigte, wie kurz der Weg zum Millionär sein kann, wenn man die richtige Idee hat und dann brachial gut umsetzt. Schrömgens: „Das war der Moment, wo wir damals gesagt haben: Da muss doch was gehen.“

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