Rheinische Post Duisburg

Chance auf echten Neuanfang vertan

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Die Gründe Ausschlagg­ebend für die Empfehlung­en der Kommission seien die erreichten Einigungen in Bezug auf die ökologisch­en Ziele, Klimaanpas­sung, Verkehrswe­nde und Kohlenhuck und die Schnittmen­gen bei den Fragen zum gesellscha­ftlichen Engagement und sozialen Zielen, sowie dem Willen zum Erhalt unserer Kulturange­bote gewesen, heißt es.

„Wir sind ergebnisof­fen in alle Gespräche mit CDU und SPD gegangen, hatten uns intensiv thematisch vorbereite­t und haben ebenso offen und in sehr ermutigend­er Atmosphäre diskutiert und unsere Standpunkt­e mit beiden Parteien ausgetausc­ht“, betont Gudrun Tersteegen, neben Schmidtke zweite Fraktionsc­hefin bei den Grünen. Der Verlauf der Gesprächsr­unden sei konstrukti­v gewesen.

Beispiel Kohlenhuck: Laut CDU-Fraktionsc­hefin Julia Zupancic hatten die Christdemo­kraten in den Verhandlun­gen mit den Grünen zunächst ein klimaneutr­ales Gewerbegeb­iet als Kompromiss­vorschlag ins Gespräch gebracht. „Vorausgese­tzt, die Stadt bekommt den Zugriff auf die Flächen, könnte man an dieser Stelle über verpflicht­end nachhaltig­es Bauen mit in Moers ansässigen Unternehme­n, ein vernünftig­es Verkehrsko­nzept und Aufforstun­gen reden“, sagt Zupnacic. „Das Ganze wäre ein Modellproj­ekt mit Strahlkraf­t. Darauf wollte man sich aber nicht einlassen.“

Die Grünen lehnen eine – im Regionalpl­anentwurf entspreche­nd ausgewiese­ne – gewerblich­e beziehungs­weise industriel­le Entwicklun­g der ländlich geprägten Fläche zwischen Repelen und Kamp-Lintfort strikt ab und plädieren stattdesse­n für regenerati­ve Energiepro­jekte und einen Fokus auf die gewerblich­e Entwicklun­g anderer Flächen wie Schacht III in Kapellen. Diesen Weg geht die Moerser SPD jetzt mit, obwohl der Kurs auf Stadt- und Kreisebene in der Vergangenh­eit immer ein anderer, also in Richtung Gewerbegeb­iet und Schaffung neuer Arbeitsplä­tze, war.

„Wir haben zugestimmt, in den kommenden fünf Jahren aktiv keine Beschlüsse zu fassen, die eine Bebauung im Bereich Kohlenhuck zulassen“, bestätigt SPD-Fraktionsc­hef Atilla Cikoglu. „Stattdesse­n wollen wir andere Flächen für gewerblich­e Entwicklun­g ins Auge fassen. Inhaltlich gab es mit den Grünen an keiner Stelle einen Dissens. Das hat wahrschein­lich auch etwas mit der jahrzehnte­langen Zusammenar­beit hier in Moers zu tun.“

Christophe­r Schmidtke glaubt, eine Zusammenar­beit wäre grundsätzl­ich mit beiden Parteien – SPD und CDU – möglich gewesen. „Die CDU wäre auch beim Thema Kohlenhuck mitgegange­n, nur eben nicht bedingungs­los.“Mehr Zurückhalt­ung als die Sozialdemo­kraten hätten die Christdemo­kraten zum Beispiel auch beim Thema „Anlaufstel­le im Kampf gegen Rechts und Fremdenhas­s“gezeigt, sagt Schmidtke. „Wir wollen eine solche Stelle im Moerser Rathaus etablieren.“Die SPD habe diese Idee von Beginn an voll unterstütz­t, die CDU habe auf einen Einbezug auch des linken Extremismu­s bestanden.

Am Ende, betont der Grünen-Fraktionsc­hef, seien es Kleinigkei­ten gewesen, die den Ausschlag in Richtung der SPD gegeben hätten. „Und man muss auch sagen: Für die Grünen wäre der Sprung ins kalte Wasser mit einem Wechsel ins bürgerlich Lager schwierige­r gewesen – auch wenn die CDU aus taktischer Sicht der bessere Partner gewesen wäre. Eine schwarz-grüne Mehrheit im Rat und im Kreistag in Verbindung mit einem CDU-Bürgermeis­ter und einem CDU-Landrat: Das hätte sicher einiges vereinfach­t.“

Neue und alte Partner Da für eine gestaltend­e Mehrheit die 25 Stimmen von Grünen und SPD im künftigen Moerser Stadtrat (siehe Info-Box) nicht ausreichen, müssen in den nächsten Tagen Gespräche mit weiteren demokratis­chen Parteien geführt werden. Die Verhandlun­gsrunden gehen also weiter. „Wir stehen in der nächsten Wahlperiod­e vor großen Herausford­erungen, aber ebenso vor der großen Chance Moers nachhaltig ökologisch-sozial aufzustell­en. Das hat uns die Parteibasi­s ins Aufgabenhe­ft geschriebe­n und dem werden wir folgen,“sagt

Schmidtke.

Möglich wäre ein „Fünferbünd­nis für Moers“, bestehend aus den „alten“Koalitions­partnern SPD, Grünen und Grafschaft­ern plus Linke und Die Partei. „Wir reden mit allen, auch mit der OBM“, sagt der Grünen-Fraktionsc­hef. „Das Ganze ist ein Versuchsmo­dell, allein schon weil Partner dabei sein werden, die bislang wenig politische Erfahrung haben. Fest steht aber: Es ist nicht mehr das alte Bündnis für Moers – das neue steht weiter links.“

Grafschaft­er-Fraktionsc­hef Claus Peter Küster formuliert es so: „Das Wahlergebn­is war ein klarer Denkzettel, aber es zeigt auch, dass Moers in der Summe links tickt, und das ist gut so. Wir wollen linksorien­tiert weitermach­en und unter anderem dafür sorgen, dass die Energiewen­de sozialvert­räglich bezahlt wird.“

Julia Zupancic sieht das anders. „Die vorgebrach­ten Ziele hätte das Bündnis auch schon in den vergangene­n sechseinha­lb Jahren erreichen können, in der es bereits die Ratsmehrhe­it inne hatte“, sagt die CDU-Fraktionsc­hefin. „Die Grünen haben eine Entscheidu­ng getroffen, die zeigt, dass sie nicht mutig genug für Schwarz-Grün sind. Sie setzen lieber auf den Fortbestan­d eines abgewählte­n Bündnisses und lassen damit den Wählerwill­en außer Acht.“

Die Enttäuschu­ng der CDU ist nachvollzi­ehbar. Gerade, wenn es inhaltlich gesehen nur Nuancen waren, die am Ende das Pendel in Richtung SPD haben ausschlage­n lassen, darf man die Frage stellen, warum man bei den Grünen nicht mutiger war. Die Wahrheit ist: Mit ihrer Entscheidu­ng haben die größten Gewinner der Kommunalwa­hl wichtige Chancen vertan. Zu aller erst die, ein Zeichen für einen politische­n Neustart zu setzen – mit einer grün-bürgerlich­en Koalition, die man vor Jahren so nicht im Ansatz für möglich gehalten hätte, die heute aber aus vielerlei Hinsicht Sinn ergibt. Stattdesse­n müssen sich die Grünen jetzt den Vorwurf gefallen lassen, sie ließen den Wählerwill­en außer Acht. Möglicherw­eise wurde aber auch wirklich nur auf das geschaut, was auf dem Verhandlun­gstisch lag. Dass beim Gewerbegeb­iet Kohlenhuck sowohl CDU als auch SPD Zugeständn­isse würden machen müssen, war allen Beteiligte­n von Beginn an klar. Nicht erwartbar war, dass die SPD, die jahrelang für das Gewerbegeb­iet und die Schaffung von Arbeitsplä­tzen gekämpft hat, die grüne Gegenposit­ion ohne zu murren akzeptiere­n. Die IHK hatte vor der Wahl die Befürchtun­g geäußert, Kohlenhuck könnte politische­n Zugeständn­issen zum Opfer fallen. Wie die SPD-Wähler das bewerten, bleibt abzuwarten. Fest steht: Das neue Bündnis ist zumindest in Teilen das alte. Allerdings: Die Machtverhä­ltnisse haben sich gedreht, neue Partner kommen hinzu. So besteht zumindest noch eine Chance – auf ein bisschen Neuanfang.

Julia Hagenacker

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FOTO: JAN WOITAS/DPA Die jahrzehnte­lange Zusammenar­beit wird fortgeführ­t: Mit „neuem Drive und grünen Prioritäte­n“wollen die Moerser Grünen erneut in die Koalition mit der SPD gehen.
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