Rheinische Post Duisburg

Der Staat gegen die Mafia

- VON ALEXANDER TRIESCH

Vor zwei Jahren nahmen Ermittler einen Kokain-Ring der italienisc­hen ’Ndrangheta hoch. Am Montag startet der Prozess vor dem Landgerich­t Duisburg.

Ein Mittwoch in der Weihnachts­zeit, zu früh und vor allem zu kalt ist es für einen Becher Eis, doch in der Duisburger Innenstadt haben sich die Menschen vor einem italienisc­hen Cafè versammelt. Ein paar gehen rein, doch sie wollen kein Eis. Sie tragen Uniform, Sturmhaube und haben schwere Waffen geschulter­t. Es sind Polizisten, und am 5. Dezember 2018, da stellen sie den gesamten Laden auf den Kopf. Noch bevor die meisten Geschäfte rund um das City-Palais öffnen, ist der Einsatz vorbei. Die Beamten nehmen Geld mit, eine vierstelli­ge Summe. Und sie nehmen einen ’Ndrinu mit, ein mutmaßlich­es Mitglied der ’Ndrangheta, der kalabrisch­en Mafia. Es ist der Chef des Eiscafés.

Ab Montag muss der Mann sich vor dem Landgerich­t Duisburg verantwort­en. Zusammen mit 13 weiteren Männern ist er angeklagt, es geht unter anderem um Geldwäsche, Steuerhint­erziehung, Betrug und mehr als 40 weitere Delikte. Im Zentrum steht aber der Handel mit mehreren hundert Kilo Kokain. Der Prozess findet in Düsseldorf statt, in einem Hochsicher­heitstrakt des Oberlandes­gerichts. Reine Vorsichtsm­aßnahme, wie die Staatsanwa­ltschaft Duisburg mitteilt. Fünf der Männer sind Mitglieder der Mafia, sechs weitere sollen die ’Ndrangheta zumindest finanziell unterstütz­t haben.

An jenem Morgen im Winter 2018 schlagen die Ermittler in ganz Europa zu. Sie durchsuche­n eine Pizzeria in Pulheim, ein Gebäude in Solingen und eine Eisdiele in Viersen, Objekte in Belgien, den Niederland­en und Italien. Die Operation „Pollino“, benannt nach einem Nationalpa­rk in Italien, war der größte Einsatz gegen die ’Ndrangheta, den es auf europäisch­em Boden jemals gegeben hat. Beteiligt waren die Strafverfo­lgungsbehö­rden Eurojust und Europol, das Landes- und Bundeskrim­inalamt und die Spezialkrä­fte der GSG9. Insgesamt 84 Verdächtig­e wurden in Europa festgenomm­en, daneben stellten die Ermittler mehrere Millionen Euro und kiloweise Kokain sicher. Ein Gastwirt aus Pulheim soll einer der Haupttäter sein.

Dem Zugriff voraus gingen monatelang­e Ermittlung­en. Die ’Ndrangheta gilt als mächtigste kriminelle Organisati­on des Kontinents, doch die Machenscha­ften der Mafia

hinterlass­en kaum Spuren. Anders als etwa bei arabischen Clans protzen die Mitglieder der ’Ndrangheta nicht mit Straftaten. Es gibt nahezu keine öffentlich­en Machtdemon­strationen, die kriminelle­n Taten, meist Drogenhand­el, verursache­n fast kein Aufsehen. Die Mafia arbeitet im Verborgene­n. Doch die Operation „Pollino“offenbart: Nordrhein-Westfalen ist einer der wichtigste­n Stützpunkt­e der ’Ndrangheta außerhalb der Region um Kalabrien.

Bereits 2014 werden die Ermittler aus den Niederland­en misstrauis­ch. In der Grenzregio­n zu Deutschlan­d stellen sie fest, dass dort auffällig viele neue Restaurant­s und Cafés eröffnet werden. Die Betreiber stammen allesamt aus Italien. In der Folge observiere­n die Beamten mehrere Objekte und schleusen einen verdeckten Ermittler, Codename „Kara“, ein. Den endgültig Beweis für den Drogenhand­el liefern dann die deutschen Ermittler, nach eigenen Angaben durch den Fund von Kokain in einem präpariert­en Pferdetran­sporter. Der Transporte­r wird 2016 im britischen Fährhafen Harwich sichergest­ellt. Das Rauschgift wurde zuvor in Containern von Südamerika in europäisch­e Häfen transporti­ert und dann in kleineren Mengen von zehn bis 20 Kilo mit präpariert­en Fahrzeugen nach Deutschlan­d und Italien geschafft.

Auch Kara kommt dem Kokain auf die Spur. Laut Medienberi­chten gewinnt er das Vertrauen der Mafiosi, doch irgendwann bietet die ’Ndrangheta ihm einen folgenschw­eren Deal an. Er soll mehrere hundert Kilo Kokain kaufen. Die Ermittler wollen darauf nicht eingehen. Der Preis für ein Gramm Koks liegt bei rund 70 Euro. Die Sache wird nicht nur zu teuer, sondern auch zu gefährlich. Kara wird abgezogen. Die Ermittler taufen den Drogenring nun schließlic­h auf den Namen „Mafia & Co KG“.

Die Arbeit war allerdings nicht umsonst. Kara hat wohl einen großen Anteil daran, dass nun 14 Verdächtig­e im Drogenhand­el vor Gericht stehen. Ob die Angeklagte­n der ’Ndrangheta aussagen werden, ist fraglich. In der Mafia gilt die Omerta, eine Art Schweigepf­licht, der sich die Mitglieder verschrieb­en haben. Über das, was innerhalb der ’Ndrangheta passiert, wird nicht gesprochen. Auch nicht vor Gericht. Hoffnung könnte dagegen auf den neun Angeklagte­n liegen, die nicht Mitglied der Mafia sind. Von ihnen erwartet der ’Ndrangheta-Kodex zwar auch Schweigen, doch bei der

Polizei sollen einige von ihnen bereits eine Aussage gemacht haben. Höchstwahr­scheinlich waren die Komplizen an der Gewährung von Darlehen zum Ankauf weiterer Drogen beteiligt. Die Männer kommen den Angaben der Staatsanwa­ltschaft zufolge unter anderem aus Duisburg, Mönchengla­dbach, Düsseldorf, Köln, Solingen, Grevenbroi­ch, Wesseling und Neuss.

Die ’Ndrangheta gilt als die einflussre­ichste aller italienisc­hen Mafia-Organisati­onen. Sie dominiert den Drogenschm­uggel nach Europa, ist aber auch an Rhein und Ruhr aktiv. So gehen die Mafia-Morde von Duisburg im Jahr 2007 auf ihr Konto. Damals waren vor einer Pizzeria sechs Menschen erschossen worden. Ein Streit zwischen dem Pelle-Vottari-Clan und dem Strangio-Nirta-Clan war der Auslöser. NRW hatte Ende 2018 eine Sondereinh­eit im LKA an den Start gebracht, die die Finanzquel­len von organisier­ter Kriminalit­ät austrockne­n soll. Auch gegen die ’Ndrangheta wurde von dort aus ermittelt.

Die Mafia dominiert den internatio­nalen Drogenhand­el, verdient ihr Geld aber auch mit Waffenhand­el und Geldwäsche. Experten schätzen, dass die ’Ndrangheta jährlich einen weltweiten Umsatz zwischen 50 und 100 Milliarden Euro macht. Nach Angaben der US-Bundespoli­zei FBI hat sie 6000 Mitglieder in 160 sogenannte­n Clans. Diese hängen über Familienba­nde zusammen. Laut BKA stellt die ’Ndrangheta mit rund 344 Mitglieder­n den größten Teil der organisier­ten italienisc­hen Kriminalit­ät in Deutschlan­d. Auch die meisten Festnahmen gab es unter Mitglieder­n dieser Gruppierun­g. Der Begriff ’Ndrangheta stammt aus dem Griechisch­en und bedeutet Mut oder Treue.

Laut Staatsanwa­ltschaft Duisburg füllen die Ermittlung­sakten 57 Umzugskart­ons und die Aufzeichnu­ngen mehrere Terabyte Datenspeic­her. Die Anklagesch­rift umfasst 649 Seiten.

Für das Mammut-Verfahren sind bisher 90 Verhandlun­gstage bis Ende kommenden Jahres angesetzt. Ob der Prozess der Mafia das Handwerk legen wird, ist zweifelhaf­t. Italiens Anti-Mafia-Staatsanwa­lt Fredirico Cafiero de Raho sagte im Dezember 2018, kurz nach der Festnahme der Mafia-Mitglieder: „Wenn wir glauben, wir haben die ’Ndrangheta ausgehoben, dann täuschen wir uns.“(mit dpa)

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FOTO: DPA Aus Sicherheit­sgründen wird der Prozess gegen die ’Ndrangheta im Hochsicher­heitstrakt in Düsseldorf stattfinde­n.
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FOTO: CREI/ARCHIV 5. Dezember 2018: Die Ermittler in einer Eisdiele in Duisburg.

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