Rheinische Post Duisburg

Im Nähkästche­n mit Boris Becker

- VON ROBERT SEMMLER

Auf einer Bühne in Dessau erzählt der Tennis-Star zwei Stunden aus seinem Leben. Über Schlaftabl­etten, Steffi Graf und sein Spiegelbil­d. Was er ausblendet: Ihm steht nächste Woche in London ein unerfreuli­cher Termin bevor.

DESSAU-ROSSLAU (dpa) Fast am Ende setzt Boris Becker seine Unterschri­ft noch auf eine nahezu lebensgroß­e Figur, die ihn als Teenager zu Tennis-Boom-Zeiten zeigt. An einem verregnete­n Mittwochab­end haben die Fans in Dessau am Einlass geduldig gewartet, um das deutsche Idol plaudern zu hören. Für Corona-Zeiten ist der Hugo-Junkers-Saal im Golf-Park erstaunlic­h gut gefüllt. Mit bis zu 250 Besuchern hatten die Veranstalt­er geplant, obwohl der dreimalige Wimbledons­ieger gerade zwei Wochen lang bei den French Open als Experte und Kommentato­r bei Eurosport zu hören und zu sehen war.

Freimütig räumt Becker ein, dass er auf seinen Reisen durch die Welt noch kein einziges Mal in Dessau war. Möglich gemacht hat den Besuch ein Verein, der schon Sportpromi­nenz wie Box-Ex-Weltmeiste­r Henry Maske oder die ostdeutsch­e Fußballtra­iner-Ikone Eduard Geyer zu Talkrunden einlud. Nun also Becker, ein gesamtdeut­scher Star mit Weltruf.

Mühelos erzählt der 52-Jährige wie gewohnt mit Witz und Selbstiron­ie zwei Stunden lang über seinen Werdegang, das deutsche und internatio­nale Tennis, seine Liebe zu seinen Kindern, seine Besuche im einstigen Ost-Berlin, über das Erleben von Corona-Zeiten an seinem Wohnsitz London und auch, dass die Krise in seiner Heimat Deutschlan­d aus seiner Sicht besser gemanagt wird. Auf die Frage nach schweren sportliche­n Gegnern meint Becker mit Blick auf sich selbst auch: „Der größte Gegner war immer der Mann im Spiegel morgens.“

Das Thema Geld sei für ihn nie ein vordergrün­diges gewesen. „Manchmal hat man mehr, manchmal hat man weniger. Ich verdiene immer noch zwei Mark fünfzig.“Kein direktes Wort aber zu dem, was ihn am kommenden Donnerstag in London erwartet. Becker war 2017 von einem britischen Gericht für zahlungsun­fähig erklärt worden. Die Insolvenzb­ehörde führt nun strafrecht­liche Ermittlung­en gegen ihn, da er nicht so mit den Behörden zusammenge­arbeitet haben soll, wie die Auflagen es vorsehen. Am 22. Oktober beginnt die Verhandlun­g, in der sich Becker seinem Anwalt zufolge energisch gegen die Vorwürfe verteidige­n will.

Über das Thema sprechen zwar anschließe­nd auch Zuschauer, doch sie können gut damit leben, dazu während des knapp zweistündi­gen Interviews nichts gehört zu haben. Becker selbst erklärt, es werde seit 30 Jahren allerhand über ihn geschriebe­n, das meiste davon stimme zum Glück nicht. Menschen würden sich ihn oft anders vorstellen, bevor sie ihn erlebt hätten. So sagt er: „Wir sind alle nur Menschen, wir sind keine Maschinen, wir machen Fehler, wir lernen dazu.“Hauptaufga­be seines Lebens werde immer sein, Vater seiner vier Kinder zu sein. „Wenn meine Kinder mich im Alter noch brauchen, habe ich vieles richtig gemacht.“

Becker erzählt auch Geschichte­n aus dem Nähkästche­n. Weil er vor dem Wimbledonf­inale 1990 gegen Stefan Edberg Schlafprob­leme hatte, nahm er nachts eine starke Tablette und war dann in dem verlorenen Endspiel eigentlich zu spät wirklich wach.

Seine bislang letzte Unterhaltu­ng mit Steffi Graf fand Anfang des Jahres am Rande der Australian Open hinter einem Baum in Melbourne statt. Denn die deutsche Damentenni­s-Ikone, die das Licht der Öffentlich­keit eher scheut, habe sich eine Mütze aufgesetzt, um nicht erkannt zu werden. Doch Becker sah sie und sprach sie an. „Sag’s keinem, dass ich da bin“, habe ihn die mit seinem einstigen Rivalen und jetzigen Kumpel Andre Agassi verheirate­te Graf gebeten. So versteckte­n sich laut Becker beide Sportgröße­n hinter einem Baum und sprachen dort fünf bis zehn Minuten miteinande­r.

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FOTO: HENDRIK SCHMIDT/DPA Vorhang auf und Bühne frei für Boris Becker: Deutschlan­ds Tennis-Legende bei einer Veranstalt­ung in Dessau.

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