„Der Ort bestimmt nicht den Menschen“
Sie spielt Klavier, engagiert sich gegen Rassismus und Vorurteile gegenüber Kindern aus Problemvierteln. Jetzt erhält Zeynep Lorin aus Duisburg ein dreijähriges Schüler-Stipendium. Was treibt die Neuntklässlerin so an?
Das Treffen mit Zeynep Lorin findet an einem Nachmittag im Duisburger Landschaftspark statt. Hier verbringt die Schülerin gerne ihre Freizeit, schon als Kind hat sie den Park oft mit ihrer Familie besucht. Hier wirkt sie entspannt. Doch im Gespräch über ihre Motivation merkt man ihr an, dass ihr gerade politisches und soziales Engagement sehr am Herzen liegen.
Zeynep geht in die neunte Klasse des Elly-Heuss-Knapp-Gymnasiums in Marxloh. Über eine Bekannte, die selbst ehemalige Stipendiatin ist, hat sie von dem Programm der Start-Stiftung erfahren. „Danach habe ich die Entscheidung, mich zu bewerben, eigentlich ziemlich spontan getroffen“, sagt sie. Als eine von 39 Schülerinnen und Schülern aus Nordrhein-Westfalen hat sie es dann in die Auswahl geschafft.
In den kommenden drei Jahren kann Zeynep nicht nur vom Netzwerk der aktiven und ehemaligen Stipendiaten profitieren, es werden auch zahlreiche Seminare, Kurse und Bildungsreisen angeboten, die die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund auch dazu ermutigen sollen, eigene Projekte zu verwirklichen. Zusätzlich erhalten sie ein jährliches Bildungsgeld.
Einige der 183 Stipendiaten ihres Jahrgangs konnte Zeynep auch schon persönlich kennenlernen, das große Treffen mit allen Teilnehmern aus ganz Deutschland musste wegen Corona abgesagt werden. Doch trotz der Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung sollen auch in Zukunft Seminare angeboten werden.
Die Stipendiaten lernen dort zum Beispiel, wie sie eine gute Präsentation halten oder vor Publikum sprechen. Aber auch um politische Themen wie Rassismus, Sexismus, Wirtschaft oder Umweltschutz soll es gehen. „Es gibt auch Kooperationen mit Organisationen wie Fridays for Future“, sagt Zeynep.
Sie interessiert sich besonders für die Arbeit gegen Rassismus, da sie selbst schon Erfahrungen damit machen musste. „Es gibt zum Beispiel Lehrer, die uns Schüler aus angeblichen Problemvierteln wie Marxloh gar nicht erst ernst nehmen“, sagt sie. Gerade Kindern, die wegen ihrer Herkunft, schwieriger familiärer Verhältnisse oder finanzieller Probleme ihrer Eltern schlechtere Bildungschancen
haben, will sie helfen: „Ich würde gerne ein Projekt realisieren, dass ein bisschen wirkt wie Unicef, nur eben speziell in Deutschland.“Bei der Realisierung solcher Projekte will die Start-Stiftung die Schüler unterstützen. Und Zeynp will die Ungerechtigkeit, die in der ungleichen Verteilung der Chance auf Bildung liegt, in einem wohlhabenden Land wie Deutschland nicht einfach hinnehmen.
„Duisburg hat nicht den besten Ruf, und auch wenn die Klischees manchmal sogar stimmen, will ich zeigen, dass es auch anders geht“, sagt Zeynep. Sie möchte etwas bewirken, träumt davon, dass man vielleicht irgendwann ihren Namen kennt, weil sie etwas in der Welt verändern konnte. „Der Ort, an dem man lebt, bestimmt doch nicht den Menschen“, sagt sie.
Dafür setzt sie sich aktiv ein. Neben der Schule, dem Stipendium und ihren Hobbies gibt sie ehrenamtlich Nachhilfe für jüngere Schüler. Sie konnte sogar schon einige andere Menschen dazu bewegen, dort ebenfalls zu helfen. „Es bringt doch nichts, wenn man immer nur redet, man muss auch was machen“, davon ist die Schülerin überzeugt. Und so will sie ein positives Beispiel sein für ihre Umgebung, will sich abheben von denen, die sich nur beschweren anstatt etwas zu ändern.
Das gefällt ihr auch so sehr an Bewegungen wie „Fridays for Future“: „Wieso sollen wir freitags zum Sportunterricht, wenn es die Welt, wie wir sie heute kennen, in zehn Jahren vielleicht gar nicht mehr gibt?“Sie ist überzeugt davon, dass die Jugend heute motivierter ist denn je,
sich politisch zu engagieren.
Das ist es auch, was die Start-Stiftung fördern möchte. Junge Menschen sollen nicht nur finanziell und mit Bildungsangeboten gefördert werden, sie sollen lernen, wie sie sich aktiv in die Gesellschaft einbringen und für demokratische Werte einstehen können. Seit 2002 haben rund 3000 Stipendiaten in Deutschland das Start-Programm der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung erfolgreich durchlaufen.
Doch neben all diesen wichtigen Zielen ist Zeynep auch noch eine ganz normale Teenagerin. „Man kann ja auch nicht nur lernen, man muss eine gute Mischung finden“, sagt sie lachend. Entspannen kann sie sich beim Klavierspielen, sie spielt auch noch Querflöte. Und sie trifft sich gerne mit Freunden, am liebsten eben im Landschaftspark.