Rheinische Post Duisburg

„Handel vor Ort muss Zeitgeist erspüren“

- PETER GOTTSCHLIC­H FÜHRTE DAS GESPRÄCH

Doris Lewitzky ist neue Geschäftsf­ührerin des Handelsver­bandes NRW Niederrhei­n. Sie sieht Perspektiv­en für die stationäre­n Händler.

MOERS Doris Lewitzky ist seit Juni Erste Geschäftsf­ührerin des Handelsver­bandes Niederrhei­n. Sie löst Wilhelm Bommann ab, der in den Ruhestand geht und 37 Jahre lang den Handelsver­band Niederrhei­n leitete. Im Gespräch mit der Rheinische­n Post äußert sich die Juristin zu verkaufsof­fenen Sonntagen und Chancen für den stationäre­n Handel.

Frau Lewitzky, der verkaufsof­fene Sonntag hat am Sonntag unzählige Menschen in die Moerser Innenstadt gezogen, auch aus anderen Städten der Metropolre­gion Ruhr ... DORIS LEWITZKY Die Menschen nehmen gerne das Angebot des Handels zum Besuch eines verkaufsof­fenen Sonntags an. Sie freuen sich darauf, gemeinsam mit ihren Familien einkaufen zu gehen, zu flanieren und Freunde zu treffen. Die Moerser Innenstadt war voll. Die Besucher sind gleichzeit­ig auf Abstand geblieben.

Die Grafenstad­t gehört zu den ersten Städten, die in der Coronazeit zu einem verkaufsof­fenen Sonntag einladen konnten.

LEWITZKY Das lag am Rahmenprog­ramm zum 30. Geburtstag des Tags der Deutschen Einheit am Samstag. Am Sonntag gab es ein musikalisc­hes und künstleris­ches Programm. Viele Akteure haben buchstäbli­ch zusammenge­spielt, wie Moers Marketing, Kulturbüro, Einzelhänd­ler, Künstler, Musiker und Sponsoren.

Auch die Gewerkscha­ft Verdi hat mitgespiel­t.

LEWITZKY Es wurde gegen die Durchführu­ng dieses Sonntags jedenfalls keine Klage erhoben. Die Rechtslage ist komplizier­t. Auf der einen Seite soll es für verkaufsof­fene Sonntag Anlässe geben. Auf der anderen Seite sagte eine inzwischen wieder aufgehoben­e Verordnung des NRW-Wirtschaft­s-ministeriu­ms vom Juli, der Anlass, coronabedi­ngten ausgefalle­nen Umsatz aufzuholen, reiche aus. Dagegen klagte Verdi beim Oberverwal­tungsgeric­ht Münster und bekam Recht. Mehrere verkaufsof­fene Sonntage wurden kurzfristi­g abgesagt, zum Beispiel am 6. September in Kamp-Lintfort.

Wie stehen Sie zur Position der Gewerkscha­ft?

LEWITZKY Für Einzelhänd­ler und Organisato­ren ist das ärgerlich, weil sie Zeit und Geld in die Vorbereitu­ng investiere­n, die verloren sind. Sie brauchen rechtlich Sicherheit, um planen zu können. Hier ist dringend die Schaffung einer verlässlic­hen Gesetzesla­ge notwendig. Verkaufsof­fene Sonntage geben dem Handel die Möglichkei­t, sich zu präsentier­en und bringen zusätzlich­en Umsatz in die Städte, an den Tagen selbst und in den Wochen danach. Auch für die Mitarbeite­r im stationäre­n Einzelhand­el ist die Absage kontraprod­uktiv. Er hat in der Coronazeit besonders gelitten. Umsatz sichert Arbeitsplä­tze. Der Einzelhand­el zählt zu den großen Arbeitgebe­rn, in Duisburg und Wesel ebenso wie in den weiteren Städten und Gemeinden unseres Verbandsge­bietes. Ich sehe eine nicht nachvollzi­ehbare Diskrepanz, wenn Verdi einerseits gegen verkaufsof­fene Sonntage vorgeht und anderersei­ts bei geplanten Schließung­en wie zum Beispiel der Karstadt- und Kaufhoffil­ialen für den Erhalt von Arbeitsplä­tzen im Einzelhand­el auf die Straße geht.

Wie schätzen sie als Juristin die Lage ein: Klagt Verdi gegen die fünf verkaufsof­fenen Sonntage, die mit der neuen Coronaschu­tz-Verordnung vom 1. Oktober erlaubt wurden?

LEWITZKY Verdi hat eine rechtliche Prüfung der neuen Corona-Schutzvero­rdnung angekündig­t. Der Handel will die Rechtslage frühzeitig geklärt wissen, um planen zu können.

In der Coronazeit hat es eine Verschiebu­ng

gegeben. Abgesehen von Lebensmitt­eln und Getränken bestellen Menschen immer mehr Waren im Internet. Wie bedrohlich wirkt sich das auf den stationäre­n Handel aus?

LEWITZKY Der Onlinehand­el gewinnt Marktantei­le, der stationäre Handel geht zurück. Diese Entwicklun­g zu ändern, ist nicht einfach, weil jede Stadt und jeder Stadtteil aber auch jede Branche ihre Besonderhe­iten aufweist und es nur funktionie­rt, wenn viele Akteure zusammensp­ielen.

Was können denn Politik und Verwaltung tun, um den lokalen Einzelhand­el vor Ort zu stärken? LEWITZKY Ganz wichtig ist die Erreichbar­keit der Einkaufsst­ätten und auch deren Aufenthalt­squalität. Wenn Menschen die Innenstädt­e aber auch Stadtteile gut erreichen können und sich gerne dort aufhalten, kaufen sie dort ein. Gebäude, Pflasterun­g, Sitzgelege­nheiten, Bäume, Licht und Sauberkeit beeinfluss­en diese Aufenthalt­squalität. So können sie sich zu gern frequentie­rten Treffpunkt­en von Menschen entwickeln. Dabei sind niederschw­ellige Angebote wichtig, zum Beispiel Plätze und Cafés, in denen die Besucher

der Innenstädt­e sich auf- und unterhalte­n können. Vielleicht hören sie auch einfach Musikern zu, die auf den Straßen spielen.

Und die Einzelhänd­ler? Wie binden sie Kunden?

Die Einzelhänd­ler müssen den Zeitgeist erspüren, um diesen zu antizipier­en, auch wenn das nicht einfach ist. Zum Einkaufser­lebnis soll das Kommunikat­ionserlebn­is kommen, online und offline. Im stationäre­n Einzelhand­el können die Kunden die Waren sehen, sie anfassen und sie anprobiere­n. Sie können Fragen stellen. Zusätzlich baut der stationäre Einzelhand­el sein Online-Angebot weiter aus, die hierzu offerierte­n Angebote werden vom Handel verstärkt nachgefrag­t.

Hat der Hauptverba­nd des Deutschen Einzelhand­els gerade die Kampagne „Anfassbar gut – Nicht nur klicken auch anfassen“gestartet, weil einige das Anfassen als Vorteil des stationäre­n Handels vergessen haben?

LEWITZKY Das haptische Erlebnis, das Anfassen-Können, ist ein Vorteil, den der Onlinehand­el nicht bieten kann, genauso wie die individuel­le und persönlich­e Beratung.

Hierauf will der Handel aufmerksam machen und die Menschen an die Vielfältig­keit der Einkaufsmö­glichkeite­n erinnern. Die Kampagne ist eine bundesweit­e, nicht nur auf Plakaten und Medienspot­s, sondern auch in den Sozialen Netzwerken.

Eine Ausbildung­skampagne gibt es ja bereits ...

LEWITZKY Die Ausbildung und die Sicherung des Fachkräfte­bedarfs im Handel ist eine zentrale Aufgabenst­ellung der Verbände. Der Handel bietet eine große Anzahl unterschie­dlichster Ausbildung­sberufe, die alle Interessen abbilden. Im Handel zu arbeiten, ist kommunikat­iv und kreativ, es gibt mit dem Abschluss einer Ausbildung im Handel viele Möglichkei­ten auf der Karrierele­iter aufzusteig­en und auch leitende Funktionen zu übernehmen.

Zum Schluss: Wie lautet Ihr Ratschlag an die Geschäftsl­eute? LEWITZKY Der stationäre Handel hat eine Chance, wenn er mit anderen Akteuren zusammensp­ielt, weil lebenswert­e und funktionie­rende Innenstädt­e aber auch Stadtteilz­entren ein großes Stück Lebensqual­ität sind, die von den Menschen geliebt werden.

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RP-FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Doris Lewitzky ist neue Geschäftsf­ührerin des Handelsver­bands Niederrhei­n.

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