Welcher Teufel hat die Koalition geritten?
Die Demokratie von Weimar ist an vielen Fehlern gescheitert. Das falsche Vorgehen der Verantwortlichen gehörte dazu, aber neben vielem anderen auch die Aggressivität auf den Straßen, die immer tiefer werdende Spaltung der Gesellschaft und die Provokationen von den Kräften der Extremen. Es ist zum Gruseln, vor diesem Hintergrund die Begleitumstände der Gesetzgebung zum Infektionsschutz zu verfolgen.
Von welchem Teufel hat sich die Koalition reiten lassen, die Änderungen so durch die Verfassungsorgane zu prügeln, als hinge davon die Wende in der Pandemiebekämpfung ab? Wer sich um Akzeptanz bemüht, muss die Menschen mitnehmen. Das Gegenteil machte die Koalition. Keine Zeit zur intensiven öffentlichen Beratung der letzten wichtigsten Details, keine Zeit zur genauen Überprüfung durch Bundesrat und Bundespräsident. Wer das Misstrauen steigern wollte, hätte sich dafür kein passenderes Drehbuch ausdenken können.
Wenn neun von zehn Protestteilnehmern ihre Demonstrationsfreiheit in Berlin mit Rücksichtslosigkeit gegenüber der Gesundheit anderer verwechseln, besagt das nicht, dass die Verhältnisse in der Bevölkerung ähnlich wären. Auf den meisten Straßen zeigt sich in diesen Tagen ein anderes Bild: Neun von zehn Menschen schützen sich und andere. Auch der Zulauf zu Extremisten und Protesten wirkt unter dem Brennglas der Berichterstattung größer, als er in Wirklichkeit ist. Das ist beruhigend für den Unterschied zwischen Berlin heute und Weimar damals. Aber das Eis wird dünner. Fast jeder Zweite glaubt, dass die wirklichen Hintergründe der Pandemie nicht gesagt würden. Das ist ein riesiger potenzieller Echoraum für demokratiezerstörende Verschwörungsmythen. Die Verantwortlichen dürfen sich nicht mehr viele solcher Fehler erlauben.
BERICHT STRASSE GEGEN PARLAMENT, POLITIK