Menschwerdung im Tanzhaus NRW
DÜSSELDORF Im Wald von Hösel fanden die letzten Proben statt. Ben J. Riepe musste auf freier Fläche coronabedingte Veränderungen an seiner neuen Produktion vornehmen. „Geschöpfe“nennt der in Düsseldorf beheimatete Choreograf seine „transmediale Oper“, die in zwei Stunden von der Entstehung der Menschenwelt bis zur Jetztzeit führt. Ein gewaltiges Unterfangen, erst recht in dieser auch für die Bühnenkunst schweren Zeit.
Bei der Premiere im Tanzhaus NRW zeigte sich, dass Riepes Performance
trotz der erzwungenen Pandemie-Anpassung ein mitreißendes Erlebnis ist. Im schummrigen Licht einer Götterdämmerung agieren sechs Tänzer und Tänzerinnen, dazu zwei Musiker. Sie suchen ihren Platz in der Natur, verändern diese dann nach eigenem Belieben. Als Hohepriester des Menschengeschlechts, das sich die Erde unterwirft und herausfordernd-frech zum Himmel blickt, zelebrieren sie ihre Dionysien, feiern ihr Bacchanal, bis die Erschöpfung sie wieder zu Winzlingen degradiert.
Hierzu passend erscheinen sie zunächst asiatisch-streng gewandet in weißen Hemden und langen Röcken, um dann ekstatisch ihren nackten Körpern zu huldigen. Aus Modepuppen wollen sie, Frankenstein gleich, lebendige Menschen erschaffen. Ihren Atem orchestrieren sie von erwartungsvollem Hecheln über lustvolles Stöhnen bis hin zu den Schmerzwehen eines Kreißsaals. Unterbrochen wird die archaische Menschheitsschau durch pfiffig-saloppe Überlegungen zu einem ökologisch korrekten Lebenswandel. Staunen darf man auch über eine romantische Vertonung von Eichendorffs „In einem kühlen Grunde“.