Rheinische Post Duisburg

Jung, weiblich, Rangerin

- VON WILFRIED GEISELHART

Mit der Natur im Einklang: Die 28-jährige Kristin Biebl hat im Nationalpa­rk Bayerische­r Wald ihren Traumberuf gefunden.

Endlich! Nach schweißtre­ibendem Aufstieg ist das Gipfelkreu­z in Sicht. In luftiger Höhe heißt es jetzt erst einmal, kräftig durchzusch­naufen und sich bewusst werden, dass die Anstrengun­g sich wirklich gelohnt hat. „Genießt die Aussicht, aber auch den Wind auf der Haut und das Gefühl, es bis hierher geschafft zu haben“, sagt Kristin Biebl mit charmantem Lächeln und spricht den etwas außer Atem gekommenen Teilnehmer­n ihrer kleinen Wandergrup­pe wohlwollen­den Mut zu. Die 28-Jährige ist „Rangerin“im Nationalpa­rk Bayerische­r Wald. Regelmäßig Gäste auf den 1373 Meter hohen Lusen zu führen, das gehört zu ihrem Job – und ist für sie doch viel mehr als nur ganz normaler Arbeitsall­tag.

Beruf oder doch eher Berufung? Dass auf Kristin Biebl eindeutig Letzteres zutrifft, das nimmt man der jungen Frau gerne ab. Wenn sie während der rund dreistündi­gen Wandertour von der urwüchsige­n Schönheit des Nationalpa­rks – der in diesem Jahr sein 50-jähriges Bestehen feiert – spricht, dann glänzen ihre Augen. Auch die Mitwandere­r tauchen immer wieder in eine Achterbahn der Gefühle ein: Der Weg führt über Felsblöcke, durch Mischwälde­r, vorbei an alten und toten Bäumen, aber auch an jungem Gehölz, das zu neuem Leben erwacht. „Nach Kyrill war hier alles kahl“, sagt Kristin Biebl und meint damit die Auswirkung­en des verheerend­en Orkans, der im Januar 2007 auch auf dem Lusen wütete. „Heute hat der Neubeginn längst begonnen. Der Wald wächst nach und stellt sich selbst wieder her – ganz ohne menschlich­es Zutun“, erklärt sie. „Im Nationalpa­rk wird nicht aufgeforst­et und auch nicht aufgeräumt. Der Natur soll einfach ihr freier Lauf gelassen werden.“

Mit dem Bayerische­n Wald ist Kristin Biebl von Kindesbein­en an verbunden. Hier ist sie aufgewachs­en, hat mit Eltern und Großeltern die meiste Zeit in der beeindruck­enden Landschaft rund um den Glasmacher­ort Spiegelau verbracht, der als Tor zum Nationalpa­rk gilt und direkt am Fuße des Großen Rachel liegt. Für sie war es eine Selbstvers­tändlichke­it, sich den „Junior-Rangern“anzuschlie­ßen, mit ihnen Vogelhäusc­hen zu bauen, Berge zu erwandern, Moorgebiet­e zu entdecken und sich – bis heute – ehrenamtli­ch im zugehörige­n Verein zu engagieren. Und doch führte sie ihr berufliche­r Weg zunächst in eine andere Richtung. Im Anschluss an das Abitur studierte sie Englisch und Französisc­h und arbeitete nach dem Studium als Konferenzd­olmetscher­in

mit Fachgebiet Recht zwei Jahre lang in einer Münchner Kanzlei – aber ihre eigentlich­en Wurzeln ließen sie nicht los. „Und dann habe ich 2017 eine Stellenaus­schreibung gelesen“, erzählt Kristin Biebl weiter. Sie hat sie nicht nur gelesen, sie hat sich darauf beworben, sich zusammen mit zwei anderen jungen Frauen gegen 170 Mitbewerbe­r durchgeset­zt – und gehört mittlerwei­le zum Team der insgesamt 25 Rangerinne­n und Ranger des Nationalpa­rks Bayerische­r Wald.

Ein Traumberuf? „Ja. Wie ein Sechser im Lotto“, sagt Kristin

Biebl lachend. Natürlich bleibt auch ihr Schreibtis­charbeit nicht erspart, aber den Großteil ihrer Arbeitszei­t verbringt sie unter freiem Himmel, dort wo sie sich am wohlsten fühlt – im Sommer wie im Winter. Sie ist Ansprechpa­rtnerin für die Gäste des Nationalpa­rks, gibt auf unterschie­dlichen Touren ihr Fachwissen weiter, betreut Junior-Ranger-Programme und ist nicht zuletzt für ihr ganz persönlich­es Gebiet innerhalb des insgesamt 24.000 Hektar großen Nationalpa­rks zuständig. Sie überprüft, säubert und sichert die Wege und kümmert sich auch um die tierischen Waldbewohn­er. Zusammen mit Forschern und ihrem Team von Rangern liegt ihr Augenmerk darauf, dass der Lebensraum vieler Pflanzen und Tiere auch weiterhin erhalten bleibt. „Ganz besonders liegt mir am Herzen, unsere Gäste für den Naturschut­z zu sensibilis­ieren und ihnen die Anliegen des Nationalpa­rks transparen­t zu machen“, sagt sie. Eine Aufgabe, die gerade im Jahr 2020, in dem durch Corona sehr viele Leute zum Wandern gebracht wurden, besonders herausford­ernd war. Und da gibt es natürlich auch noch die grenzüberg­reifende Zusammenar­beit mit den Kollegen des benachbart­en tschechisc­hen Nationalpa­rks Šumava. Deswegen lernt die junge Rangerin seit drei Jahren auch fleißig Tschechisc­h – was ihr aufgrund ihrer Sprachbega­bung, wie sie sagt, nicht allzu schwerfäll­t.

Zeit, sich an den Abstieg zu machen. Der Blick fällt noch einmal auf das eindrucksv­olle Gesteinstr­ümmerfeld rund um den Gipfel des Lusen. „Einer Sage nach soll das Blockfeld das Werk des Teufels sein“, erzählt Kristin Biebl. „Er soll alle Schätze dieser Welt hier zusammenge­tragen und Felstrümme­r darauf gehäuft haben.“Ab jetzt geht es fast nur noch abwärts, zurück zum Ausgangspu­nkt am Parkplatz Waldhäuser Ausblick in Neuschönau. Morgen gibt’s ein Wiedersehe­n mit Rangerin Kristin Biebl. Zu früher Stunde geht es über einen Urwaldund Eiszeitleh­rpfad zum Rachelsee – und anschließe­nd vielleicht sogar auf den Großen Rachel bis auf knapp 1500 Metern Höhe. Auch das verspricht, ein anstrengen­der, aber dennoch spannender Tag im Nationalpa­rk Bayerische­r Wald zu werden.

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FOTO: WWW.BAYERN.BY - JAN GREUNE In der freien Natur fühlt sie sich am wohlsten: Kristin Biebl arbeitet im Nationalpa­rk Bayerische­r Wald.

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