Ausgerechnet Petar Sliskovic
Der Angreifer, der in der vergangenen Saison noch das Trikot des MSV Duisburg getragen hat, erzielt beim 1:2 in München beide Tore für Neuling Türkgücü. Youngster Julian Hettwer sorgt für einen Lichtblick beim Drittligisten.
Direkt nach dem Schlusspfiff im ruhmreichen Münchener Olympiastadion faltete Gino Lettieri den Zettel mit der Mannschaftsaufstellung zusammen und erhob sich von seinem Platz in Reihe 40. Wenn der neue Trainer des Fußball-Drittligisten MSV Duisburg am Samstag ein Hoffnungszeichen wahrnahm, dann vielleicht dieses: Die Hartschalensitze im Block waren alle grün. Gino Lettieri wusste nach der Partie: Er hat als Kapitän auf der Andrea Doria angeheuert – und zwar unmittelbar nach der legendären Havarie. Die Zebras hatten beim Aufsteiger Türkgücü München mit 1:2 (0:0) verloren.
Und sie waren mit dem Ergebnis gut bedient: Petar Sliskovic, den sie beim MSV als Stürmer nach der Saison nicht mehr wirklich wollten, hatte mit zwei Treffern seinen ehemaligen Arbeitgeber fachmännisch aufs Kreuz gelegt. Die Verantwortlichen mussten ihm fast noch dankbar sein. Sliskovic hatte drei weitere Hochkaräter ausgelassen.
Der Kroate verzichtete großmütig darauf, seinen früheren Klub zu demütigen. Allerdings sprach er beim Interview Sätze, die den MSV-Verantwortlichen wie Zahnstocher unterm Fingernagel schmerzen mussten: Ein Stürmer brauche das Vertrauen des Trainers, das zahle er mit Toren zurück. Unter Torsten Lieberknecht waren Sliskovic bei 26 Einsatzgelegenheiten lediglich vier Treffer gelungen. Für seinen neuen Chef Alexander Schmidt erzielte er im neunten Spiel die Tore sieben und acht.
Den nächsten Hieb verabreichte Marvin Compper, der für ein Spiel die Verantwortung als Chefcoach hatte, den Menschen, die beim MSV Aufsicht führen sollten. „Man hat, denke ich, klar gesehen, dass uns hinten raus die Körner gefehlt haben“, sagte der nüchtern analysierende Compper auf die Frage nach dem Leistungsabfall in der zweiten Halbzeit.
Jetzt weiß man endlich die Formel für einen Offenbarungseid. Einer Mannschaft, die mit dem Anspruch in die Spielzeit gegangen ist, oben anzugreifen, geht nach einer Stunde im Anfangsviertel der Saison bei einer Partie gegen einen Aufsteiger die Puste aus! Wohl gemerkt, das sagt nicht der Nachfolger des geschassten Trainers, um sich Zeit zu kaufen. Der Assistent des Ex-Chefcoaches beschreibt so den Zustand der Truppe.
Beim MSV sind aufgrund von Corona keine Zuschauer beim Training erlaubt. Das ist schade. Aber vielleicht kann Sportdirektor Ivica Grlic sagen, wer der Beste beim Sackhüpfen und Eierlaufen ist. Grlic darf beim Training zuschauen. In dieses Bild passt, dass Ahmed Engin, gemeinsam mit Moritz Stoppelkamp in den ersten 30 Minuten ein Aktivposten, nach 72 Minuten vom Platz musste. Später sah man, dass sein linker Oberschenkel bandagiert war. Engin hat gerade erst eine Muskelverletzung überstanden. Mirnes Pepic, Vincent Gembalies und LeroyJacques Mickels pausieren mit eben solchen gerade. Der Zustandsbericht bringt Lettieri in eine Zwickmühle: Er muss die Defizite aufarbeiten. Er hat aber auch vier Spiele in zwölf Tagen vor der Brust. Viele Fans halten zudem wenig von ihm. Auf ihre Geduld kann Lettieri nicht hoffen. Schnelle Erfolge sind verlangt, scheinen aber unmöglich.
Marvin Compper sagte auch, dass die Partie anders verlaufen wäre, wenn sein Team in der ersten halben Stunde seine Chancen genutzt hätte. Gemeinsam mit Branimir Bajic und Philipp Klug (per Video aufgrund Corona-Quarantäne) hatte Compper die Formation im 4-4-2 durchaus erfolgversprechend aufund eingestellt. Arne Sicker kehrte auf seinen Stammplatz links hinten zurück. Für den erkrankten Max Jansen rückte Wilson Kamavuaka auf die Sechser-Position. Connor Krempicki war offensiv im Mittelfeld tätig. Ahmet Engin stürmte zusammen mit Vincent Vermeij.
Die Zebras verteidigten konzentriert und nutzten die Räume des hoch pressenden Gegners für flotte Konter. Arnold Budimbu (9.) hätte nach Zuspiel von Engin das 1:0 machen müssen, scheiterte aber an Stefan Stangl. Moritz Stoppelkamp (10.) schloss einen schnellen Vorstoß mit einem lahmen Schüsschen ab. Engin verpasste später die Chance, auf den freilaufenden Vermeij zu spielen. Da war im Konter mehr drin. Der Gast hätte führen können.
Doch nach einer halben Stunde ließ der Schwung nach, um nach der Pause vollends zu versanden. Gleich nach dem Wechsel unterlief Arne Sicker auf links ein kapitaler Bock. Es folgte eine Flanke und Sliskovic’ trockener Schuss zur Führung von Türkgücü (48.). Später verpennten Ahmet Engin und Moritz Stoppelkamp einen Freistoß aus dem vermeintlich gefahrlosen Halbfeld. Ünal Tosun düpierte Stoppelkamp; Sliskovic machte den Rest (66.).
Fällt so ein Gegentreffer in einer Nachwuchsmannschaft beim MSV, nimmt sich Uwe Schubert, der Chef der Talentschmiede, seine Trainer gehörig zur Brust. Am Samstag war Schubert vermutlich mehr nach Schulterklopfen: wegen Julian Hettwer (17). U-17-Trainer Marc Auf dem Kamp hat den pfeilschnellen
Stürmer ausgebildet. Engin Vural verfeinert in der U 19 derzeit dessen Qualitäten. Die Übergangstrainer Compper und Bajic hatten Hettwer als Hoffnungsträger mit nach München genommen und ihm 15 Einsatzminuten gegönnt.
Das Talent nutzte die Zeit kurz vor dem Abpfiff für einen Sprint, der nur per Foul im Strafraum zu stoppen war. Vincent Vermeij (89.) verkürzte vom Punkt spät für den MSV. Compper nannte Hettwers Schnelligkeit eine „Waffe“. Der eingewechselte Darius Ghindovean war zumindest giftig. Der Rest des Personals wäre ohne Beanstandung durch die Flughafen-Kontrolle gekommen. Die Zebras hatten bei der Reise nach München keine spitzen oder andere gefährlichen Gegenstände im Gepäck.