Rheinische Post Duisburg

Hygiene gegen Bakteriena­ngst

- VON HARALD KÜST

Chirurgen und Friseure haben im Barbierhan­dwerk gemeinsame Wurzel. Um 1900 ging die Bakteriena­ngst auch in Duisburg um. Ein weißer Kittel stand für Hygiene, Reinheit und Vertrauen.

„Um 1900 trugen Ärzte und Friseure weiße Kittel – ein Sinnbild der Hygienebew­egung“, so Medizinhis­toriker. Die Entdeckung des „Bakterienj­ägers“Robert Koch markierte den Übergang in das Zeitalter der Antisepsis. Aber der Weg war lang. Selbst der umstritten­e Chirurg Sauerbruch operierte ohne Handschuhe und OP-Maske. Infektions­angst traf zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts auch verunsiche­rte Kunden der Friseursal­ons. Einige brachten vorsichtsh­alber ihre eigenen Kämme und Haarbürste­n mit. Kein Wunder, dass das Friseurhan­dwerk großen Wert auf Einhaltung der Hygienesta­ndards legte.

Was heute nahezu vergessen ist: Chirurgie und Friseure weisen gemeinsame Wurzeln auf. Bader und Barbiere betrieben Körperpfle­ge und sicherten die medizinisc­he Grundverso­rgung bis in die Frühe Neuzeit. Die spezialisi­erten Wundärzte boten nach einer Barbierleh­re medizinisc­he Dienstleis­tungen an. Sie fixierten Knochenbrü­che, amputierte­n Gliedmaßen, schnitten Nierenoder Blasenstei­ne heraus, behoben einen Bruch oder entfernten den Star aus dem Auge. Handwerkli­chen Wundärzte wie Wilhelm Fabry erlangten mit ihren Operations­künsten im 16. Jahrhunder­t überregion­al Ruhm und Anerkennun­g. Die Infektions­prävention steckte noch in den Kinderschu­hen. Bakterien und Viren waren unbekannt. Allerdings wussten Wundärzte, dass Heilpflanz­en und Heilkräute­r adstringie­rende, vernarbend­e und wundheilen­de Eigenschaf­ten aufweisen.

Der akademisch ausgebilde­te Arzt war dagegen in der Frühen Neuzeit ausschließ­lich für die Innere Medizin zuständig und nahm keine chirurgisc­hen Eingriffe vor. Das galt noch im 17. und 18. Jahrhunder­t. Mit der Intensivie­rung der anatomisch­en Forschunge­n begannen sich die Professore­n der Alten Universitä­t Duisburg zusehends für die lange Zeit verpönte Chirurgie zu interessie­ren.

Fortschrit­te in Narkose und Infektions­prävention trieben die wissenscha­ftliche Forschung im 19. Jahrhunder­t an. Seit Robert Koch die Erreger von Wundinfekt­ionen identifizi­ert hatte, fanden sterile Operations­methoden mehr Beachtung. Erst nach 1880 stand fest, dass die Erreger über Hände und Instrument­e

in eine Wunde gelangen.

Die Bedeutung der Hygiene wuchs. In dieser Zeit wurde die gesetzgebe­nde Obrigkeit aktiv: Das Aufgabenfe­ld der handwerkli­chen Wundärzte wurde sukzessive eingeschrä­nkt. Die Profession­alisierung der Chirurgie ging mit der Akademisie­rung einher. Barbiere und rein handwerkli­ch tätige Wundärzte wurden vor 150 Jahren zunehmend aus ihrem alten Arbeitsfel­d verdrängt. Ihnen blieb nur die Dienstleis­tung „Bartschere­n“und der schmale Bereich einfacher wundärztli­cher Behandlung­en. Aus diesem Anpassungs­druck entwickelt­e sich das moderne Friseurhan­dwerk, damals eine reine Männerdomä­ne.

Einige wenige Friseur- und Barbiermei­ster wurden noch als sogenannte Heilgehilf­en für die wundärztli­che Behandlung während des Ersten Weltkriege­s in den Feldlazare­tten gebraucht, spielten aber als „medizinisc­he Dienstleis­ter“keine große Rolle mehr. Das Friseurhan­dwerk erfuhr dagegen eine gesellscha­ftliche

Aufwertung. Besonders Frauen begannen, sich zu Friseurinn­en ausbilden zu lassen. Hygieneleh­re wurde Bestandtei­l der Ausbildung.

Neben den Damen- und Herrenschn­itten war das kunstvolle wilhelmini­sche Bartschere­n bei der männlichen Kundschaft gefragt. Das Einseifen mit dem Rasierpins­el, der vorher in kochendes Wasser desinfizie­rt wurde, war üblich. Waschen, Schamponie­ren und Trocknen der Haare und nicht zuletzt der weiße Kittel signalisie­rten ein hygienisch­es und antiseptis­ches Umfeld.

Auch heute schützen Rasierwass­er und Aftershave mit antiseptis­cher Wirkung Kunden und Friseur. Dass in den Praxen von Zahn- und Allgemeinm­edizinern und in Krankenhäu­sern Hygienevor­schriften zu beachten sind, ist jedem klar. Die Friseurbra­nche hat in Corona-Zeiten ein hohes Eigeninter­esse an der Einhaltung der hohen Hygienesta­ndards entwickelt. Das gilt auch für den Kunden - alles andere wäre schlecht.

IHR THEMA?

Darüber sollten wir mal berichten? Sagen Sie es uns!

 ?? BILD: WELLA-MUSEUM
DARMSTADT/REPRO:
KÜST ?? Heute gibt es strenge Auflagen. Hygienesta­ndards im Friseurhan­dwerk waren im 19. Jahrhunder­t weitgehend unbekannt. Das Bild „Beim Barbier“von K.J. Pipper entstand im Jahre 1856.
BILD: WELLA-MUSEUM DARMSTADT/REPRO: KÜST Heute gibt es strenge Auflagen. Hygienesta­ndards im Friseurhan­dwerk waren im 19. Jahrhunder­t weitgehend unbekannt. Das Bild „Beim Barbier“von K.J. Pipper entstand im Jahre 1856.

Newspapers in German

Newspapers from Germany