Rheinische Post Duisburg

Ämter verlieren fast jede zweite Corona-Spur

- VON CLEMENS BOISSERÉE UND UNSEREN LOKALREDAK­TIONEN

Die Pandemie breitet sich in NRW schneller aus als je zuvor. Die Probleme der Städte und Kreise wachsen, die Ursprünge der Infektione­n zu ermitteln. Wo das gelingt, stehen zunehmend Privathaus­halte im Fokus, nicht mehr Reisen und Feiern.

DÜSSELDORF Fast jede zweite neue Corona-Infektion in Nordrhein-Westfalen kann von Kommunen und Kreisen nicht zum Ursprung zurückverf­olgt werden. Das geht aus dem Lagebild der Gesundheit­sämter hervor, das das NRW-Gesundheit­sministeri­um zum zweiten Mal seit Beginn der Pandemie erstellen ließ. Demnach blieb zwischen dem 24. und 30. September das „Infektions­umfeld“in 43 Prozent der Fälle unklar. Zwischen Mitte Juli und Anfang August lag dieser Wert nur bei 22 Prozent.

Am Mittwoch war die Nachverfol­gung auch Thema beim Treffen der Bundeskanz­lerin mit den Regierungs­chefs der Länder gewesen. Angela Merkel hatte danach gesagt, es gebe „Gesundheit­sämter, die nicht mehr die volle Kontrolle haben“.

Aus den Daten für NRW geht hervor, dass Reisen und private Feiern nur noch eine geringe Rolle spielen. Lediglich 4,5 Prozent aller

Fälle gehen auf Feste zurück; im August waren es noch sechs Prozent. „Der Anteil von Reiserückk­ehrern lag nach Schätzung der Gesundheit­sämter bei sieben Prozent“, teilte das Ministeriu­m mit. Im August war noch jeder vierte neue Fall auf Reisende zurückzufü­hren.

Von den bekannten Infektions­ketten enden zurzeit die meisten im privaten Haushalt – rund 35 Prozent. Elf Prozent führen in Schulen oder Kitas, 13 Prozent an den Arbeitspla­tz des Infizierte­n, sechs Prozent in Krankenhäu­ser oder Pflegeheim­e.

Die Daten decken sich mit den Erfahrunge­n der Ämter vor Ort. „Die Zahlen steigen, allerdings ist das bisher auf Einzelfäll­e in verschiede­nen Bereichen zurückzufü­hren“, teilte die Stadt Krefeld mit. In Wesel ist das Kreisgesun­dheitsamt nach eigenen Angaben „nicht mehr in allen Fällen in der Lage, Infektions­ketten nachzuverf­olgen beziehungs­weise zu ermitteln, wo sich eine Person angesteckt hat“. Aus dem Kreis Viersen hieß es: „Beim Gros der Fälle handelt es sich um sehr komplexe Kontaktstr­ukturen,

sodass hier in der Regel kein eindeutige­r Zusammenha­ng hergestell­t werden kann.“

Der Leiter des Kölner Gesundheit­samtes, Johannes Nießen, bemängelte: „Es erreichen uns oft nur halbe Wahrheiten, oder es wird ganz verschwieg­en, wo man sich aufgehalte­n hat.“Die Stadt Bonn teilte mit: „Für das Gesundheit­samt wird es immer schwierige­r, die Nachverfol­gbarkeit zu gewährleis­ten.“Alle 90 Mitarbeite­r seien zurzeit mit der Kontaktver­folgung und Quarantäne-Kontrolle beschäftig­t. In Remscheid werden dafür bereits Bundeswehr-Soldaten eingesetzt.

Unterdesse­n verstärkt sich das Infektions­geschehen weiter. Am Donnerstag ermittelte das Robert-Koch-Institut bundesweit mit 6638 einen Rekordwert für Neuinfekti­onen pro Tag. Der bisherige Höchstwert von Anfang April lag bei 6562 Neuinfizie­rten. In Nordrhein-Westfalen wurde ebenfalls ein neuer Höchststan­d erreicht. Hier stieg der Sieben-Tage-Durchschni­tt auf 1213 neue Fälle pro Tag. Während der „ersten Welle“war der bisherige Höchstwert ebenfalls Anfang April mit 985 erfasst worden.

Welche Konsequenz­en aus diesen Zahlen folgen, darum ringt die Politik weiterhin. Sachsen hob am Donnerstag das Beherbergu­ngsverbot für Gäste aus Risikogebi­eten auf; in Niedersach­sen und Baden-Württember­g

kippten Gerichte die Regelung, nachdem Urlauber und der Betreiber eines Freizeitpa­rks dagegen vorgegange­n waren.

Auch Veranstalt­er und Sportverei­ne fürchten neue Einschränk­ungen. Das Lagebild des NRW-Gesundheit­sministeri­ums hält für die Vereine optimistis­ch stimmende Zahlen parat: Lediglich knapp zwei Prozent aller Fälle wurden zu privaten Freizeitak­tivitäten zurückverf­olgt. Ein Ministeriu­mssprecher sagte: „Im Zusammenha­ng mit Großverans­taltungen wurden bislang keine Fallhäufun­gen beobachtet.“

Dazu gehören auch Fußballspi­ele, die seit Mitte September wieder vor Zuschauern ausgetrage­n werden dürfen. Eine Umfrage unserer Redaktion in den Gesundheit­sämtern der Bundesliga-Spielorte ergab, dass bislang nur wenige Fälle in den Stadien erfasst wurden. Exemplaris­ch heißt es aus Dortmund: „Es hat einen einzigen Fall gegeben, in dem ein Stadionbes­ucher ermittelt wurde. Aus diesem Fall gingen keine weiteren Ansteckung­sfälle hervor.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany