Ein erschöpftes Land
Pennsylvania brachte Joe Biden die entscheidenden Wahlmänner. Viele hier haben nur noch einen Wunsch: dass der Streit endet.
PITTSBURGH Ausverkauf im Westmoreland County. Leslie Rossi, eine der führenden Republikanerinnen in dem Landkreis östlich von Pittsburgh, wirbt für die Restbestände, die gut sortiert in ihren Regalen liegen. T-Shirts, Mützen und Baseballkappen, alle mit dem Namen Donald Trumps versehen.
Sie habe noch drei Flaggenmotive auf Lager, sagt sie: „Frauen für Trump, Keep America Great, Trump auf dem Panzer.“Sie sagt es in einem Ton, als wäre es völlig selbstverständlich, den Präsidenten in Heldenpose, mit einem Sturmgewehr in der Hand, auf einem Panzer abzubilden. Von einem Ausverkauf will die 47-Jährige, die im Hauptberuf mit Immobilien handelt, übrigens nicht reden. So, wie sie Joe Biden nicht den gewählten Präsidenten nennt. Für sie bleibt das Rennen offen.
Die Medien seien nicht die Schiedsrichter; erst wenn das Ergebnis amtlich bestätigt werde und alle Gerichte geurteilt hätten, sei sie bereit, es zu akzeptieren. Bis dahin orientiere sie sich am Präsidenten. „Und was hat er neulich getwittert? Wir werden siegen!“Den Spruch habe sie auf ihre Facebook-Seite kopiert.
Juristisch ist das Rennen in Pennsylvania tatsächlich noch nicht gelaufen. Anwälte Trumps haben Klagen eingereicht. Mal geht es um ein fehlendes Datum auf der eidesstattlichen Erklärung, die einem eingesandten Stimmzettel beiliegt, mal um eine fehlende oder schwer zu entziffernde Adresse. Kein seriöser Experte glaubt, dass sich der Amtsinhaber zum Erfolg prozessieren kann – dazu ist Bidens Vorsprung mit mehr als 70.000 Stimmen zu groß. David Shribman, Kolumnist der „Pittsburgh Post-Gazette“, schreibt, dass die Hängepartie den meisten nur noch auf die Nerven gehe. „Dieses Land ist, um es mit einem Wort zu sagen, erschöpft.“
Bei William Mullen stehen die Menschen Schlange. Der ehemalige Patrouillenpolizist ist Sheriff des Allegheny County, eines Bezirks, der die einstige Stahlmetropole Pittsburgh
und einige ihrer Vororte umfasst. Mullen hat zu beurteilen, wer eine Pistole versteckt tragen darf, unter der Jacke oder dem Anorak.
Mit einer Waffe herumzulaufen, die jeder sehen kann, ist in Pennsylvania ohnehin längst erlaubt. Bei Mullen geht es um einen Schein, der dazu berechtigt, sie ständig dabeizuhaben, ohne dass sie sichtbar ist. Mit anderen Worten: auf alles vorbereitet zu sein, ohne gleich als Waffennarr zu gelten.
Normalerweise, erzählt der Sheriff, hat er es pro Tag mit 80 Anträgen zu tun. Kurz vor der Wahl waren es dreimal so viele, was er mit der Angst vor Unruhen erklärt. „Irgendwann gibt sich das wieder. Ich weiß nur noch nicht, wann.“Im Übrigen steige auch die
Zahl der verkauften Gewehre und Revolver. „Die Leute glauben, ein Präsident Biden will den Handel mit Schusswaffen erschweren, da decken sie sich jetzt noch richtig ein.“
In Clairton stimmt es noch, das alte Bild der rauchenden Schlote in den Tälern um Pittsburgh. In einer Flussbiegung des Monongahela liegt die größte Kokerei Nordamerikas. Die Stimmung ist gereizt, man merkt es beim Schichtwechsel auf dem Bürgersteig vor einem Imbisslokal namens „Backstreet Burgers“. Man möge verschwinden, am besten gleich, mit Reportern rede hier keiner, ruft der Besitzer, dessen Basecap ihn als Fan des Boxers Canelo Álvarez ausweist.
Die schlechte Laune hat damit zu tun, dass der Betreiber der Fabrik einen Sparkurs fährt. Im Mai vor einem Jahr kündigte U.S. Steel noch 1,5 Milliarden Dollar Investitionen an, um sowohl die Kokerei als auch ein Stahlwerk in der Nähe zu modernisieren. Seit ein paar Tagen scheint klar, dass daraus so bald nichts wird. Ob es bedeutet, dass sich die von Trump so blumig beschworene Renaissance der amerikanischen Stahlindustrie nur als Episode entpuppt, bleibt abzuwarten.
Jedenfalls ist die Stimmung im Keller. Karl Pitassi will dann doch reden. Er hält große Stücke auf Trumps Zollpolitik, an dessen Abwahl er im Übrigen keinen Zweifel hat. „Wenn Importe teurer werden, kaufen die Leute amerikanische Waren. Nun bin ich nicht supergebildet, aber was kann daran schlecht sein? Du musst dir selbst helfen, bevor du dem Rest der Welt hilfst.“
Union City ist mit seinen rund 3000 Einwohnern in Wahrheit ein Dorf, im Nordwestzipfel Pennsylvanias gelegen, im Erie County, das politisch so hart umkämpft ist wie kaum ein anderer Landstrich des Bundesstaats. Die Main Street ist an diesem Freitagnachmittag menschenleer. Im Wahlkampf war das anders, da skandierten Anhänger Trumps und Bidens vor den Büros beider Parteien, die auch noch direkt nebeneinander lagen, pausenlos Sprüche. Die Schreiduelle, sagt Marylou Rose, werde sie so schnell nicht vergessen. Wochenlang Krach, und zwar direkt vor ihrem Geschäft für Haushaltswaren. Rose hat Trump den Zuschlag gegeben. Es war weniger ein Votum für ihn als eines gegen Biden, den sie für zu alt hält, um der Dauerbelastung des Jobs im Oval Office gewachsen zu sein. Nun, da Biden gewonnen hat, will sie nur noch, dass der Verlierer ihm zum Sieg gratuliert. Es sei gelaufen, „gebt endlich Ruhe“.
Im Schaufenster des demokratischen Parteibüros in Erie hängt ein Poster, das in großen Worten für die Wahl Bidens wirbt: „Heal America and the World. Remove Trump“. Amerika und die Welt heilen, Trump entfernen. Joel Hobson, von Beruf Klempner, hat sich für Biden entschieden, nachdem er 2016 zu Hause geblieben war. Es hat auch damit zu tun, dass Biden im Wahlkampf nach Erie kam, statt wie Hillary Clinton vor vier Jahren einen Bogen um die Stadt zu machen. Auch Trump kam, in der dritten Oktoberwoche, ein paar Tage nach seinem Kontrahenten. Noch immer redet man in Erie von seiner Kundgebung, was allerdings eher an einem Schnitzer liegt, den er sich leistete. Vor der Corona-Krise, als er wie der sichere Sieger ausgesehen habe, rief Trump den Versammelten zu, wäre er gewiss nicht nach Erie gereist. „Ich brauchte das nicht zu tun. Aber dann traf uns die Seuche. Und ich musste zurück an die Arbeit. Hallo, Erie, kann ich bitte eure Stimme bekommen?“Es gibt Beobachter, die in dem Auftritt den Grund für Trumps hauchdünne Niederlage im Erie County sehen.
Robert Schiffbauer ist froh, wenn er mal über andere Themen als die Wahl reden kann. Der Bürgermeister von South Union Township, ein Mann mit deutschen und italienischen Vorfahren, hat den Fußball in seine Stadt gebracht. In eine Stadt, auf deren Sportplätzen bis dahin American Football und Baseball dominierten. Jetzt will er eine alte Lagerhalle so ausbauen lassen, dass man auch im Winter spielen kann. Mit dem Stolz des Organisators lädt Schiffbauer zur Besichtigung eines Radwanderwegs ein, den sie dort angelegt haben, wo früher die Gleise der Pennsylvania & Reading Railroad verliefen. „Wer immer in Washington regiert, wir machen hier unser Ding“, sagt er und redet dann doch nur noch über Washington.
Schiffbauer, zeitlebens Demokrat, hat Trump gewählt. So wie das Fayette County, der Landkreis, in dem seine Gemeinde liegt, klar für den Republikaner votierte, noch klarer als 2016. „Wer für Trump ist, der hält ihm die Treue“, kommentiert Schiffbauer. „Die Leute mögen ihn, weil er nicht dem klassischen Politiker-Muster entspricht. Und weil ihn die Globalisten nicht vereinnahmen konnten.“Mit den Globalisten sind Befürworter von Freihandelsabkommen gemeint, mit denen man im Fayette County den eigenen wirtschaftlichen Abstieg verbindet.
Nun aber, schiebt Schiffbauer hinterher, gehe die Ära Trump zu Ende, auch wenn er das bedauere. Ohne dass bürgerkriegsähnliche Zustände drohten, wie manche prophezeit hätten. „Ein paar Verrückte wird es immer geben. Aber die meisten von uns sehen es so: Schluck’s runter und mach weiter in deinem Leben.“