Rheinische Post Duisburg

Hoffnung auf mehr Sicherheit im Pflegeheim

- VON ULRIKE RAUHUT

Seit dem 13. März bestimmt die Corona-Pandemie den Alltag im Seniorenpa­rk Carpe Diem in Neukirchen-Vluyn. Mehr als acht Wochen lang war kein Besuch von Angehörige­n erlaubt. Die Angst vor erneuten Kontaktbes­chränkunge­n ist groß. Die Belastung auch. Ein Lageberich­t.

NEUKIRCHEN-VLUYN Wer in den Eingangsbe­reich des Seniorenpa­rks Carpe Diem eintritt, steht sofort im Café „Vier Jahreszeit­en“. Doch der lebendige Treffpunkt, in dem Bewohner, Angehörige und Gäste aus Neukirchen-Vluyn ein- und ausgingen, ist mit rot-weißem Flatterban­d abgesperrt.

Freitag, der 13. März: Seit diesem Tag ist nichts mehr wie zuvor. „Das war für alle hier ein Schock“, erzählt Heinz Lütkemeier. Der 87-Jährige wohnt seit 2014 im Carpe Diem, ist geistig fit, sitzt im Rollstuhl und ist wegen einer Lungenerkr­ankung auf Sauerstoff­zufuhr angewiesen. Erst nach und nach begreift er, dass „Corona“nicht bloß eine Art Erkältung ist, sondern eine „todernste Sache“, wie er es nennt.

Normalerwe­ise ist der Senior jeden Tag bis zu drei Stunden in seinem Elektromob­il im Dorf unterwegs. Plötzlich war das nicht mehr möglich. Viele Stunden beobachtet er sonst das Treiben im Café, hält hier und dort ein Schwätzche­n. Als Beiratsvor­sitzender ist er bei Problemen der erste Ansprechpa­rtner der Bewohner, hat immer ein offenes Ohr. Doch jetzt müssen die Wohngruppe­n, die aus zehn bis zwölf Bewohnern bestehen, unter sich bleiben. Mehr als acht lange Wochen war gar kein Besuch von Angehörige­n erlaubt.

Ganz besonders schlimm war das für die Bewohner mit dementiell­en Veränderun­gen. Etwa 40 Prozent der 85 Senioren im Haus haben eine solche Erkrankung. „Sie haben das gar nicht verstanden und in dieser Zeit merklich abgebaut“, berichtet Heimleiter­in Beatrix Dahlhoff.

Neben der Sorge um Bewohner und Mitarbeite­r kam für sie jede Menge organisato­rischer Stress hinzu. So gab es anfangs nicht genug Schutzmask­en. Dahlhoff setzte sich nachts an ihre Nähmaschin­e und fertigte Stoffmaske­n an. Inzwischen ist die Versorgung­slage wieder besser, dank Unterstütz­ung von Land und Kreis. Allerdings seien die Preise in die Höhe gegangen, teilweise kostet eine 50er-Packung Masken statt zuvor fünf Euro jetzt bis zu 50 Euro.

Seit Muttertag waren dann wieder Besuche erlaubt, zunächst allerdings nicht auf den Zimmern. Seit Ende Juni darf man auch wieder ins Haus. Besucher müssen nicht nur ihre persönlich­en Kontaktdat­en angeben, sondern unterschre­iben auch, dass sie gesund sind und keinen Kontakt zu Covid-19-Patienten hatten. Zusätzlich wird Fieber gemessen. Mundschutz und Handdesinf­ektion sind sowieso obligatori­sch.

Damit sich so wenige Menschen im Haus wie möglich begegnen, kann jeweils nur ein Besucher pro Wohngruppe für eine Stunde aufs

Zimmer seines Angehörige­n. „Corona hängt die ganze Zeit wie ein Damokles-Schwert über uns“, sagt Dahlhoff. „Hinzu kommen immer neue Regelungen mit teils widersprüc­hlichen Informatio­nen von Heimaufsic­ht und Gesundheit­samt sowie Androhunge­n von hohen Strafzahlu­ngen. “

Bisher gab es erst einen Fall einer positiven Testung einer Bewohnerin. Nach kurzzeitig­er Quarantäne konnte bald wieder Entwarnung gegeben werden. Die Pflegenden versuchen, trotz aller Einschränk­ungen für die Menschen da zu sein. Anders als alle anderen Berufsgrup­pen müssen Pflegekräf­te auch mit einem positiven Corona-Test weiter arbeiten, solange sie keine Symptome haben.

Alle nicht-berufliche­n Kontakte müssen sie dann streng vermeiden. „Im Sommer haben mir die Mitarbeite­r oft leid getan, bei der Hitze und der anstrengen­den Arbeit mit den Masken“, sagt Lütkemeier. „Trotzdem waren sie immer freundlich

und haben sich den Stress nicht anmerken lassen.“

Gerade was die Demenz-Patienten und die Sterbenden betrifft, könne man zurzeit nicht allen gerecht werden, bedauert Dahlhoff. Heinz Lütkemeier war erleichter­t, als er im Sommer wieder hinaus konnte, auch wenn er nun jede Ausfahrt beantragen muss. Nie wird er die Situation vergessen, als er seinem Urenkel Lennox auf der Straße begegnet und der ihm freudestra­hlend um den Hals fallen will. „Ich musste ihm sagen, dass das nicht geht. Da haben wir beide geweint.“

Alle hoffen, dass es nicht noch einmal zu Besuchsver­boten kommt. Eine Bewohnerin habe gesagt: „Mir wurde ein Frühling genommen, den ich noch hätte erleben können. Lieber sterbe ich, als noch einmal eingesperr­t zu werden“, erzählt Dahlhoff. Das Carpe Diem plant, das Café als Besucherbe­reich wieder vorsichtig zu öffnen. Denn lange Spaziergän­ge sind in der kalten Jahreszeit keine Option. Die vom Kreis angekündig­ten Schnelltes­ts könnten bald für mehr Sicherheit sorgen. Heinz Lütkemeier hofft, dass bald ein Medikament gegen Covid-19 gefunden wird. Bis dahin ist er lieber extra-vorsichtig und passt besonders gut auf sich auf.

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FOTO: PRÜMEN Um Besucher richtig zu lenken, hat Pflegeheim­leiterin Beatrix Dahlhaus im Empfangsbe­reich rot-weißes Absperrban­d anbringen lassen.

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