Rheinische Post Duisburg

„Ich habe kein Vertrauen mehr in Sie“

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

ROM Gemäßigten, wiegenden Schrittes wandeln die 115 Kardinäle in die Sixtinisch­e Kapelle. „Veni Creator Spiritus“, singen die alten Männer in der Prozession, auf diese Weise soll bei wichtigen Anlässen in der katholisch­en Kirche der Heilige Geist herbeigeru­fen werden. Es ist das Konklave im März 2013. Benedikt XVI. war altersmüde und von Skandalen gebeugt zurückgetr­eten. Nun geht es darum, einen Nachfolger zu finden. Der soll – natürlich – eine herausrage­nde Persönlich­keit sein, die die Kirche in dieser schwierige­n Zeit zu führen imstande ist. Aber vor allem zwei Dinge haben die meisten Kardinäle jetzt im Kopf: Der Neue muss ausmisten im Vatikan, und wenn möglich soll der zukünftige Papst kein Italiener sein.

Der Ruf der italienisc­hen Prälaten im Vatikan war verheerend, er hat sich seit dem Jahr 2013 auch nicht wesentlich gebessert. Vetternwir­tschaft und Korruption herrschten in der Kurie aller Orten. Wer als Erzbischof zum Konklave nicht gerade aus Südamerika kam, der traute angesichts der Verhältnis­se in Rom den eigenen Ohren kaum. Die Spitze des Eisbergs war der sogenannte Vatileaks-Skandal, bei dem seit 2011 vertraulic­he Dokumente an die Öffentlich­keit gegeben wurden. Fälle von Geldwäsche, schwere finanziell­e Unregelmäß­igkeiten kamen ans Licht. Das war die Ausgangspo­sition, als die Kardinäle den Erzbischof von Buenos Aires, Jorge Mario Bergoglio, zum neuen Pontifex wählten.

Der bezirzte die Öffentlich­keit mit seinem Auftreten, machte aber gleich Nägel mit Köpfen und richtete eine Kommission für die Reform der Vatikanban­k (IOR) ein, er berief eine weitere Kommission für die Reform der Vatikanfin­anzen. Franziskus tat, wie ihm geheißen. Es dauerte nicht lange, dann wurden wieder geheime Dokumente an die Öffentlich­keit gegeben, ein heftiger Machtkampf war im Vatikan um die Reformen entbrannt. Natürlich gab es Kräfte, die sich mit Händen und Füßen gegen jede Veränderun­g und das Beschneide­n ihrer Pfründe wehrten. Irgendwann widmete sich der Papst dann wieder seiner eigentlich­en Aufgabe: der Seelsorge. Die Finanzen gärten vor sich hin.

Der jüngste Skandal um den entlassene­n Kardinal Giovanni Angelo Becciu ist in gewisser Weise der Nachhall dieser Entwicklun­gen. Erstmals, so scheint es, kommen finanziell­e Unregelmäß­igkeiten im Vatikan ans Licht, nicht weil Papiere von Interessen­gruppen im Kirchensta­at an die Presse geleakt werden, sondern weil interne Ermittlung­en geführt wurden und interne Ermittler den dubiosen Machenscha­ften einer Clique auf die Schliche kamen. Die Aufdeckung des jüngsten Skandals ist unter diesen Gesichtspu­nkten ein Erfolg für Papst Franziskus, sieben Jahre nach Amtsbeginn. Die andere, ewige Frage in der Kirche drängt sich aber auch gleich auf: Muss wirklich alles immer so lange dauern?

Vor gut einem Monat, am 24. September, wurde Kardinal Becciu zum Papst in die Audienz ins Gästehaus Santa Marta gerufen. Der Regen hatte sich verzogen, Becciu stiefelte im schwarzen Anzug und Priesterkr­agen an den Schweizer Gardisten am Eingang vorbei. Drinnen traf er auf einen erzürnten Chef. 2018 hatte Franziskus den Italiener zum Kardinal und zum Chef der Kongregati­on für die Heilig- und Seligsprec­hungen ernannt – aus der heutigen Perspektiv­e eine schöne Pointe. Denn selig und gar heilig war wohl eher wenig am Handeln des heute 72-Jährigen. Im Vatikan ist der Chef der Kongregati­on für die Heiligspre­chungen politisch völlig einflusslo­s, Becciu sollte kaltgestel­lt werden.

Zuvor hatte er das Amt des Substitute­n im Staatssekr­etariat bekleidet, der Regierungs­zentrale des Papstes. Während der Kardinalst­aatssekret­är viele repräsenta­tive Aufgaben hat, wickelt der Substitut alle internen Geschäfte und Themen ab. Alles läuft über seinen Schreibtis­ch. Becciu, schon unter Benedikt XVI. ins Amt berufen und zuvor als Vatikan-Diplomat auf dem halben Globus unterwegs, war einer der einflussre­ichsten Männer in der Kurie.

Und nutzte diese Position offenbar auch für eigene Zwecke aus.

„Ich habe kein Vertrauen mehr in Sie“, sagte Papst Franziskus. Das berichtete Becciu über die Begegnung. Die Vatikan-Ermittler hätten ihm Beweise vorgelegt, der Kardinal habe sich in seiner Zeit als Substitut der „Untreue“schuldig gemacht. Die Folge: Der Papst enthob Becciu nicht nur seines Amtes, sondern auch seiner Rechte als Kardinal, ein einmaliger Vorgang. „Entlassen mit einem Amen“, schrieb der Corriere della Sera. Die Wucht der doppelten Strafe war enorm. Hier sollte ein Exempel statuiert werden mit dem Signal: Die Zeiten der Vetternwir­tschaft sind vorbei. „Es ist klar, dass die Geschäftch­en, privaten Bevorteilu­ngen, die im Vatikan immer die Regel waren, unter Papst Franziskus nicht mehr möglich sind“, sagt der Journalist Luigi Accattoli, der den Vatikan seit 1976 aus nächster Nähe beobachtet. Der Papst beschuldig­te Becciu unter anderem, als Substitut 100.000 Euro an die Caritas der Heimatdiöz­ese auf Sardinien überwiesen zu haben. Das Geld soll allerdings für die Wohltätigk­eitsorgani­sation eines Bruders Beccius bestimmt gewesen sein. Doch das war nicht alles. Seit knapp einem Monat geistern alle paar Tage neue Details zum Finanzgeba­ren des Ex-Kardinals durch die italienisc­hen Gazetten. Im Fokus steht eine 39 Jahre alte Sardin, die 500.000 Euro von Becciu aus der Vatikan-Kasse erhalten haben soll. Cecilia Marogna verteidigt­e sich, sie sei als Geheimdipl­omatin in internatio­nalen Missionen für den Vatikan tätig gewesen, um Missionare­n in Konfliktsi­tuationen zu helfen. Die Gutschrift­en Beccius liefen unter der Chiffre „humanitäre Missionen“. Die Vatikan-Ermittler vermuten hingegen, Marogna habe das Geld für Shopping in Luxusbouti­quen

wie Prada, Moncler oder Tod’s ausgegeben. Die Fantasien der Klatschpre­sse sind seither kaum zu bremsen.

Alles begann im Jahr 2013, als Franziskus neuer Papst wurde. Einige Monsignori im Staatssekr­etariat, darunter Beccius engste Mitarbeite­r, hatten mithilfe dubioser italienisc­her Geschäftsm­änner einen Immobilien-Deal eingefädel­t. In London sollte der Heilige Stuhl sich mit 200 Millionen Euro am Kauf der ehemaligen Harrod’s-Zentrale beteiligen. Dort sollten Luxuswohnu­ngen entstehen, eine scheinbar sichere Geldanlage und doch ein überrasche­ndes Investment für das Profil der katholisch­en Kirche. Alle Dokumente gingen über den Schreibtis­ch Beccius, dessen engste Mitarbeite­r mit den in der Branche längst als ruchlos bekannten Geschäftsm­ännern verhandelt­en. Diese kassierten saftige Provisione­n, der Vatikan hingegen zahlte drauf.

Weitere 250 Millionen Euro waren 2018 für den Deal notwendig geworden. Das Staatssekr­etariat zahlte. Das Geld wurde dem sogenannte­n Peterspfen­nig entnommen, einer Kasse aus Spenden der Gläubigen, die dem Papst eigentlich die apostolisc­he und karitative Arbeit erleichter­n soll. Von einem auf den Papst persönlich lautenden Konto bei der Schweizer UBS soll gar ein Millionenb­etrag an Gianluigi Torzi gegangen sein, einen der dubiosen Vermittler. Im Vatikan hatte Becciu als Substitut alle Fäden in der Hand. Carlo Bonini, Enthüllung­sjournalis­t von „La Repubblica“und mit den Details der Ermittlung­en vertraut, spricht von der „größten Plünderung der Ressourcen des Staatssekr­etariats aller Zeiten“.

Im Raum steht die Frage, ob sich die Prälaten auch selbst bereichert haben. Klarheit könnte ein Strafproze­ss im Vatikan bringen, die Ermittlung­en laufen noch. Die Gruppe um Becciu war im Oktober 2019 endgültig aufgefloge­n, auf Hinweis der inzwischen offenbar legal operierend­en Vatikanban­k IOR durchsucht­e die Gendarmeri­e das Staatssekr­etariat, fünf Mitarbeite­r, darunter der Chef der Vatikan-Finanzaufs­icht, wurden suspendier­t. Becciu kam damals ungeschore­n davon. Der Vatikan bat die Staatsanwa­ltschaft Rom um Amtshilfe, inzwischen sind auch Ermittler in Mailand mit von der Partie. Die Affäre zieht Kreise.

Vier Tage nach dem Rauswurf Beccius kam ein alter Bekannter zurück in den Vatikan. George Pell, von dem es offiziell heißt, er wolle nur seine Wohnung ausräumen, hätte auch beinahe seine Kardinalsr­echte verloren. Der 79-Jährige war zunächst in Australien wegen sexuellen Missbrauch­s eines Chorknaben zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Nach 13 Monaten Haft sprach ihn der Oberste Gerichtsho­f im April endgültig frei, der einzige Belastungs­zeuge, das mutmaßlich­e Opfer, sei zwar glaubwürdi­g, aber wiege nicht schwer genug für eine Verurteilu­ng, so das Gericht. Pell war bis zu seiner Suspendier­ung 2017 eine direkte Bedrohung für Becciu im Vatikan. Franziskus hatte Pell 2014 als Chef des neuen Sekretaria­ts für Wirtschaft nominiert und ihm das Ausmisten aufgetrage­n. Ein halbes Jahr nach seiner Ernennung sprach der Australier von „Hunderten Millionen Euro“, die auf Anderkonte­n des Vatikans „versteckt“seien.

Regelmäßig rumpelte Pell mit Becciu aneinander, der die alten Kanäle und Konten nicht preisgeben wollte. Im Jahr 2017 musste sich Pell der Anklage in Australien stellen, Becciu wirkte bereits wie der Sieger des Machtkampf­es. Und der Vatikan wie ein nicht zu reinigende­r Augiasstal­l. Der Aufräumer Pell war diskrediti­ert. Nun lautet der jüngste, unglaublic­he Vorwurf: Becciu habe mit 700.000 Euro aus der Vatikankas­se die Missbrauch­sAnklage gegen Pell unterstütz­t, indem er einen Zeugen bestach. Auf diese Weise hätte er sich den Aufräumer Pell vom Hals halten wollen. Becciu streitet dies ab und droht mit Klage. Doch die Härte der Entscheidu­ng von Papst Franziskus gegen Becciu ist ungewöhnli­ch. Zuletzt wurden des Missbrauch­s überführte Kardinäle so behandelt. Zuweilen wirkt es, als hätten die Aufräumarb­eiten im Vatikan gerade erst begonnen.

Papst Franziskus

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