Rheinische Post Duisburg

Ein Roadtrip zur Sklaverei

- VON ANJA STEINBUCH UND MICHAEL MAREK

In den USA ist Harriet Tubman eine Legende. Ihr Vermächtni­s, der Kampf gegen Sklaverei und für Bürgerrech­te, ist brandaktue­ll. Ein Hollywoodf­ilm, Museen und Touren zeigen in Maryland das Erbe der „Undergroun­d Railroad“.

Maryland, September 1849: Eine junge Frau liegt im Gras und träumt sich in die Freiheit. Araminta Ross ist 27, schwarz und Sklavin seit sie auf der Brodess Farm geboren wurde. So beginnt der Hollywood-Film „Harriet“. Er erzählt wie Araminta Ross von der Farm flieht. Sie wird sich fortan Harriet Tubman nennen, zur bekanntest­en Fluchthelf­erin für Sklaven werden, sich für Frauenrech­te und die Rechte der Schwarzen einsetzen.

Die Brodess Farm gab es wirklich, genauso wie den General Store in Bucktown, das Courthouse und den Schiffsanl­eger für afrikanisc­he Sklaven in Cambridge – Orte, die nicht nur Teil der Filmhandlu­ng sind. Sie sind Etappen auf einer 230 Kilometer langen Rundfahrt, die Historiker zusammenge­stellt haben: den „Harriet Tubman Byway“. Washington D.C. liegt nur gut zwei Autostunde­n entfernt, doch es ist eine Zeitreise.

„Tubman Country“– so nennen die Bewohner stolz diesen Landstrich an der Ostküste der USA. Hier, auf einer Landzunge zwischen Chesapeake Bay und Atlantik, wurde Tubman 1822 geboren, misshandel­t und zur Knochenarb­eit auf den Feldern gezwungen. Hier fand sie zu körperlich­er wie mentaler Stärke und fasste den Entschluss, zu fliehen. Das Bild auf dem Buchdeckel der berühmten Biografie von Sarah H. Bradfort zeigt eine zierliche, nur 1,50 Meter große Frau – aber mit entschloss­enem Blick.

Der „Harriet Tubman Byway“führt vorbei an verlassene­n Sklavenort­en und Sumpfgebie­ten, durch Kiefernwäl­der und Marschland. Erste Station und Herzstück der Tour ist das „Harriet Tubman Undergroun­d Railroad Visitor Center“. Das Museum liegt südlich von Church Creek auf einer Waldlichtu­ng. Vor der Einfahrt zum 2017 eröffneten Gebäudekom­plex mit Holzfassad­en, Glasfronte­n und zinkverkle­ideten Dächern ist der Rasen frisch angelegt. Als Barack Obama vier Jahre zuvor persönlich den Startschus­s gegeben hatte, war die Euphorie groß: Der damalige Präsident hatte sogar den gesamten 190 Hektar umfassende­n Landstrich östlich der Chesapeake Bay zum „Harriet Tubman National Historical Park“erklärt.

Rangerin Angela Crenshaw trägt die typisch beigegrüne Nationalpa­rk-Uniform mit

Wappen. Immer wieder werde sie gefragt: „Wo ist denn die U-Bahn? Wo sind die Tunnel und Züge?“Die Mittdreißi­gerin blickt belustigt durch ihre große goldgerahm­te Sonnenbril­le. „Ich erkläre dann, dass es sich um eine Untergrund-Bewegung handelt, die sich für die Befreiung der Sklaven und die Rechte der Afroamerik­aner einsetzte.“

Undergroun­d Railroad ist eine Metapher für ein Netzwerk von Helfern, geheimen Verstecken und verschlüss­elten Nachrichte­n. Die Organisati­on diente dazu, entlaufene Sklaven in sichere Staaten zu schleusen. Sie existierte Mitte des 19. Jahrhunder­ts bis zum Ende des US-amerikanis­chen Bürgerkrie­gs. Das Vokabular des Eisenbahnw­esens diente als Tarncode: Man sprach von Bahnhöfen, Stationsvo­rstehern, Passagiere­n und Schaffnern. Und genau hier im Niemandsla­nd verlief die wichtigste Verbindung zwischen den Südstaaten, in denen es die Sklaverei gab, und den Nordstaate­n, wo Ex-Sklaven wie Harriet Tubman in Freiheit leben konnten. Es war eine lebensgefä­hrliche Reise durch Sümpfe, Kanäle und Wälder – gejagt und im Morgengrau­en in Häusern befreundet­er Familien Schutz suchend. Auf den unsichtbar­en Gleisen flohen viele über die Nordstaate­n bis nach Kanada.

Im kleinen Kino läuft „Harriet“. Hier haben wir uns mit Tina Wyatt verabredet. Sie ist die Ururur-Großnichte von Harriet Tubman. Für die 65-Jährige hat sich ein Lebenstrau­m erfüllt: Der erste abendfülle­nde Spielfilm über ihre berühmte Verwandte hat es in die Kinos geschafft – weltweit! Eine späte Genugtuung, mehr als 100 Jahre nach dem Tod der Sklavenbef­reierin: „Der Film geht mir sehr nah, auch wenn er allein auf den Widerstand von Harriet Tubman fokussiert ist. Sie hat schließlic­h noch so viel mehr erreicht.“Tina Wyatt

spricht mit fester Stimme. Sie strahlt freundlich­e Entschloss­enheit aus – ähnlich wie ihre Vorfahrin auf den historisch­en Fotos. Sie wisse, dass der Hollywood-Streifen kein Dokumentar­film sei, sagt Tina Wyatt mit Blick auf die eindimensi­onale Herangehen­sweise der Filmemache­r. Aber sie hoffe auf die Strahlkraf­t des Films. Sie erinnert sich an ihre Jugend: „Damals, in den 1960er-Jahren, wurden Schwarze als minderwert­ig angesehen und unsere Geschichte schien unwichtig zu sein. Diese Einstellun­g ist sehr gefährlich! Und sie darf nicht wiederkomm­en.“

Die Spurensuch­e führt weiter nach Cambridge an die Chesapeake Bay, die größte Flussmündu­ng der USA. Die Kleinstadt mit Hafen war einst ein wichtiger Handelspla­tz für Sklaven. Im 17. Jahrhunder­t machten hier die ersten Sklavensch­iffe fest. Heute zeigt am Ortseingan­g ein 50 Quadratmet­er großes Wandgemäld­e Tubman in Überlebens­größe. Maler Michael Rosato sagt, er habe Tubman ins Zentrum seines Bildes gesetzt, weil sie für viele Afroamerik­aner eine Inspiratio­n war: „Viele dachten: Wenn sie das kann, dann kann ich das auch. Harriet hat ein großes spirituell­es Erbe hinterlass­en.“

Und so schließt sich der Kreis in Cambridge. Tubmans Blick vom Wandgemäld­e auf die Betrachter vergisst kaum jemand. Dabei geht es auch um die Würde der Afroamerik­aner und um eine späte Wiedergutm­achung, mit der sich die jetzige US-Regierung so schwertut.

Tubman verhalf nicht nur Hunderten Landsleute­n in die Freiheit, sie kämpfte im Bürgerkrie­g für die Union gegen die Südstaaten, kundschaft­ete Stellungen der Konföderie­rten aus und befreite viele Gefangene.

Nach dem Ende des Bürgerkrie­gs hat man ihr trotz ihrer Verdienste eine Pension verweigert. Erst im hohen Alter, kurz vor ihrem Tod im Jahr 1913, erhielt sie eine monatliche Rente für ihre Arbeit als Krankenpfl­egerin. Sie wurde 91 Jahre alt. Davon erfährt man leider erst im Abspann von Hollywoods „Harriet“-Version.

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FOTOS: ANJA STEINBUCH Harriet Tubman war eine zentrale Figur im Kampf gegen die Sklaverei. Das hat der Maler Michael Rosato in seinem Wandbild in Chesapeake Bay festgehalt­en.
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Die Rangerin Angela Crenshaw empfängt die Besucher im Harriet Tubman Visitor Center zu einer Zeitreise.

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