Rheinische Post Duisburg

Landrat Müller freut sich aufs Tauchen

- VON FRITZ SCHUBERT

Nach 24 Jahren in der Kreisverwa­ltung Wesel – davon 16 als Landrat – geht Ansgar Müller mit Ablauf des Oktobers in den Ruhestand.

KREIS WESEL Ansgar Müllers Tage als Landrat des Kreises Wesel sind gezählt. Vor fast genau einem Jahr hatte er sich entschiede­n, nicht wieder zu kandidiere­n. Jetzt liegt er auf der Zielgerade­n. Mit Ablauf des Oktobers endet die Amtszeit des 62-Jährigen mit SPD-Parteibuch, der am 1. November 1999 als Kreisdirek­tor installier­t worden war und seit 2004 als Landrat agiert. Über Langeweile kann sich der promoviert­e Jurist Müller an seinen letzten Arbeitstag­en nicht beklagen. Möchte er auch gar nicht, will er seinem Nachfolger Ingo Brohl (CDU) doch ein ordentlich geführtes und bestelltes Haus übergeben. Nette Worte gab es schon in der letzten Sitzung des alten Kreistags. Nun läuft das Finish rund um den Chefsessel. Höchste Zeit für einen Blick auf insgesamt 24 Jahre an den Schalthebe­ln im Kreishaus.

Kritiker haben Müller oft als einen Solisten bezeichnet. Die Selbsteins­chätzung des Landrats fällt anders aus. Um erfolgreic­h zu sein, brauche es kein Ich, sondern ein Wir, sagt der scheidende Verwaltung­schef im Abschiedsg­espräch mit unserer Redaktion. Wenngleich die originär beim Kreis angesiedel­ten Themen in der öffentlich­en Wahrnehmun­gen meist geringe Beachtung finden, weil das unmittelba­r kommunale Geschehen den Menschen näher ist, waren es abwechslun­gsreiche, mitunter turbulente Zeiten unter Müllers Ägide.

Richtungsw­eisende Entscheidu­ngen betrafen unter anderem die Zukunft der Berufsschu­len, die Gründung der Hafengesel­lschaft Delta-Port, die Teilprivat­isierung der Niag, den Verkauf der RWE-Aktien, und den Breitbanda­usbau. Mit dem sei man übrigens noch lange nicht am Ende, sagt Müller und verweist immer wieder darauf, dass viele mitgewirkt haben. Das entspreche auch seinem Verständni­s von Demokratie.

Wenn man Müller fragt, was ihn am meisten gefreut habe, dann sagt er, dass dies die Gespräche und Kontakte mit den Bürgern gewesen seien. Deshalb habe er eigens Formate wie Marktgespr­äche, Radtouren und Wanderunge­n eingeführt. „Das war wichtig für mich, weil es mich auch geerdet hat.“

Ein herausrage­ndes Ereignis, wenngleich in der Verantwort­ung des Bundes, war für ihn 2009 die Einweihung der neuen Rheinbrück­e in Wesel. 50 Jahre habe die Region darauf gewartet. Sie sei schön und funktional, außerdem ein Symbol für den Kreis und ein verbindend­es Element. Seitenhieb­e auf damalige Verspreche­r und Namensverw­echslungen Peter Ramsauers kann sich Müller dabei nicht verkneifen. Der Bundesverk­ehrsminist­er aus Bayern habe damals ein ähnlich schwaches Bild abgegeben, wie wir es heute auch erleben würden.

Fragt man Müller nach dem, was ihn am meisten geärgert habe, offenbart er indes den ausweichen­den Diplomaten. Er habe sich eigentlich wenig geärgert und möglichst wenig an sich herangelas­sen. Angesproch­en auf frühere Machtkämpf­e mit der CDU, der stärksten Kraft der Mehrheitsk­ooperation mit Grünen und FDP/VWG, gibt Müller Einblick in den kommunalpo­litischen Alltag: Bei Konstellat­ionen, in denen dem Verwaltung­schef eine politisch anders sortierte Mehrheit in Rat oder Kreistag gegenübers­tehe, würden kontrovers­e Diskussion­en auf offener Bühne ausgetrage­n. Sonst, also im Gleichklan­g von Verwaltung und Politik, gebe es diese Diskussion­en auch. Aber hinter verschloss­enen Türen.

Was ihn besonders berührt hat, war das große Engagement der Bevölkerun­g, als die vielen Flüchtling­e nach Deutschlan­d kamen, unterzubri­ngen und zu versorgen waren. Die verschiede­nsten Menschen hätten sich „bemerkensw­ert und herausrage­nd eingesetzt“. Ähnliches erlebte Müller im umgekehrte­n Fall, als beim Issel-Hochwasser in Hamminkeln Männer aus der nahen Flüchtling­sunterkunf­t zum Feuerwehrg­erätehaus kamen und ihre Hilfe beim Füllen der Sandsäcke anboten, um etwas von der selbst erfahrenen Hilfe zurückzuge­ben.

Ebenfalls berührend wertet Müller eine Begegnung samt Gespräch mit der Queen. Dies ergab sich beim Deutschlan­dbesuch der englischen Königin Elisabeth II. im Düsseldorf­er Landtag, wo der Kreis die Verbindung mit der County Durham, einer der ältesten deutsch-englischen Partnersch­aften, repräsenti­erte. Landrat und Monarchin sprachen über die Bergleute beider Länder als Initiatore­n der Freundscha­ft.

Staatstrag­end weiter geht es mit

Müllers Anspruch, auch etwas für die politische Bildung zu tun. So war er 2009 in die Bundesvers­ammlung entsandt, als es um die Wiederwahl von Horst Köhler ging. Dies wollte er nutzen, um im Vorfeld mit jungen Leute ins Gespräch zu kommen. 28 Schulen gingen auf das Angebot ein. Es folgten „total unterschie­dliche“Veranstalt­ungen. Von der Diskussion im kleinen Politikkur­s bis hin zum Auftritt vor 200 Leuten in der Aula. Müller ging es auch darum, so sagt er, mit Gegenposit­ionen für Reibungspu­nkte zu sorgen und so respektvol­len Umgang miteinande­r in einer Demokratie zu üben.

Der Jurist und Verwaltung­smann ist also auch ein politische­r Mensch. Das ist bei Leuten der geburtenst­arken Jahrgänge – Müller erblickte 1958 das Licht der Welt – nicht ungewöhnli­ch. Außerdem war sein Vater Oberkreisd­irektor (erst Kempen-Krefeld, dann Viersen) und in

der CDU. Der riet ihm für den Fall eines Parteieint­ritts: „Nimm die, an der dich am wenigsten stört.“Diesen Rat habe er befolgt und sei 1989 in die SPD eingetrete­n, sagt Ansgar Müller. Hundert Prozent Übereinsti­mmung sei nirgendwo zu erwarten. Also müsse man schauen, „wo es große Schnittmen­gen und wenige Störgefühl­e“gebe. In Frage kamen nur die beiden großen Volksparte­ien, weil sie die Interessen einer breiten Bevölkerun­g vertreten, nicht besondere. Ein überkommen­er Politiksti­l und die behäbige Art des CDU-Kanzlers Helmut Kohl, so Müller, habe ihn nicht angesproch­en.

Jetzt freut sich Ansgar Müller „auf einen neuen Lebensabsc­hnitt“. In dem steht mehr gemeinsame Zeit mit seiner Frau Regina im Vordergrun­d. Ämter strebt er nicht an. Wenn man ihn um seinen Rat fragen würde, dann würde er ihn gern geben. Von sich aus wolle er aber nicht aktiv werden. Über die Gestaltung der freien Zeit macht er sich keine Sorgen. Der leidenscha­ftliche Taucher Müller hat ein Faible für Korallen-Gebiete und rund um den Globus noch viele Wunschziel­e im Programm. Die Malediven zum Beispiel. Und Mexiko. Allerdings ist an solche Reisen zu Zeiten der Corona-Pandemie nicht zu denken.

Aber trotz der bereits ausgiebig erkundeten Routen am Niederrhei­n ist der gleichfall­s begeistert­e Radfahrer Müller sicher, von seinem Heim in Wesel-Flüren aus noch viele unbekannte Strecken der Region in Angriff nehmen zu können. „Es gibt immer noch etwas Neues zu entdecken“, sagt er.

Es ist ihm zu gönnen.

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RP-FOTO: SCHUBERT Ansgar Müller, scheidende­r Landrat des Kreises Wesel, arbeitet in diesen Tagen seinen Schreibtis­ch leer. 16 Jahre lang war er der Chef im Kreishaus, nun geht er in den Ruhestand.
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RP-FOTOS (2): MALZ Die Verwaltung­sspitze am 1. Oktober 1999: Hans-Joachim Berg, Herbert Szidzik, Birgit Amend-Glantschni­g, Ansgar Müller, Helmut Schult (v.l.)
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Ansgar Müller als junger Kreisdirek­tor am 21. Januar 1997

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