„Handel vor Ort muss Zeitgeist erspüren“
Doris Lewitzky ist neue Geschäftsführerin des Handelsverbandes NRW Niederrhein. Sie sieht Perspektiven für die stationären Händler.
MOERS Doris Lewitzky ist seit Juni Erste Geschäftsführerin des Handelsverbandes Niederrhein. Sie löst Wilhelm Bommann ab, der in den Ruhestand geht und 37 Jahre lang den Handelsverband Niederrhein leitete. Im Gespräch mit der Rheinischen Post äußert sich die Juristin zu verkaufsoffenen Sonntagen und Chancen für den stationären Handel.
Frau Lewitzky, der verkaufsoffene Sonntag hat am Sonntag unzählige Menschen in die Moerser Innenstadt gezogen, auch aus anderen Städten der Metropolregion Ruhr ... DORIS LEWITZKY Die Menschen nehmen gerne das Angebot des Handels zum Besuch eines verkaufsoffenen Sonntags an. Sie freuen sich darauf, gemeinsam mit ihren Familien einkaufen zu gehen, zu flanieren und Freunde zu treffen. Die Moerser Innenstadt war voll. Die Besucher sind gleichzeitig auf Abstand geblieben.
Die Grafenstadt gehört zu den ersten Städten, die in der Coronazeit zu einem verkaufsoffenen Sonntag einladen konnten.
LEWITZKY Das lag am Rahmenprogramm zum 30. Geburtstag des Tags der Deutschen Einheit am Samstag. Am Sonntag gab es ein musikalisches und künstlerisches Programm. Viele Akteure haben buchstäblich zusammengespielt, wie Moers Marketing, Kulturbüro, Einzelhändler, Künstler, Musiker und Sponsoren.
Auch die Gewerkschaft Verdi hat mitgespielt.
LEWITZKY Es wurde gegen die Durchführung dieses Sonntags jedenfalls keine Klage erhoben. Die Rechtslage ist kompliziert. Auf der einen Seite soll es für verkaufsoffene Sonntag Anlässe geben. Auf der anderen Seite sagte eine inzwischen wieder aufgehobene Verordnung des NRW-Wirtschafts-ministeriums vom Juli, der Anlass, coronabedingten ausgefallenen Umsatz aufzuholen, reiche aus. Dagegen klagte Verdi beim Oberverwaltungsgericht Münster und bekam Recht. Mehrere verkaufsoffene Sonntage wurden kurzfristig abgesagt, zum Beispiel am 6. September in Kamp-Lintfort.
Wie stehen Sie zur Position der Gewerkschaft?
LEWITZKY Für Einzelhändler und Organisatoren ist das ärgerlich, weil sie Zeit und Geld in die Vorbereitung investieren, die verloren sind. Sie brauchen rechtlich Sicherheit, um planen zu können. Hier ist dringend die Schaffung einer verlässlichen Gesetzeslage notwendig. Verkaufsoffene Sonntage geben dem Handel die Möglichkeit, sich zu präsentieren und bringen zusätzlichen Umsatz in die Städte, an den Tagen selbst und in den Wochen danach. Auch für die Mitarbeiter im stationären Einzelhandel ist die Absage kontraproduktiv. Er hat in der Coronazeit besonders gelitten. Umsatz sichert Arbeitsplätze. Der Einzelhandel zählt zu den großen Arbeitgebern, in Duisburg und Wesel ebenso wie in den weiteren Städten und Gemeinden unseres Verbandsgebietes. Ich sehe eine nicht nachvollziehbare Diskrepanz, wenn Verdi einerseits gegen verkaufsoffene Sonntage vorgeht und andererseits bei geplanten Schließungen wie zum Beispiel der Karstadt- und Kaufhoffilialen für den Erhalt von Arbeitsplätzen im Einzelhandel auf die Straße geht.
Wie schätzen sie als Juristin die Lage ein: Klagt Verdi gegen die fünf verkaufsoffenen Sonntage, die mit der neuen Coronaschutz-Verordnung vom 1. Oktober erlaubt wurden?
LEWITZKY Verdi hat eine rechtliche Prüfung der neuen Corona-Schutzverordnung angekündigt. Der Handel will die Rechtslage frühzeitig geklärt wissen, um planen zu können.
In der Coronazeit hat es eine Verschiebung
gegeben. Abgesehen von Lebensmitteln und Getränken bestellen Menschen immer mehr Waren im Internet. Wie bedrohlich wirkt sich das auf den stationären Handel aus?
LEWITZKY Der Onlinehandel gewinnt Marktanteile, der stationäre Handel geht zurück. Diese Entwicklung zu ändern, ist nicht einfach, weil jede Stadt und jeder Stadtteil aber auch jede Branche ihre Besonderheiten aufweist und es nur funktioniert, wenn viele Akteure zusammenspielen.
Was können denn Politik und Verwaltung tun, um den lokalen Einzelhandel vor Ort zu stärken? LEWITZKY Ganz wichtig ist die Erreichbarkeit der Einkaufsstätten und auch deren Aufenthaltsqualität. Wenn Menschen die Innenstädte aber auch Stadtteile gut erreichen können und sich gerne dort aufhalten, kaufen sie dort ein. Gebäude, Pflasterung, Sitzgelegenheiten, Bäume, Licht und Sauberkeit beeinflussen diese Aufenthaltsqualität. So können sie sich zu gern frequentierten Treffpunkten von Menschen entwickeln. Dabei sind niederschwellige Angebote wichtig, zum Beispiel Plätze und Cafés, in denen die Besucher
der Innenstädte sich auf- und unterhalten können. Vielleicht hören sie auch einfach Musikern zu, die auf den Straßen spielen.
Und die Einzelhändler? Wie binden sie Kunden?
Die Einzelhändler müssen den Zeitgeist erspüren, um diesen zu antizipieren, auch wenn das nicht einfach ist. Zum Einkaufserlebnis soll das Kommunikationserlebnis kommen, online und offline. Im stationären Einzelhandel können die Kunden die Waren sehen, sie anfassen und sie anprobieren. Sie können Fragen stellen. Zusätzlich baut der stationäre Einzelhandel sein Online-Angebot weiter aus, die hierzu offerierten Angebote werden vom Handel verstärkt nachgefragt.
Hat der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels gerade die Kampagne „Anfassbar gut – Nicht nur klicken auch anfassen“gestartet, weil einige das Anfassen als Vorteil des stationären Handels vergessen haben?
LEWITZKY Das haptische Erlebnis, das Anfassen-Können, ist ein Vorteil, den der Onlinehandel nicht bieten kann, genauso wie die individuelle und persönliche Beratung.
Hierauf will der Handel aufmerksam machen und die Menschen an die Vielfältigkeit der Einkaufsmöglichkeiten erinnern. Die Kampagne ist eine bundesweite, nicht nur auf Plakaten und Medienspots, sondern auch in den Sozialen Netzwerken.
Eine Ausbildungskampagne gibt es ja bereits ...
LEWITZKY Die Ausbildung und die Sicherung des Fachkräftebedarfs im Handel ist eine zentrale Aufgabenstellung der Verbände. Der Handel bietet eine große Anzahl unterschiedlichster Ausbildungsberufe, die alle Interessen abbilden. Im Handel zu arbeiten, ist kommunikativ und kreativ, es gibt mit dem Abschluss einer Ausbildung im Handel viele Möglichkeiten auf der Karriereleiter aufzusteigen und auch leitende Funktionen zu übernehmen.
Zum Schluss: Wie lautet Ihr Ratschlag an die Geschäftsleute? LEWITZKY Der stationäre Handel hat eine Chance, wenn er mit anderen Akteuren zusammenspielt, weil lebenswerte und funktionierende Innenstädte aber auch Stadtteilzentren ein großes Stück Lebensqualität sind, die von den Menschen geliebt werden.