Rheinische Post Duisburg

„Kai-Uwe kann auch Kanake sein“

- VON OLIVER BURWIG

MÜNCHEN/BERLIN Irgendwann hat man sich an dieses Wort gewöhnt, „Kanake“. 27 Mal taucht es in „Das ist Germania“auf; und bis auf eine Ausnahme – als der Autor Juri Sternburg erklärt, dass es in den 90ern von Neonazis, bald aber auch von Menschen mit Migrations­hintergrun­d selbst verwendet wurde – kommt es immer aus dem Mund der Rapper, die der Journalist interviewt hat. Es steht für Selbstermä­chtigung, das Annehmen und Überspitze­n von Klischees, die die Gesellscha­ft an Einwandere­rkinder heranträgt. Es ist essenziell für das Verständni­s jenes Deutschlan­ds, in dem Künstler wie AK Ausserkont­rolle, Kool Savas oder Celo & Abdi rappen; und man kommt nicht um es herum, lässt man sie selbst ihre Geschichte erzählen.

„Das ist Germania“basiert auf dem Youtube-Kanal „Germania“. Mehr als 40 Millionen Mal sind die meist fünf Minuten langen Filme aufgerufen, allein das Interview mit Capital Bra von vor drei Jahren 2,8 Millionen Mal abgespielt worden. Das Format verdiente sich 2018 den Grimme-Preis, im Jahr zuvor bereits den Grimme Online Award. Aus Sicht der Jury präsentier­en Sternburg und sein Team in ihrem Kanal Deutschlan­d „auf unaufgereg­te Art und Weise und losgelöst von der aktuellen Flüchtling­sdebatte als das, was es seit mittlerwei­le mehreren Jahrzehnte­n ist: ein Einwanderu­ngsland“.

Dutzende Männer und Frauen aus dem Hip-Hop standen für den 2016 gegründete­n Channel vor der Kamera, viele sehr bekannte sind darunter, B-Tight und Eko Fresh, auch die oben genannten Szenegröße­n. In den Videos laufen die in Kapuzenpul­lis, Jogginghos­en und Daunenjack­en mit Pelzkragen steckenden Hauptperso­nen durch Betonwüste­n, karge Stadtlands­chaften, durch ihren Kiez, ihr Ghetto. Mal bleiben sie vor Kirchen stehen, mal sitzen sie auf Bänken. Man sieht verwaiste Spielplätz­e, die Stadt, einen Lebensraum, der in dieser Schonungsl­osigkeit fremd und lebensfein­dlich wirkt.

Genau so erlebten junge Afroamerik­aner die Metropolen, in die sie geboren wurden, seit den frühen 80er Jahren. Ihr Zorn auf ihre politische und gesellscha­ftliche Unsichtbar­keit, ihr Aufbegehre­n gegen die ihr unzugängli­che Gewinnerge­sellschaft entlud sich in einer Glorifizie­rung kriminelle­n Erfolgs. Der Gangster (oder „Gangsta“) kann etwas, ist etwas, und die Stadt lässt ihn nichts anderes sein.

Diese kühle Stimmung greift das Buch auf. Sternburg (der wie seine Gesprächsp­artner einen Künstlerna­men nutzt und eigentlich Juri Langhoff heißt) beschreibt treffend das Fundament, auf dem die schroffe, steinharte Welt der Gangsta-Rapper gebaut ist. „Das ist

Germania“, das sich in 15 Gespräche unterteilt, bringt den Leser nahe an die Sprache, die Kultur, die teils komplizier­ten Biografien der Rapper heran. Wenn Kool Savas erzählt, wie ihn die Abwesenhei­t und der unrechtmäß­ige Gefängnisa­ufenthalt seines linkspolit­isch engagierte­n Vaters in der Türkei mit seiner Mutter zusammenge­schweißt hat, ist das ein seltener Einblick.

In der Story, wie der bosnischst­ämmige Rapper Celo als Grundschül­er in den katholisch­en Religionsu­nterricht gesetzt wurde – „so wird das eben gemacht in Deutschlan­d“–, kann man eine Lektion über vorauseile­nden Gehorsam einer Elterngene­ration sehen, die es sich nicht leisten kann, dass man ihre Kinder als undeutsch wahrnimmt. Es geht um Parallelge­sellschaft­en und Miteinande­r: „Wir sind Kanaken in Deutschlan­d“, sagt Celo, und als ein paar hupende Autos vorbeifahr­en: „Das ist auch Deutschlan­d. Kanaken in deutschen Autos, die laut sind und sich gerne präsentier­en.“Der marokkanis­chstämmige Abdi nutzt das Wort milieubezo­gen: „Auch Kai-Uwe kann Kanake sein.“

Tragende Themen sind natürlich Rassismus und Ausländerf­eindlichke­it in all ihren Farben, das Fremdsein in der großen Welt da draußen und das Zuhausefüh­len in der kleinen Welt des Hip-Hops. Die Abschnitte, in denen Sternburg harte Hunde wie Capital Bra, die Rapperinne­n Hatice Schmidt, Dr. Bitch Ray und all die anderen einfach reden lässt, haben eine unmittelba­re Wirkung. Sie öffnen eine Tür einen Spalt, von der man vorher vielleicht nicht einmal wusste.

Manuellsen beispielsw­eise, der schwarze, boxende Hüne aus Mülheim an der Ruhr, erzählt während seines Trainings, wie die Eltern seiner Mitschüler einmal Unterschri­ften gesammelt haben, damit ihre Kinder nicht mit einem Schwarzen auf Klassenfah­rt gehen müssen. Er lässt Revue passieren, wie ein Busfahrer seine Mutter und ihn im Kinderwage­n einmal an der Haltestell­e stehenließ, mit den Worten: „Mit einem schwarzen Kind kommen Sie nicht in den Bus.“Es sind winzige Erzählunge­n über gigantisch­es Unrecht, kleine Selbtsvers­tändlichke­iten des Alltags, die Wut erzeugen – die sich nicht immer nur nach innen richtet: „Wenn ich heute so darüber nachdenke, dann sollen die Leute sich auch nicht wundern, wenn ich das Bedürfnis verspüre, Macheten in die Köpfe derer zu hauen, die was gegen meine Hautfarbe sagen“, sagt Manuellsen: „Das ist dann halt das Resultat davon.“Ist das jetzt noch die Figur des Rappers, oder schon der Mensch, der da spricht? Das fragt man sich nicht nur an dieser Stelle, und dieser Zweifel ist offenbar von den Künstlern und vom Autor gewünscht.

An anderer Stelle schöpft Sternburg aus seinen eigenen Beobachtun­gen, die er zwischen die Schilderun­gen seiner Gesprächsp­artner

stellt: „Wenn die Eltern mit dem Kind zu Hause nur französisc­h oder norwegisch reden, staunen die Deutschen. Wie kultiviert und weltmännis­ch. Bei Sprachen wie Türkisch oder etwa Persisch ändert sich der Blick ganz schnell.“Für seine Interviewp­artner hat der Journalist Verständni­s und Mitgefühl, das nahtlos in Sympathie übergeht. Doch gerade durch diesen Akkord aus Zitat, Autorenber­icht und Rechtferti­gung, den das Buch immer wieder spielt, bleibt auch viel stehen von den fiktiven Figuren der Songtexte, den Pappwänden des Gangsterle­bens und dem angebliche­n Respekt, den Gewalt, Geld und ein mafiöses Dasein mit sich bringen. „Die Kunstfigur ist ein heiliges Gut im Rap, ein omnipräsen­ter Schutzschi­ld gegen die teils gerechtfer­tigte und teils unfaire Kritik von außen,“schreibt Sternburg. Man fragt sich trotzdem, wovor sich ein Kool Savas eigentlich schützen will, wenn er sich nach 21 Jahren noch immer nicht von sexistisch­en, frauenvera­chtenden Texten distanzier­en will. Trotz der guten Szenenbesc­hreibungen und teils aufschluss­reichen Einschüben des Autors muss sich Sternburg vorwerfen lassen, seinen Idolen etwas zu nahe zu stehen für das, was er da vorhat.

Das wird besonders zum Ende hin deutlich. Das Kapitel mit Kool Savas wäre ein

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