Schwer genervt
Die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten haben sich bei ihrer letzten Sitzung nicht einigen können. War Merkels Vorpreschen Taktik? Oder ist ihr ein strategischer Fehler unterlaufen? Klar ist: Sie wird nicht aufgeben.
Kann eine Regierungschefin nach 15 Jahren Kanzlerschaft noch enttäuscht sein von politischen Abläufen? Oder erbost über fehlende Absprachen? Nach unzähligen nationalen und internationalen Verhandlungen und Runden in Krisensituationen? Antwort: Sie kann.
Von Teilnehmern der digitalen Bund-Länder-Schalte am Montag im Kanzleramt kam die Bemerkung, die Kanzlerin habe zwischenzeitlich beleidigt oder zumindest äußerst angefasst gewirkt. Auch auf krisengestählte Mitarbeiter des Kanzleramts wirkte „die Chefin“schwer genervt. Dann sollten doch bitte die Länder das nächste Treffen vorbereiten und konkrete Vorschläge zur Eindämmung der Pandemie machen, lautete das Fazit der Regierungschefin nach fünf Stunden Diskussion.
Merkel wäre aber nicht Merkel, wenn sie auf dem Weg zur Pressekonferenz ihre Emotionen nicht unter Kontrolle gebracht hätte. Das klang dann so: Die Länder seien mehrheitlich der Auffassung gewesen, vor Ablauf der derzeitigen Vorschriften Ende November keine „Zwischen-Rechtsänderungen“vorzunehmen. Bei diesem Thema sei sie durchaus etwas anderer Meinung gewesen. Punkt.
Am Tag nach der mühsamen Corona-Debatte bewertet sie die Gespräche etwas emotionaler: „Dass es manchmal etwas zu langsam geht, das bedaure ich.“Die Corona-Pandemie sei eine „Jahrhundertherausforderung für die ganze Welt und für jeden einzelnen“und „die Lage unverändert ernst“, begründet Merkel ihr unermüdliches Eintreten gegen den Kontrollverlust in der Pandemie. Die Einschränkungen seien zwar „Zumutungen“und gehörten zu den schwersten ihrer Amtszeit, seien aber unvermeidlich. „Ich werde weiterhin der ungeduldige Teil in dieser Sache sein – und ich freue mich über jede Unterstützung, die ich dabei bekomme.“
Hat die Kanzlerin diesmal zu hoch gepokert? Waren ihr taktische Fehler unterlaufen? Oder war es für die 66 Jahre alte Politikerin, die die Dinge oft vom Ergebnis her betrachtet, lediglich ein Zwischenschritt zum nächsten Mittwoch, bei dem es um den weiteren Weg des Landes in diesem Winter geht?
Zumindest eines hat sie geschafft: Die Länder sind nun am Zug. Man will sich am Wochenende abstimmen, bis spätestens Dienstagmorgen soll ein Entwurf auf Merkels Schreibtisch liegen. Dann soll der Bund mit Berlin, das derzeit den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz innehat, weitere Punkte ausloten. Am 25. November soll damit ein weitgehend abgestimmtes Papier abschließend beraten werden. So weit die Theorie.
Nicht nur in den Staatskanzleien ist man skeptisch, ob das gelingt. Das Zutrauen in den amtierenden Chef der Ministerpräsidentenkonferenz, Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller, ist nicht besonders hoch. Weder beim Bund noch bei den Ländern. Über den SPD-Politiker regt man sich in der Union schon länger auf. Berlin sei der Hotspot der Republik, das räume Müller auch immer ein, aber den Worten folgten keine Taten, heißt es. Als Krisenmanager habe er sich jedenfalls nicht bewährt. Das dürfte sich auch mit Merkels Einschätzung decken.
Eigentlich könnte Merkel nun abwarten, sich zurücklehnen. Das Image als Antreiberin hat sie ohnehin. Doch so einfach ist es nicht. Hört man sich in Merkels Umfeld um, so gewinnt man den Eindruck, dass der Montag noch länger nachwirken wird. Sie hat sich verkalkuliert. Die Vorschläge in der Beschlussvorlage an die Länder, die am Sonntagabend verschickt wurde und unter anderem die umstrittenen Schulregeln und die Kontaktbeschränkungen für Kinder enthielten, hatten Kanzlerin und Kanzleramtschef Helge Braun gemeinsam beraten und aufgestellt. Die beiden Wissenschaftler – sie Chemikerin, er Mediziner – wollten angesichts
Merkel wäre nicht Merkel, wenn sie ihre Emotionen nicht unter Kontrolle gebracht hätte