Die Angst der Bauern
Landwirte in NRW blicken besorgt in die Zukunft: Sie kritisieren die Vorgaben der Politik zur Düngung und befürchten drastische Einbußen bei der Ernte sowie beim Umsatz.
DÜSSELDORF/KEMPEN Der Kempener Landwirt Heinz-Wilhelm Tölkes beklagt einen „massiven Schaden“bei der Ernte. Nach 2018 und 2019 habe es bereits das dritte Dürrejahr in Folge gegeben, wodurch die Pflanzen deutlich schlechter gewachsen seien. Die Trockenheit am Niederrhein sei dieses Jahr bereits im Mai gekommen – noch früher als in den Vorjahren.
„Ohne Beregnung ist es mittlerweile nicht mehr möglich, eine gute Ernte zu bekommen“, sagt Tölkes: „Doch so viel Wasser, dass alles Gemüse gut wächst, konnten wir gar nicht aufbringen. Ab einem gewissen Punkt müssen wir finanziell abwägen, ob es sich lohnt, zu beregnen, wenn wir nicht 100 Prozent des Gemüses verkaufen können.“
In den heißen Sommern der vergangenen Jahre sei der Dünger auf dem Boden liegengeblieben, da er ohne Wasser nicht an die Wurzel gelange, erklärt Anna Boßmann, als Teamleiterin Wasserschutz bei der Landwirtschaftskammer NRW für die Kreise Kleve und Wesel zuständig: „Wir hatten in diesem Jahr ab März so gut wie keinen Niederschlag.“
Der Landesdüngeverordnung zufolge müssen Landwirte zu Jahresbeginn den Düngerbedarf errechnen und sich dann unabhängig von der Witterung daran halten. Bei diesem Verfahren werden unter anderem im Boden verfügbarer Stickstoff und Nitrat berücksichtigt. Erlaubt sind 17 Gramm Dünger aus Gülle pro Quadratmeter. Überschreitet dies den zuvor errechneten Bedarf der Pflanzen, muss der Einsatz reduziert werden.
Am 24. März hatte die NRW-Landesregierung die neue Landesdüngeverordnung für die Landwirtschaft verabschiedet. „Durch diese zielgenaue, effiziente und praktikable Düngeregulierung können wir unser Grundwasser effektiv schützen, ohne die Landwirte zu überfordern“, sagte NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU).
Hintergrund waren Messungen zwischen 2013 und 2018 zum chemischen Zustand des Grundwassers: Demnach beträgt der Anteil des nitratbelasteten, „roten“Grundwassers etwa 26 Prozent in Bezug auf die Fläche von NRW. Die Europäische Union warf Deutschland „unzureichende Maßnahmen zum Grundwasserschutz“vor, da die Proben relativ stark mit Nitrat belastet waren.
„Grundwasservorkommen unter landwirtschaftlich genutzten Flächen sind häufig Belastungen ausgesetzt, die durch die intensive Bodennutzung verursacht werden“, erklärt Falk Hilliges vom Umweltbundesamt. Eine Ursache für die hohe Stickstoffbelastung von Grundwasser und Böden in Deutschland sei die nicht standortgerechte Ausbringung von Düngemitteln. Problematisch sind laut Umweltbundesamt vor allem Regionen mit viel Tierhaltung sowie mit einem hohen Anteil an Gemüseund Sonderkulturen.
Frank Greshake, Chef der Schweinevermarktung Rheinland, sieht Landwirte zu Unrecht als Sündenböcke für die Nitratbelastung dargestellt. „Die Gülle hat einen schlechten Ruf, aber ist ein wertvoller Mehrnährstoff-Dünger, in dem alles enthalten ist, was die Pflanze braucht.“Die Nährstoffe werden sofort von den Pflanzen aufgenommen, sodass weniger Nitrat ins Grundwasser gelange. „Deutschland ist doch bei der EU für sein gutes Trinkwasser und die gute Wasserqualität in Badeseen bekannt“, sagt Greshake: „So vergiftet kann unser Wasser nicht sein.“
Die Landwirtschaftskammer NRW kritisiert die Düngevorgaben: „Wenn die Bauern wüssten, dass das Jahr extrem trocken wird, würden sie am Jahresanfang mehr düngen“, so Boßmann. Bei zu geringer Stickstoffzufuhr bleiben Salat und Kohl klein und schlaff. „Weizen mit zu wenig Eiweiß fehlt die Backfähigkeit, das kaufen Bäcker nicht“, erklärt Greshake. „Pommes-Fabriken lehnen zudem zu kleine Kartoffeln ab. Manches Gemüse ist durch den fehlenden Dünger qualitativ so schlecht, dass man es nicht ernten kann. Es bleibt viel liegen.“
Viele Landwirte sehen zudem eine Herausforderung in den Anforderungen
des Lebensmitteleinzelhandels, sagt Boßmann. „Gemüsesorten wie Möhren oder Kohlrabi sollen mit saftigem Laub geliefert werden. Um das hinzubekommen, muss das Gemüse
bis zur Ernte mit ausreichend Nährstoffen versorgt sein.“
Vor allem die Viehwirte bekämpfen laut Greshake das Nitratproblem: mit weniger Eiweiß im Tierfutter, abgedeckten Güllebehältern gegen Verdunstung oder durch Prüfung des Nährstoffvorrats im Boden: „Diese Maßnahmen helfen in der Praxis, aber nicht auf dem Papier. Aufgrund veralteter Berechnungswerte haben Landwirte angeblich Hunderte, zum Teil bis zu 2000 Kubikmeter Gülle zu viel im Behälter, die ihre Schweine gar nicht produziert haben.“
Eine zusätzliche Belastung für die Landwirtschaft sei die Corona-Pandemie. „Wir sind mit unserer Produktion, etwa von Kartoffeln, an Fabriken und Kantinen angegliedert, die sie zum Beispiel zu Pommes verarbeiten“, erzählt Landwirt Tölkes aus Kempen. Da viele Fabriken und Kantinen derzeit geschlossen seien, seien die Produkte nicht mehr so gefragt: „Wenn es im nächsten Jahr wieder so trocken wird, und die Düngevorgaben gleich bleiben, könnte es für die Konsumenten ein knappes Jahr werden.“