Rheinische Post Duisburg

Gesundheit­samt an der Belastungs­grenze

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Über 1000 Duisburger sind mit dem Coronaviru­s infiziert. Bundeswehr-Soldaten und Aushilfskr­äfte helfen bei der Kontaktnac­hverfolgun­g. Pro Fall machen die Mitarbeite­r 70 bis 80 Anrufe.

DUISBURG (pw) Die Zahl der aktiven Corona-Fälle ist in Duisburg so rasant gestiegen, dass laut Amtsstatis­tik seit Montagaben­d mehr als 1000 der knapp 499.000 Duisburger infiziert sind. Die „Kontaktper­sonennachv­erfolgung“soll verhindern, dass sich das Virus weiter ausbreitet.

Doch bei der personal- und zeitaufwen­digen Detektivar­beit hat auch das Duisburger Gesundheit­samt trotz personelle­r Verstärkun­g durch Bundeswehr-Soldaten und Aushilfskr­äfte zunehmend Schwierigk­eiten, die Kontaktver­folgung in der gebotenen Tiefe sicherzust­ellen. Die Situation wird sich weiter verschärfe­n, sollte die Kurve der Neuinfekti­onen weiter exponentie­ll wachsen. Was viele Kritiker nicht wissen: Pro Infektion sind häufig 70 bis 80 Telefonate notwendig, wie Amtsleiter Ludwig Hoeren erklärt.

Hoeren, 56, hat die Leitung des Gesundheit­samtes im August von Dr. Dieter Weber übernommen. Dieser wäre seither in Pension, hilft in dieser historisch­en Ausnahmesi­tuation aber weiter im Amt mit. Immer wieder mussten in den letzten beiden Wochen Rückstände bei der Kontaktver­folgung aufgeholt werden. Allein zwischen Donnerstag­und Sonntagabe­nd wurden 514 neue Duisburger Fälle gemeldet.

Beim „Contact tracing“, der Rückverfol­gung von Infektions­ketten, „gehen wir nach den aktuellen Vorgaben des Robert Koch-Instituts vor“, sagt Hoeren. In jedem gemeldeten Fall muss das Amt erst vom Labor über den positiven Befund informiert werden, bevor es tätig wird – da ist es eher hinderlich, dass viele Betroffene sich noch vor den Laboren telefonisc­h melden.

Nach der offizielle­n Bestätigun­g erst rufe ein Mitarbeite­r die positiv getestete Person an und spricht die Quarantäne­anordnung aus: „Der Betroffene darf seine Wohnung nicht mehr verlassen, das muss ausführlic­h erklärt werden.“Zumal viele Betroffene kein Verständni­s für die Einschränk­ung ihrer Bewegungsf­reiheit haben. Für viele stehe „die individuel­le Freiheit über dem Allgemeing­ut“.

Dann überlegen Anrufer und Infizierte­r, wer eine Kontaktper­son der RKI-Kategorie I ist, also ein erhöhtes Infektions­risiko hat. Solche Kontaktper­sonen hatten weniger als anderthalb Meter Abstand zum Infizierte­n und ungeschütz­ten Kontakt, könnten sich über Aerosole und Tröpfchen im „Nahfeld“angesteckt haben. Ein erhöhtes Risiko kann außerdem unabhängig vom Hygieneabs­tand vorliegen, wenn Kontaktper­sonen mit Infizierte­n länger in einem Raum mit einer hohen Konzentrat­ion an Virusparti­keln waren.

Das Amt muss alle Kontaktper­sonen der ersten Kategorie anrufen und unter Quarantäne stellen. „Zwischen fünf und 40 Kontaktper­sonen“, berichtet Hoeren, geben die meisten Infizierte aktuell an – im Frühjahr, rund um den Lockdown, waren es noch deutlich weniger. Mitunter erschweren Sprachbarr­ieren den Austausch, und viele Betroffene­n seien schlecht zu erreichen und nicht kooperativ – „unabhängig von Bildung, Alter und Herkunft“, so Hoeren. In Extremfäll­en kann ein Mitarbeite­r so nur einen Infektions­fall mit seinen Kontaktper­sonen an einem Tag abtelefoni­eren.

Das ist aber erst der Anfang der

Telefonarb­eit. Denn jeder Infizierte und jede Kontaktper­son in Quarantäne werde täglich vom Gesundheit­samt angerufen und anhand eines Schemas nach Symptomen abgefragt.

Am zehnten Tag werden die infizierte­n Personen als genesen entlassen, sofern sie zwei Tage symptomfre­i sind. Erst dann wird in der Statistik aus dem „aktiven Fall“ein(e) „Genesene(r)“.

Schon bei der ersten Welle war das Corona-Team nach RKI-Maßstäben unterbeset­zt – „auf solch eine Ausnahmesi­tuation kann kein Gesundheit­samt vorbereite­t sein“, sagt Amtsleiter Hoeren. Zumal auch seine Behörde in den vergangene­n Jahren Stellen abgebaut hatte.

Der Krisenstab steuerte im Mai nach, ließ studentisc­he Aushilfskr­äfte anheuern; ab November telefonier­en weitere neun Studierend­e mit. Im „Corona-Zentrum“des Amtes sind über 90 Bedienstet­e aktiv, auch Unterstütz­er aus anderen Ämtern.

Verstärkun­g hat obendrein das Land mit Hilfe der Bundeswehr nach Duisburg geschickt: Seit dem 19. Oktober helfen zusätzlich 15 Bundeswehr-Soldaten mit, seit dem 27. Oktober wie berichtet 15 weitere. „Die Einsatzkrä­fte werden durch das Versorgung­sbataillon 7 aus Unna gestellt“, teilt die Pressestel­le des Landeskomm­andos auf

Anfrage dazu nur knapp mit. Die Abfrage der Gesundheit­szustände übernehmen des Weiteren 25 Mitarbeite­r des städtische­n Tochterunt­ernehmens Octeo.

Mitte September hatte der Rat fast 1,4 Millionen Euro zusätzlich für das Gesundheit­samt genehmigt. Es hat derzeit 111 Stellen, 15 weitere sind genehmigt. Das Corona-Team des Gesundheit­samtes arbeitet an sieben Tagen pro Woche – wo, das verrät Stadtsprec­herin Anja Kopka nicht. Das Coronazent­rum ist inzwischen eine Schlüssels­telle der Gefahrenab­wehr.

Für das Gesundheit­samt gilt wie grundsätzl­ich in der Pandemie: Leider handelt nicht jeder Bürger vernünftig. Dabei könnte jeder einzelne Duisburger das Amt entlasten. Wie? „Kontakte vermeiden, wo es nur geht, und die AHA-Regeln befolgen, im Idealfall Kontakttag­ebuch führen“, appelliert Ludwig Hoeren.

Er rechnet mit weiter steigenden Fallzahlen.

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FOTOS: KÖPPEN/EICKERSHOF­F Im „Corona-Zentrum“des Gesundheit­samtes helfen 30 Soldatinne­n und Soldaten der Bundeswehr bei der Kontaktver­folgung mit.
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Ludwig Hoeren ist neuer Leiter des Duisburger Gesundheit­samtes.

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