Der Staat gegen die Mafia
Vor zwei Jahren nahmen Ermittler einen Kokain-Ring der italienischen ’Ndrangheta hoch. Am Montag startet der Prozess vor dem Landgericht Duisburg.
Ein Mittwoch in der Weihnachtszeit, zu früh und vor allem zu kalt ist es für einen Becher Eis, doch in der Duisburger Innenstadt haben sich die Menschen vor einem italienischen Cafè versammelt. Ein paar gehen rein, doch sie wollen kein Eis. Sie tragen Uniform, Sturmhaube und haben schwere Waffen geschultert. Es sind Polizisten, und am 5. Dezember 2018, da stellen sie den gesamten Laden auf den Kopf. Noch bevor die meisten Geschäfte rund um das City-Palais öffnen, ist der Einsatz vorbei. Die Beamten nehmen Geld mit, eine vierstellige Summe. Und sie nehmen einen ’Ndrinu mit, ein mutmaßliches Mitglied der ’Ndrangheta, der kalabrischen Mafia. Es ist der Chef des Eiscafés.
Ab Montag muss der Mann sich vor dem Landgericht Duisburg verantworten. Zusammen mit 13 weiteren Männern ist er angeklagt, es geht unter anderem um Geldwäsche, Steuerhinterziehung, Betrug und mehr als 40 weitere Delikte. Im Zentrum steht aber der Handel mit mehreren hundert Kilo Kokain. Der Prozess findet in Düsseldorf statt, in einem Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts. Reine Vorsichtsmaßnahme, wie die Staatsanwaltschaft Duisburg mitteilt. Fünf der Männer sind Mitglieder der Mafia, sechs weitere sollen die ’Ndrangheta zumindest finanziell unterstützt haben.
An jenem Morgen im Winter 2018 schlagen die Ermittler in ganz Europa zu. Sie durchsuchen eine Pizzeria in Pulheim, ein Gebäude in Solingen und eine Eisdiele in Viersen, Objekte in Belgien, den Niederlanden und Italien. Die Operation „Pollino“, benannt nach einem Nationalpark in Italien, war der größte Einsatz gegen die ’Ndrangheta, den es auf europäischem Boden jemals gegeben hat. Beteiligt waren die Strafverfolgungsbehörden Eurojust und Europol, das Landes- und Bundeskriminalamt und die Spezialkräfte der GSG9. Insgesamt 84 Verdächtige wurden in Europa festgenommen, daneben stellten die Ermittler mehrere Millionen Euro und kiloweise Kokain sicher. Ein Gastwirt aus Pulheim soll einer der Haupttäter sein.
Dem Zugriff voraus gingen monatelange Ermittlungen. Die ’Ndrangheta gilt als mächtigste kriminelle Organisation des Kontinents, doch die Machenschaften der Mafia
hinterlassen kaum Spuren. Anders als etwa bei arabischen Clans protzen die Mitglieder der ’Ndrangheta nicht mit Straftaten. Es gibt nahezu keine öffentlichen Machtdemonstrationen, die kriminellen Taten, meist Drogenhandel, verursachen fast kein Aufsehen. Die Mafia arbeitet im Verborgenen. Doch die Operation „Pollino“offenbart: Nordrhein-Westfalen ist einer der wichtigsten Stützpunkte der ’Ndrangheta außerhalb der Region um Kalabrien.
Bereits 2014 werden die Ermittler aus den Niederlanden misstrauisch. In der Grenzregion zu Deutschland stellen sie fest, dass dort auffällig viele neue Restaurants und Cafés eröffnet werden. Die Betreiber stammen allesamt aus Italien. In der Folge observieren die Beamten mehrere Objekte und schleusen einen verdeckten Ermittler, Codename „Kara“, ein. Den endgültig Beweis für den Drogenhandel liefern dann die deutschen Ermittler, nach eigenen Angaben durch den Fund von Kokain in einem präparierten Pferdetransporter. Der Transporter wird 2016 im britischen Fährhafen Harwich sichergestellt. Das Rauschgift wurde zuvor in Containern von Südamerika in europäische Häfen transportiert und dann in kleineren Mengen von zehn bis 20 Kilo mit präparierten Fahrzeugen nach Deutschland und Italien geschafft.
Auch Kara kommt dem Kokain auf die Spur. Laut Medienberichten gewinnt er das Vertrauen der Mafiosi, doch irgendwann bietet die ’Ndrangheta ihm einen folgenschweren Deal an. Er soll mehrere hundert Kilo Kokain kaufen. Die Ermittler wollen darauf nicht eingehen. Der Preis für ein Gramm Koks liegt bei rund 70 Euro. Die Sache wird nicht nur zu teuer, sondern auch zu gefährlich. Kara wird abgezogen. Die Ermittler taufen den Drogenring nun schließlich auf den Namen „Mafia & Co KG“.
Die Arbeit war allerdings nicht umsonst. Kara hat wohl einen großen Anteil daran, dass nun 14 Verdächtige im Drogenhandel vor Gericht stehen. Ob die Angeklagten der ’Ndrangheta aussagen werden, ist fraglich. In der Mafia gilt die Omerta, eine Art Schweigepflicht, der sich die Mitglieder verschrieben haben. Über das, was innerhalb der ’Ndrangheta passiert, wird nicht gesprochen. Auch nicht vor Gericht. Hoffnung könnte dagegen auf den neun Angeklagten liegen, die nicht Mitglied der Mafia sind. Von ihnen erwartet der ’Ndrangheta-Kodex zwar auch Schweigen, doch bei der
Polizei sollen einige von ihnen bereits eine Aussage gemacht haben. Höchstwahrscheinlich waren die Komplizen an der Gewährung von Darlehen zum Ankauf weiterer Drogen beteiligt. Die Männer kommen den Angaben der Staatsanwaltschaft zufolge unter anderem aus Duisburg, Mönchengladbach, Düsseldorf, Köln, Solingen, Grevenbroich, Wesseling und Neuss.
Die ’Ndrangheta gilt als die einflussreichste aller italienischen Mafia-Organisationen. Sie dominiert den Drogenschmuggel nach Europa, ist aber auch an Rhein und Ruhr aktiv. So gehen die Mafia-Morde von Duisburg im Jahr 2007 auf ihr Konto. Damals waren vor einer Pizzeria sechs Menschen erschossen worden. Ein Streit zwischen dem Pelle-Vottari-Clan und dem Strangio-Nirta-Clan war der Auslöser. NRW hatte Ende 2018 eine Sondereinheit im LKA an den Start gebracht, die die Finanzquellen von organisierter Kriminalität austrocknen soll. Auch gegen die ’Ndrangheta wurde von dort aus ermittelt.
Die Mafia dominiert den internationalen Drogenhandel, verdient ihr Geld aber auch mit Waffenhandel und Geldwäsche. Experten schätzen, dass die ’Ndrangheta jährlich einen weltweiten Umsatz zwischen 50 und 100 Milliarden Euro macht. Nach Angaben der US-Bundespolizei FBI hat sie 6000 Mitglieder in 160 sogenannten Clans. Diese hängen über Familienbande zusammen. Laut BKA stellt die ’Ndrangheta mit rund 344 Mitgliedern den größten Teil der organisierten italienischen Kriminalität in Deutschland. Auch die meisten Festnahmen gab es unter Mitgliedern dieser Gruppierung. Der Begriff ’Ndrangheta stammt aus dem Griechischen und bedeutet Mut oder Treue.
Laut Staatsanwaltschaft Duisburg füllen die Ermittlungsakten 57 Umzugskartons und die Aufzeichnungen mehrere Terabyte Datenspeicher. Die Anklageschrift umfasst 649 Seiten.
Für das Mammut-Verfahren sind bisher 90 Verhandlungstage bis Ende kommenden Jahres angesetzt. Ob der Prozess der Mafia das Handwerk legen wird, ist zweifelhaft. Italiens Anti-Mafia-Staatsanwalt Fredirico Cafiero de Raho sagte im Dezember 2018, kurz nach der Festnahme der Mafia-Mitglieder: „Wenn wir glauben, wir haben die ’Ndrangheta ausgehoben, dann täuschen wir uns.“(mit dpa)