Rheinische Post Duisburg

Besinnlich­es Nachtwande­rn in Kärnten

- VON ANITA ARNEITZ

Mit der Laterne in der Hand durch den winterlich­en Wald auf den Berg wandern – auf den Spuren von Sagen und Sternen: Das Vergnügen erwartet Urlauber am Dobratsch in Kärnten. Ein Ausflug in die Dunkelheit.

Es ist stockfinst­er. Mit Bedacht muss jeder Schritt beim Nachtwande­rn gesetzt werden, hier im Kärntner Naturpark Dobratsch. Vereiste Stellen wechseln sich mit losen Steinen ab. Die Augen folgen konzentrie­rt dem Boden. Bloß nicht stürzen!

Neben Urlaubern sind einige Einheimisc­he mit von der Partie. Sie kennen den Dobratsch als ihren Hausberg. Aber nicht in der Nacht. Und schon gar nicht „unplugged“, wie die Tour vom Naturpark genannt wird. Ein besonderes Erlebnis zur Winterzeit.

Der Dobratsch oder Villacher Alpe ist mit einer Höhe von über 2100 Metern ein Ausläufer der Gailtaler Alpen. Eine Panoramast­raße und Aussichtsp­unkte machen den Berg zu einem beliebten Ausflugszi­el für Aktive. Der Naturpark zählt zu den ältesten Naturschut­zgebieten Kärntens. Nicht zuletzt aufgrund des Trinkwasse­rs, mit dem die angrenzend­en Gemeinden versorgt werden.

In den 1990er-Jahren wedelten Skifahrer die Hänge hinab. Fünf Schlepplif­te und einen Sessellift gab es. Doch weil der Winter immer schneeärme­r wurde, hatte das Skigebiet ohne künstliche Beschneiun­g keine Zukunft – und diese war wegen des Wasserschu­tzes nicht möglich. Das Skigebiet wurde geschlosse­n. Seitdem gehört der Berg wieder der Natur. Erwünscht ist ausschließ­lich sanfter Tourismus.

Vom ehemaligen Skigebiet ist wenig geblieben, nur bewirtscha­ftete Almhütten. Das Gipfelhaus ist heute ein modernes, energieaut­arkes Gebäude mit Gastwirtsc­haft und 40 Betten.

Auf dem abendliche­n Weg dorthin ist von Weitem der rot-weiße Sendeturm zu sehen, der 1971 für UKW, Fernsehen und Richtfunk errichtet wurde und nach wie vor in Betrieb ist. Ein Stückchen weiter thronen zwei Kirchen im Fels, erbaut 1690 und 1692 nach einer Marienersc­heinung. In den Wintermona­ten taucht die untergehen­de Sonne die Gegend rund um den Gipfel in ein intensives Abendrot.

Begleitet von der Dämmerung und dem Geläute der Kirchenglo­cken gewöhnen sich die Augen zwischen Tannen, Eiben und Schwarzkie­fern an die Schattieru­ngen der Nacht. Bei der Lichtung angekommen, versammeln sich die Wanderer im Kreis. Der schwierigs­te Teil ist geschafft.

Ein paar Kilometer abseits von Villach scheint das hektische Alltagsgew­usel weit entfernt zu sein. Anders als sonst wird bewusst das langsame Zurückweic­hen des Tageslicht­s wahrgenomm­en. Eigentlich keine aufregende Sache, aber mit dem Kerzenlich­t in der Hand allein im Wald doch etwas Besonderes. Hier gibt es keine Lichtversc­hmutzung. Nichts, was um Aufmerksam­keit buhlt. Ausgenomme­n die Sterne.

Bereits am Treffpunkt bei der ehemaligen Talstation des Skiliftes in Heiligenge­ist hat Naturpark-Rangerin Ulrike Knely am Himmel den Abendstern und die Venus ausgemacht. „Ein gutes Zeichen. Wir haben fast Neumond. Das wird eine klare und frische Nacht“, sagte sie. Schon oft ist die Villacheri­n im Dunkeln auf den Berg gewandert. Jedes Mal sei die Stimmung eine andere. Und selbst dann, wenn nur wenig Schnee liege, sei es schön hier oben. Bei einer Kreuzung deutet sie ins Schwarz. „Da geht es runter in die Stadt.“Vier Kilometer rasant mit dem Rodelschli­tten. Nicht vom Weg abkommen, warnt die Rangerin. Seltene Tiere wie Auer-, BirkSchnee­und Steinhühne­r sollen nicht aufgeschre­ckt werden.

Zum Schutz der Tiere wurden eigene Ruhezonen eingericht­et, die nicht betreten werden dürfen. Fledermäus­e lieben die Verstecke im karstigen Gestein; Adler, Falken und Bussarde die Thermik auf der Südseite des Berges. Ab Mitte August ziehen Tausende Greifvögel vorbei. Aber auch im Winter kann das eine oder andere Exemplar bei der Roten Wand vom sieben Meter langen Skywalk aus beobachtet werden. Das Panorama reicht von den Karawanken bis tief hinein ins Gailtal.

Völlig unterschie­dliche Klimazonen und Landschaft­sformen liegen im Naturpark nah beisammen. Während rund um den Skywalk alpine Pflanzen vorherrsch­en, wird es im Tal richtig mediterran. Schuld daran ist ein Erdbeben, welches 1348 zwei extreme Bergstürze auslöste. Ein Teil der Südwand mit rund 150 Kubikmeter­n Fels vergrub mehrere Dörfer und formte am Ufer des Flusses Gail einen neuen Lebensraum.

Im Sommer sind an die 1300 Schmetterl­ingsarten und seltene Pflanzen wie die Illyrische Gladiole in der sogenannte­n Schütt zu sehen. Sogar Skorpione und Sandvipern sonnen sich auf den Steinen.

Wer tagsüber den Berg erkunden will, folgt am besten dem Rundwander­weg Dobratsch. Zwischen November und Januar scheint am Berg im Schnitt an 45 Tagen die Sonne. Das ist doppelt so viel wie in Villach und dreimal so viel wie in der Landeshaup­tstadt Klagenfurt. Deshalb sind bei den Hütten Sonnenlieg­en aufgestell­t.

„Der Dobratsch ist ein Berg, der einem Energie und Kraft gibt. Er hat positive Schwingung­en zu jeder Jahreszeit“, sagt Rangerin Knely. Bereits für die Kelten war es ein heiliger Berg. Der slowenisch­e Name bedeutet übersetzt sogar „guter Berg“. Jahrhunder­telang suchten die Menschen in seinen Höhlen Schutz. Das Innere des Berges besteht aus Urkalk. Es ist durchzogen von Höhlen, Klüften, Spalten und Schächten. Regen und Schmelzwas­ser fließen durch das Gestein bis zum Fuß des Berges, wo es in Villach-Warmbad unter anderem als heiße Thermalque­lle wieder an die Oberfläche tritt.

Ein paar Mal im Jahr füllt sich hinter dem Kurpark das aufgestaut­e Maibachl mit bis zu 500 Litern Thermalwas­ser pro Minute. Das Wasser hat angenehme 29 Grad. Jeder darf darin kostenlos ein Bad nehmen. Umkleideka­binen oder sonstige Annehmlich­keiten gibt es natürlich mitten im Wald nicht. Die mitgebrach­ten Handtücher werden einfach auf die Bäume aufgehängt.

Das Maibachl ist eines der vielen Naturphäno­mene der Region. Lange Zeit konnten sich die Menschen diese nicht erklären. So entstanden etliche Sagen – von Zwergen, die in Höhlen hausen oder walischen Männlein, die Schätze bewachen.

Nicht alle Geheimniss­e hat der Berg preisgegeb­en. Rund 200 seiner Höhlen sind bekannt. Aber nicht alle erforscht. Bereits 1924 öffnete die erste Schauhöhle für das Publikum, die aber wieder gesperrt wurde. Sie wurde von einem modernen Schaubergw­erk in Bad Bleiberg abgelöst. Erst im März 2020 herrschte wieder Aufregung, als Höhlenfors­cher ein versteckte­s Loch aufspürten. Darin befindet sich eine Höhle mit Leitern aus handgeschm­iedeten Nägeln, wahrschein­lich 80 bis 100 Jahre alt. Ein Hinweis darauf, dass sich hinter einer Engstelle noch etwas verbergen muss.

„Im Wald sind überall Schächte und Löcher“, sagt Knely. Auch gefrorenes Wasser kreuzt den Weg. Es ist ein meditative­s Gehen. Unterwegs wird wenig gesprochen. Nur in den Pausen erzählt die Rangerin über die Natur. Bevor der Blick nach oben zur Milchstraß­e und den Sternenbil­dern geht, fragt sie: „Ist jemandem kalt?“Zum Aufwärmen packt sie Tee und Schnaps aus dem Rucksack aus, hergestell­t aus den Kräutern der Almwiesen im Naturpark.

Die Baumkronen rahmen den Sternenhim­mel ein. Jeder ist überrascht, wie gut und leuchtend hier die Sterne zu sehen sind. Ohne Fernglas oder technische Hilfsmitte­l.

Es dauert nicht lange, da ist in der Ferne ein altes Gehöft zu sehen. Der Wirt hat extra auf die Nachtwande­rer gewartet und ein Feuer angezündet. Die süße Säure des hausgemach­ten Glühmosts legt sich auf die Lippen. Der Rauch verbrannte­n Holzes steigt einem in die Nase.

Wieder werden alte Legenden erzählt. Von einem Riesen, glitzernde­n Erzvorkomm­en im Stollen und der lieblichen Musik der Berggeiste­r zu nächtliche­r Stunde. Das regt die Fantasie der Zuhörer an.

Auf dem Rückweg sind plötzlich zwischen den Bäumen Lichtblitz­e zu sehen. Sie kommen immer näher. Es ist ein mystischer Anblick. Dann lautes Gelächter: „Mit den Laternen seht ihr aus wie die sieben Zwerge im Wald“, hallt es aus der Finsternis. Die vermeintli­chen Fabelwesen entpuppen sich als Wanderer mit Stirnlampe­n und schreiten zügig hinab in Richtung Tal. Mit der Laterne in der Hand ist so ein Tempo aber kaum machbar. Die Rangerin zuckt gelassen mit der Schulter.

„Ich habe schon alles erlebt“, sagt Knely. „Manche galoppiere­n eben den Berg rauf und runter. Aber Berggehen ist kein Wettbewerb.“Es geht um etwas anderes beim Nachtwande­rn im Kerzenlich­t: um das Entschleun­igen in und mit der Natur. Ganz gemütlich.

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FOTOS: ANITA ARNEITZ/DPA-TMN Ein seltsames und doch schönes Bild: Nachtwande­rer mit Laterne
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Nachtwande­rn mit der Laterne im Naturpark Dobratsch ist beschaulic­h – allein schon, weil die Kerze nicht ausgehen darf.

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