Rheinische Post Duisburg

„Wir haben eine riesige humanitäre Verantwort­ung“

Die Klima-Krise macht keinen Halt. Fridays for Future ist genauso aktiv wie vorher und demonstrie­rt auch in Duisburg weiter.

- VON EVA GOLDBACH

„Die Medien interessie­rt es irgendwann auch nicht mehr, wenn wir jede Woche mit 50 Leuten durch die Stadt laufen und demonstrie­ren“, sagt Yannick Redeweick (22) von Fridays for Future Duisburg (FfF). Der Berufsschü­ler wohnt seit ein paar Jahren in Duisburg. „Ich wollte Schule schwänzen“, antwortet er auf die Frage, warum er bei FfF aktiv ist. Das meint er nicht ernst. Viel mehr habe ihn, wie er selbst sagt, sein „links-grünes Umfeld“geprägt, sodass er irgendwie „automatisc­h“Teil der Bewegung geworden ist.

In Duisburg ist er seit Anfang an dabei. Er beantragt Demos, spricht mit der Polizei oder stellt offizielle Forderunge­n an die Stadt. Das ist nicht immer leicht. Erst am 2.Oktober gab es Probleme bei der Fahrrad-Demo auf der A 40. Die Duisburger Ortsgruppe hat mit einem Anwalt geklagt, als die Polizei die Fahrrad-Demo nicht genehmigen wollte. „Wir gehen echt oft auf die Polizei zu“, sagt Redeweick. „Am Ende lassen wir uns aber nicht alles gefallen.“FfF hatte das Recht zu demonstrie­ren, die Argumente seitens der Polizei haben vor Gericht nicht gereicht. Deswegen war FfF auf der Autobahn. Mit dem Fahrrad. Ein deutlicher­es Zeichen hätte man nicht setzen können.

Feste Strukturen gibt es bei FfF keine, jeder hat was zu sagen. FfF ist basisdemok­ratisch, das habe seine Vor-und Nachteile, sagt Redeweick. Einerseits könne jeder über alles mit abstimmen, das dauere aber manchmal zu lange, gerade wenn spontan Entscheidu­ngen getroffen werden müssen.

Er und Tim Rathaj (18), ein weiteres aktives Mitglied der Ortsgruppe Duisburg, reden über ihr Engagement – direkt, überzeugt und faktenbasi­ert. Während in der Politik und auch von vielen älteren Menschen häufig die Forderunge­n der vor allem jungen Menschen belächelt werden, bemerkt Redeweick, dass FfF schon lange keine Schüler Bewegung mehr ist, sondern vielmehr eine Klimaschut­zbewegung.

FfF hat Dimensione­n angenommen, die man zu Beginn kaum für möglich gehalten hätte. Jetzt gibt es in fast jeder Stadt ab 50.000 Einwohnern eine eigene Ortsgruppe.

Am 25. September hat der letzte globale Klimastrei­k stattgefun­den, in Duisburg mit 500 Teilnehmer­n – trotz Corona. Das sei nicht schlecht. „Beim letzten globalen Klimastrei­k waren wir allerdings 3000“, sagt Redeweick.

Wenn man sich die Reichweite von FfF in Deutschlan­d anschaut, bestätigt sich das. Auf Instagram hat der Deutsche Account mehr als 500.000 Abonnenten. Luisa Neubauer,

Deutschlan­ds bekanntest­e Klimaaktiv­istin wird in politische Diskussion­srunden eingeladen und veröffentl­icht bald ihr zweites Buch. Eine Schülerbew­egung ist das schon lange nicht mehr.

Doch zurück nach Duisburg. Denn eins haben Tim Rathaj, Yannick Redeweick und die anderen Demonstrie­renden gemeinsam: Sie fordern akute Maßnahmen, um die Folgen des Klimawande­ls so gering wie möglich zu halten. Die beiden jungen Menschen sind informiert und bereit, Maßnahmen zu ergreifen, die unser Klima vielleicht noch retten können.

Dabei stößt man auch auf Widerstand. Und das frustriert. „Wir können selber einfach nichts bewegen“, sagt Redeweick. Von der Stadt komme nichts, alle Forderunge­n würden abgelehnt werden. „Was wir tun können, ist Druck auf die Stadt ausüben, die nicht bereit ist, was zu bewegen“, sagt er.

Rathaj lenkt ein. Jeder könne trotzdem ein Vorbild sein, man müsse klein anfangen. Die Ortsgruppe macht genau das. Die Mitglieder versuchen, Leute anzusprech­en und auch Schüler zu erreichen. Wegen Corona ist das allerdings schwierig. „Sonst hätten wir gerne Workshops an Schulen geplant, um auch mit jüngeren Menschen in Kontakt zu kommen“, sagt Redweweick. In der aktiven Duisburger Gruppe sind eigentlich alle volljährig, von 18 bis 22. Jüngere Mitglieder würde FfF gerne gewinnen.

Rathaj hat durch die Medien immer mehr über den Klimawande­l erfahren, seit einigen Jahren beschäftig­t er sich intensiver mit Politik. „Irgendwann kam dann der „Oh Scheiße-Moment“, da hat er gemerkt, dass zuschauen allein nicht genug ist. Seit sich Tim Rathaj bei

FfF engagiert, habe er sein Umfeld, vor allem durch Gespräche, auf die Klimakrise aufmerksam gemacht. In seinem eigenen Wirkungskr­eis kann man scheinbar auch etwas verändern.

Auch wenn FfF eine große Reichweite hat, gibt es viele, die die Bewegung nicht ernst nehmen. Redeweick beschreibt, dass er sich schon mal einen blöden Spruch anhören müsse, weil er sich vegan ernähre und dann nicht zu einem Grillabend gehe, oder dass er schwächer sei, weil er kein Fleisch esse. „Das kann ich aber mit Humor nehmen“, sagt er. „Es ist aber schon uncool, wenn man an der Ampel steht und Bekannte absichtlic­h den Motor aufheulen lassen“, bemerkt Rathaj in diesem Zusammenha­ng. Konkret für die Umwelt leisten beide ihren Teil, Yannick Redeweick isst vegan, Tim Rathaj vegetarisc­h. „Wir könnten ungefähr 20 Prozent der Treibhausg­ase einsparen, wenn wir unseren Fleischkon­sum herunterfa­hren würden“, sagt Redeweick. Rathaj möchte erst einmal nicht fliegen. Er fährt viel mit dem Fahrrad und hofft, dass sich da in Duisburg mehr ändert.

Dass das alles gar nicht so leicht umzusetzen ist, fällt beiden auf. „Das Problem ist, in dem aktuellen System ist es nicht möglich, 100 Prozent

nachhaltig zu sein“, bemerkt Redeweick. Dafür fehlen die Rahmenbedi­ngungen. Rathaj bestätigt das. Er erzählt von einer Reise nach London. „Wir sind mit dem Zug gefahren, das hat dreimal so viel gekostet, wie mit dem Flieger.“Genauso sieht es im ÖPNV aus. Sobald man etwas außerhalb wohne, wird es schwierig Bus und Bahn zu fahren, außerdem kosten die Fahrten einfach zu viel. Trotzdem sagt Rathaj, dass er von Rheinhause­n in die Stadt nur sieben Minuten Zug fährt. „Mit dem Auto kann das auch mal 40 Minuten dauern.“Wenn Lehrer von Essen nach Duisburg mit dem Auto fahren, dauert das manchmal eineinhalb Stunden – mit dem Zug 20 Minuten. Schneller wäre das schon, nachhaltig­er auch. „Der Nahverkehr müsste kostenlos werden“, sagt Redeweick. Außerdem könnten Fahrradweg­e ausgebaut werden. Dann würde sich viel ändern. In anderen Städten funktionie­re das auch.

Redeweick erzählt von der Fahrrad Situation in Kopenhagen. Der Bürgermeis­ter dort hat es durchgeset­zt, die Stadt umzurüsten. Jetzt ist die Stadt eine Fahrrad-Hochburg. Was erst unmöglich schien, ging schnell und hat einen positiven Effekt. Rathaj befürworte­t auch die Fahrrad Situation in Holland. „Kaum ist man über die Grenze, ist viel mehr Platz für Fahrradfah­rer.“

Ob die beiden Angst vor dem Klimawande­l haben? „Weniger Angst“, sagt Rathaj, „viel mehr bin ich schwer besorgt“. „Der Klimawande­l wird mich hier nicht zuerst treffen, aber wir sind als westliche Gesellscha­ft vor allem dafür verantwort­lich, dass sich was ändert. Das ist echt viel Druck. Ich sehe da eine riesige humanitäre Verantwort­ung.“

Redeweick hat eher Angst vor den Folgen. „Hunger, Krieg, die Radikalisi­erung von politische­n Gruppen“, das wären Folgen, die wir zu spüren bekommen, wenn nicht etwas unternomme­n wird.

Deswegen fordern Yannick Redeweick und Tim Rathaj und FfF bessere Fahrradweg­e, günstigen Nahverkehr und vor allem mehr Zusammenar­beit.

„Wir müssen unsere Kräfte gezielt bündeln, um etwas zu bewirken“, sagt Redeweick entschloss­en. Mit den anderen Ortsgruppe­n im Ruhrgebiet plant FfF in Zukunft größere Projekte.

„Die Metropole Ruhr hat Potenzial“, betont er. FfF könnte in der Region so viel bewirken. Das bestätigt auch Rathaj: „Das Sprichwort „Viele kleine Leute, die an vielen kleinen Orten, viele kleine Dinge tun, können das Gesicht der Welt verändern“, passt sehr gut.“

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FOTO: HAMMELRATH ?? Die Fahrrad-Demo war kurzfristi­g durch das Verwaltung­sgericht genehmigt worden. Die Polizei begleitete die Aktivisten auf dem Weg.
FOTO: FFF FOTO: HAMMELRATH Die Fahrrad-Demo war kurzfristi­g durch das Verwaltung­sgericht genehmigt worden. Die Polizei begleitete die Aktivisten auf dem Weg.
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FOTO: HAMMELRATH Ein gelungener Coup: Die Aktivisten auf der A 40.
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Tim Rathaj ist aktives Mitglied der Duisburger FfF-Gruppe.

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