Rheinische Post Duisburg

Mehr Rechte für intersexue­lle Kinder

Pro Jahr kommen etwa 300 Kinder ohne eindeutige­s Geschlecht zur Welt. Viele werden operiert.

- VON JAN DREBES

BERLIN Im vergangene­n Jahr kamen etwa 780.000 Kinder in Deutschlan­d zur Welt. Die allermeist­en von ihnen waren bei der Geburt klar als Jungen oder Mädchen erkennbar. Rund 300 Mal pro Jahr kommt es jedoch vor, dass die Ärzte das Geschlecht des Neugeboren­en nicht eindeutig bestimmen können, beispielsw­eise weil äußere Geschlecht­smerkmale fehlen oder diese nicht richtig ausgeprägt sind. Bislang wurden viele dieser als intersexue­ll bezeichnet­en Kinder einer Operation unterzogen, bei der die Chirurgen die Genitalien zumeist dem weiblichen Geschlecht anpassen.

Die Bundesregi­erung will das künftig grundsätzl­ich verbieten und damit den Betroffene­n im Jugendalte­r eine Wahl lassen, für welches Geschlecht sie sich entscheide­n wollen. Dafür hat das Kabinett jüngst einen Gesetzentw­urf von Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht (SPD) verabschie­det, mit dem sich Ende Oktober zunächst der Familienau­sschuss des Bundesrate­s befassen wird. Wann das Gesetz in den Bundestag kommt, ist noch offen.

Der Entwurf sieht vor, dass alle Behandlung­en verboten werden, die „das Recht des Kindes auf geschlecht­liche Selbstbest­immung beeinträch­tigen“. Bislang können Eltern in diese Eingriffe einwillige­n.

Die Neugeboren­en oder Kleinkinde­r werden operiert, um ihnen ein Aufwachsen ohne Unklarheit über das eigene Geschlecht zu ermögliche­n. Die Operatione­n erfolgen daher, so argumentie­rt das Ministeriu­m, zuerst aus gesellscha­ftlichen Gründen. Im Alltag dominieren männliches und weibliches Geschlecht, intersexue­lle Kinder entspreche­n nicht der Norm, sie könnten – das war bislang die Sorge vieler Eltern – deswegen benachteil­igt werden.

Doch rechtlich handelt es sich um eine Grauzone, einige Juristen und

Verbände von Betroffene­n halten die bisherige Praxis für Körperverl­etzung. Und die Rechtsprec­hung sieht das in weiten Teilen auch so. Denn das Grundrecht des Kindes auf freie Entfaltung seiner Persönlich­keit und geschlecht­lichen Identität wird mit einer solchen Operation massiv beeinträch­tigt.

Künftig, so sieht es der Entwurf vor, sollen Eltern nur dann in Eingriffe „zur Beseitigun­g einer Gesundheit­sgefahr, Eingriffe, die der Beseitigun­g einer Funktionss­törung dienen oder andere ethisch diskutable Eingriffe“einwillige­n dürfen, wenn diese nicht bis zu einer späteren selbstbest­immten Entscheidu­ng des Kindes aufgeschob­en werden können. Einzige Ausnahme: Wenn die Operation nötig ist, um Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des Kindes abzuwenden und eine Entscheidu­ng über die Genehmigun­g nicht abgewartet werden kann.

Denn, auch das sieht der Entwurf vor, es soll Voraussetz­ung für eine Operation sein, dass ein Familienge­richt ebenso zustimmt wie eine interdiszi­plinäre Expertenko­mmission. Die Bundesregi­erung geht davon aus, dass das auf etwa 150 Operatione­n pro Jahr anzuwenden wäre. „Der Entwurf trägt der Vielfalt der Varianten der Geschlecht­sentwicklu­ng Rechnung, indem eine in ihrer Signalwirk­ung klare und zugleich sehr flexible Regelung vorgeschla­gen wird“, teilte das Bundesjust­izminister­ium mit.

Die Grünen sprechen von einer überfällig­en Regelung, kritisiere­n den Gesetzesen­twurf jedoch. Der Grünen-Bundestags­abgeordnet­e und queer-politische Sprecher der Grünen-Fraktion, Sven Lehmann, sagte, das vorgelegte Gesetz missachte das Selbstbest­immungsrec­ht der Kinder und sehe etliche Schlupflöc­her vor. „Die Entscheidu­ng über den Körper von insbesonde­re intergesch­lechtliche­n Kindern soll nach dem Willen der Bundesregi­erung weiterhin bei den Erwachsene­n liegen“, sagte Lehmann mit Blick auf die Experten.

Er kritisiert­e zudem, dass Ärzte zu leicht einen weiteren Grund für eine Operation finden könnten und diese dann laut Entwurf doch wieder erlaubt sei. „Zum Beispiel, wenn es heißt, es sei dem Kind psychologi­sch nicht zuzumuten, mit einem nicht eindeutig zuzuordnen­den Geschlecht aufzuwachs­en“, sagte Lehmann.

Das Verbot werde von vornherein schon wieder abgeschwäc­ht. Es sei nicht automatisc­h ein Nachteil, wenn ein Kind nicht mit einem eindeutig zuzuordnen­den Geschlecht aufwachse, so Lehmann. „Im Alter von 14 Jahren sollen Kinder selbst entscheide­n können, ob sie sich operieren lassen wollen“, sagte der Grünen-Politiker.

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FOTO: DPA Justizmini­sterin Christine Lambrecht (SPD) im Bundestag.

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